# taz.de -- Gleichberechtigung an britischen Unis: Die einzige schwarze Direkto… | |
> Die höchsten Posten an britischen Universitäten besetzen fast nur Weiße. | |
> Die Londoner Soas bildet mit Valerie Amos eine der wenigen Ausnahmen. | |
Bild: Als sie bemerkte, dass sie die erste war, war das für sie ein Schock: Va… | |
LONDON taz | Britische Universitäten sollen laut Ranglisten zu den besten | |
in Europa gehören. Doch in einem Punkt sind sie überhaupt nicht spitze: | |
Viele Institute in Großbritannien sind sowohl in ihrer Besetzung als auch | |
in ihren Lehrplänen „weiß“ und „eurozentrisch“, sagt Robert Beckford … | |
Theologieprofessor von der Canterbury Universität ist einer der seltenen | |
nichtweißen Professoren in England. | |
Als Sohn afrikanisch-karibischer Einwanderer aus Jamaika fällt Beckford | |
unter dem akademischen Führungspersonal britischer Universität auf. Das | |
beweisen Statistiken der Higher Education Statistics Agency (Hesa). Das | |
Institut erfasst Akademiker in vier groben Kategorien, die auf das | |
Antidiskriminierungsgesetz, das sogenannte Rassenbeziehungsgesetz aus dem | |
Jahr 1965 und 1976, zurückgeht. Die Kategorien sind „schwarz“, „weiß“, | |
„asiatisch“ und „andere“. Mit der Erfassung soll kontrolliert werden, ob | |
Menschen einer dunkleren Hautfarbe in der britischen Wissenschaft | |
diskriminiert werden. | |
Unter 565 von Hesa befragten Führungspersonen, Managern, Direktoren sowie | |
hochgestellten Akademikern gab es niemanden in der Kategorie „schwarz“, | |
jedoch 510 „weiße“ Angestellte. 15 Personen fanden sich in der Kategorie | |
„asiatisch“ (darunter zählen auch Menschen aus Indien oder Bangladesch) und | |
10 in der Kategorie „andere“. 30 Personen machten zu ihrer Herkunft keine | |
Angaben. Fragt man nach den Gründen dieser Unterrepräsentierung, verweist | |
das britische Erziehungsministerium auf die Universitäten. Die | |
Verantwortung liege bei den Universitäten selbst, sagt eine Sprecherin. Als | |
Arbeitgeber hätten sie die Pflicht, Gleichberechtigung nach dem | |
Gleichberechtigungsgesetz „zuzusichern“. | |
Der Schattenminister für Universitäten der Labour-Partei, Gordon Marsden, | |
widerspricht dem jedoch: Die Regierung trage Mitverantwortung und müsse mit | |
den Universitäten zusammenarbeiten, um größere Menschenvielfalt und | |
Arbeitschancen auf allen Levels inklusive des akademischen Personals zu | |
erreichen. Dementsprechend hätte Labour bei den letzten Gesetzesbeschlüssen | |
in Erziehungs- und Hochschulbelangen entsprechenden Druck auf die Regierung | |
gemacht, „damit sie ihrer Verantwortung in der Förderung von | |
Gleichberechtigung nachkommen“. | |
Die Dachorgansition britischer Universitäten University UK will die | |
Statistik schönreden. Bei Hesa würde man einen oder zwei „schwarze“ | |
Hochschulrektoren auf „null“ abrunden. Außerdem gebe es 5.735 | |
Universitätsangestellte, die sich als schwarz bezeichneten. Dazu zählt aber | |
auch Reinigungspersonal oder Mitarbeiter in der Verwaltung. Doch | |
letztendlich gibt auch Geschäftsführerin Nicola Dandridge, zu, dass „das | |
Fehlen schwarzer Repräsentation in den Führungspositionen an britischen | |
Universitäten ein ernstes Thema ist“. | |
## „Unbewusste Vorurteile“ | |
Diese Resultate, sagt Gary Loke von der Gleichberechtigungsinitiative Ecu, | |
sind klare Indizien dafür, dass Akademiker mit „BME-Hintergrund“ (Black and | |
Minority Ethnic) an ihren Arbeitsplätzen nicht so vorankommen wie ihre | |
„weißen“ KollegInnen. In der letzten nationalen Volkszählung gaben 86 | |
Prozent der Befragten an, sie seien weiß, berichtet Loke. „Somit ist es zu | |
erwarten, dass mindestens 14 Prozent der in Hochschulen Angestellten einen | |
BME-Hintergrund haben müssten, und zwar auf allen Ebenen.“ Dem ist nicht | |
so, weil ethnische Minderheiten schon im Studium diskriminiert würden, | |
glaubt Loke. An den Unis herrsche eine Art „unbewusstes Vorurteil“. | |
Davon kann Theologie-Professor Robert Beckford ein Lied singen. Als er sein | |
Doktorat im Jahr 2000 abgeschlossen hatte, gab es trotz gegenteiliger | |
Behauptungen in Großbritannien stets weniger Möglichkeiten für „Menschen | |
wie ihn“, wie er sagt. Auch hätte es an Beispielen und Vorbildern | |
gemangelt. „Ich musste selbst meinen eigenen Weg finden.“ Und auf diesem | |
fühlt er sich nun benachteiligt. Seine Beförderung sei drei Jahre später | |
als für gleichrangige „weiße“ Kollegen gekommen. | |
Das Potenzial von schwarzen und karibischen Gelehrten werde einfach oft | |
übersehen, sagt Beckford. Werke von Wissenschaftlern, die sich mit Fragen | |
wie Rassismus, Ethnizität, Identität beschäftigen, litten unter solch | |
unbewussten Vorurteilen und würden als zweitrangig angesehen. Viele müssten | |
deswegen doppelt so hart arbeiten. | |
Die notwendigen Reformen, die in den USA in den 1960er Jahren, in Südafrika | |
in den 1990er Jahren durchgeführt wurden, stünden in Großbritannien noch | |
aus. Quelle dieses Problems seien eurozentrische Perspektiven über das, was | |
in der Forschung als wichtig anzusehen sei. Zusammen mit der Unlust, sich | |
mit der eigenen kolonialen Vergangenheit auseinanderzusetzen, führe das zu | |
Vorurteilen gegenüber schwarzen und postkolonialen Perspektiven. | |
## Soas als Ausnahme | |
Gary Loke von der Ecu bemerkt hierzu, dass sogar die Gleichberechtigungs- | |
und Menschenrechtskommission Großbritanniens, also die amtlich-rechtliche | |
Stelle für Diskriminierung jeglicher Art, vor nicht allzu langer Zeit | |
anmerkte, dass in Fragen rassistischer Benachteiligung viele im Land nur | |
Gebärdenpolitik betreiben würden. Ecu arbeite deshalb seit sieben Jahren an | |
einer Charta für Universitäten. In ihr heißt es unter anderem, „dass | |
rassistische Diskriminierung sich nicht unbedingt offen manifestiere, | |
sondern auch in alltäglichen Prozessen und Verhalten“ zeige. Britische | |
Universitäten könnten außerdem nicht ihr Potenzial ausschöpfen, ohne die | |
Talente aller ethnischen Minderheiten zu berücksichtigen. Bisher haben nur | |
27 der über 150 Universitäten diese Charta aufgenommen. | |
Eines der Institute, das auch ohne die Ecu-Charta bemerkenswerte | |
Veränderungen erreichte, ist die Londoner School of Oriental and African | |
Studies (Soas). Früher wurden hier die Verwalter für die kolonialen Gebiete | |
ausgebildet. Neulich gerieten hier einige Studenten in die Schlagzeilen, | |
weil sie das Ende einer mutmaßlich eurozentrischen Philosophie verlangten. | |
Soas ist heute die einzige britische Universität, deren Direktorin einen | |
afrikanisch-karibischen Hintergrund hat. | |
Baronin Valerie Amos behauptet, dass es für sie ein Schock gewesen sei, als | |
sie bemerkte, dass sie die Erste war. Doch schon vor ihrer Ernennung zur | |
Direktorin erreichte die gebürtige Guayanerin, die in Großbritannien | |
aufgewachsen ist, bemerkenswerte Posten. So war sie Geschäftsführerin der | |
britischen Gleichberechtigungskommission, UN-Untersekretärin für | |
humanitäre Hilfe und Koordinatorin für Nothilfe sowie die erste Frau ihres | |
Hintergrunds und ihrer Hautfarbe, die in Großbritannien zu einem | |
Kabinettsmitglied der britischen Regierung wurde. Amos hat dennoch | |
keinerlei Zweifel daran, dass Diskriminierung im akademischen Sektor | |
existiert. | |
„Wir müssen akzeptieren, dass es eine gläserne Decke gibt“, sagt sie. Es | |
gebe eine ganze Menge von Berichten und Forschung, welche die gegenwärtige | |
Arbeitssituation von Menschen mit BAME-Hintergrund (Black, Asian, and | |
Minority Ethnic) belegen. Ihre Nominierung zur Direktorin am Londoner Soas | |
ist dennoch kein Zufall gewesen. 39 Prozent der Studenten dort sind schwarz | |
oder stammen aus Asien – entgegen dem nationalen Durchschnitt von nur 11 | |
Prozent. Auch hat jeder vierte Lehrer und fast jeder fünfte Manager an der | |
Uni BAME-Hintergrund. | |
## AG deckt eurozentrische Lehre auf | |
„Selbstgefällig sind wir trotzdem nicht“, versichert Amos, deren Adelstitel | |
eine Ehrung ihres Einsatzes für die Gleichberechtigung war. Seit einem Jahr | |
gibt es an der Soas auch eine AG aus Studenten und Lehrkräften, die die | |
Lehrpläne auf eurozentristische Perspektiven durchforsten und beim | |
Lehrstuhl Europäische Philosophie fündig geworden sind. Zusammen mit den | |
Lehrkräften schufen sie dann ein „Visionskonzept“ zur Entkolonialisierung | |
des Lehrinstituts. | |
Ziele, die woanders skeptisch betrachtet werden. Am Kings College in London | |
etwa glaubt Paul Gilroy nicht an ein Ende der Diskriminierung. Der | |
Professor für amerikanische und englische Literatur ist Mitglied der | |
British Academy und der königlichen Gesellschaft für Literatur. Auch Gilroy | |
stammt mütterlicherseits aus Guyana, seine Mutter war die Schriftstellerin | |
Beryl Gilroy. „Auch wenn es ein Skandal ist, dass es in Großbritannien so | |
wenig schwarze Akademiker gibt, kann eine Infusion schwarzer und brauner | |
Akademiker allein unser funktionsgestörtes Erziehungssystem nicht retten“, | |
glaubt er. | |
Um das ganze System zu reformieren, empfiehlt er stattdessen die | |
Wiedereinführung gebührenfreier Hochschulen. Erziehung, sagt Gilroy, ist | |
ein öffentliches Gut. Großbritannien hat die höchsten Studiengebühren aller | |
OECD-Staaten. Sie können bis zu 9.000 Pfund pro Jahr betragen. Mehr als | |
10.000 Euro. | |
4 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn | |
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