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# taz.de -- Historiker über Rassismus in Frankreich: „Oh, träumen ist erlau…
> Der Historiker Pap Ndiaye gilt als Begründer der Black Studies in
> Frankreich. Er erklärt die Tücken der republikanischen Gleichheitsideale.
Bild: Wie bunt ist Frankreich?
Pap Ndiaye ist Historiker und auf US-Geschichte spezialisiert, er lehrt am
Institut d’études politiques de Paris – der berühmten Elitehochschule
Sciences Po. Dort empfängt er in seinem kleinen Büro am Boulevard
Saint-Germain. Es soll um sein großes Thema gehen: „La Condition noire“,
also etwa „Schwarzsein“ in Frankreich. 2008 hat er darüber ein Buch
geschrieben.
taz am wochenende: Monsieur Ndiaye, Ihre Schwester Marie hat eine Erzählung
als Vorwort zu Ihrem Buch beigesteuert. Die Geschichte zweier Schwestern,
von denen die eine sehr viel dunklere Haut hat. Die Hellere scheint an
Schuldgefühlen irre zu werden, die andere geht scheinbar leichtfüßig durchs
Leben. In einem Moment aber blitzt bei ihr absolute Bitterkeit durch. Hat
das mit Ihrer Kindheit zu tun?
Pap Ndiaye: Ich denke, nicht. Marie hat versucht, Wege aufzuzeigen, wie
Menschen mit ihrer Hautfarbe zurechtkommen.
Ihr Vater kam aus dem Senegal, Ihre Mutter ist Französin. Sie sind in der
französischen Provinz groß geworden. Haben Sie Rassismus erfahren?
Nicht direkt. Ich bin in der Banlieue aufgewachsen, aber die Banlieue der
siebziger Jahre ist nicht die von heute. Inzwischen geht es dort rauer zu.
Und ich komme aus der Mittelschicht, was mehr sozialen Schutz bedeutet als
in ärmeren Familien, wo Diskriminierung in zugespitzter Form erfahren wird.
Zumal Sie eine der Eliteschulen besucht und eine klassische akademische
Karriere gemacht haben.
Wohl wahr. Meine Situation ist bestimmt nicht sehr repräsentativ. Ich
glaube, nein, ich bin sicher: An den Sciences Po bin ich der einzige
nichtweiße Professor.
Sie gelten als Begründer der „Black Studies“ in Frankreich – die sich do…
sehr langsam entwickeln. Warum ist das so?
Die Black Studies haben es schwerer als in Großbritannien oder Deutschland,
gerade im universitären Milieu gab es Widerstand dagegen.
Die Sozialwissenschaften waren auf soziale Fragen fokussiert und haben
nicht nach Hautfarbe und Rassismus gefragt.
Trotzdem haben Black Studies hier eine Vorgeschichte, die bis in die
Zwischenkriegszeit zurückgeht, als etwa Léopold Sédar Senghor, der spätere
Präsident des Senegal, und der Schriftsteller Aimé Césaire aus Martinique
die Négritude begründeten.
Eine Strömung, getragen von Literaten, Künstlern und Aktivisten, die den
europäischen Diskurs über Afrika hinterfragten. Das drang damals nicht ins
akademische Milieu ein.
Aber seit etwa zehn Jahren ist das Interesse an der Négritude wieder
aufgelebt.
Woher kommt diese Renaissance?
Das neue Interesse ist auch eine Generationsfrage. Seit einiger Zeit treten
Schwarze in Frankreich, die sich bewusst als Schwarze bezeichnen, verstärkt
öffentlich in Erscheinung. Das hat sich mit Sicherheit auf den akademischen
Bereich ausgewirkt.
In den USA spricht man von „Afroamerikanern“. Das Wort „Afrofranzose“
scheint es nicht zu geben.
Stimmt. Man sagt „afrodescendant“, „Menschen mit afrikanischen Wurzeln“.
Oder „afroeuropéen“ oder auch „afropéen“.
Sie bezeichnen sich nicht als „noir français“, so wie man „black America…
sagt.
Manche schon. Aber im offiziellen Diskurs sagt man es nicht, weil die
französische Republik nicht anerkennt, dass es verschiedene Hautfarben
gibt. Wir sind alle Bürger in einer Form der republikanischen Abstraktion –
die jede physische und individuelle Besonderheit zu ignorieren hat.
Der Staat darf in Frankreich weder die Religionszugehörigkeit noch die
ethnische Herkunft erfragen. Sie hingegen sind für die statistische
Erfassung derartiger Kriterien. Warum?
Diese Daten sind wichtig, weil sie erlauben, die Situation genau zu
analysieren. Wenn man etwa die Arbeitslosigkeit bekämpfen oder gegen
Diskriminierung vorgehen will, hat man besser belegbare Zahlen an der Hand.
Es gibt inzwischen auch eine Umfrage des Nationalen Demografischen
Instituts, die sich „Trajectoires et Origines“ – Werdegang und Herkunft �…
nennt. Die Leute wurden gefragt, wie sie sich in Bezug auf ihre Hautfarbe,
ihre ethnische Herkunft definieren, wie ihre sozialen Erfahrungen sind, ob
sie Diskriminierung erfahren.
Wo auf der sozialen Skala findet man die Schwarzen in Frankreich?
In den unteren Schichten; bei den einfachen Angestellten, Arbeitern.
Dennoch ist die Arbeitslosigkeit unter den Schwarzen nicht viel
ausgeprägter als allgemein. Interessant an der Untersuchung war, dass unter
den Schwarzen im Vergleich mehr Leute mit Diplom zu finden waren. Das liegt
daran, dass es sehr viel Migration gibt aus Afrika; junge Leute, die
politische Probleme haben und ihr Land verlassen müssen, also afrikanische
Eliten, die oft ein Diplom haben. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie
hier eine Arbeit finden, die ihrem Abschluss entspricht – und das ist ein
Zeichen der Diskriminierung, das mehr aussagt als die reine Zahl der
Arbeitslosen.
In „La Condition noire“ schreiben Sie, dass die Schwarzen in Frankreich „…
der Unsichtbarkeit gefangen sind“, aber zugleich durch ihre Hautfarbe nach
außen immer sichtbar.
Ich nenne es das Minderheitenparadox. Es gibt Menschen, die für die Polizei
gern unsichtbar wären, weil diese ausschließlich Schwarze oder
Nordafrikaner kontrolliert. In diesen Fällen geht es um das Recht,
unsichtbar zu sein; aber es gibt auch die Forderung nach mehr Sichtbarkeit.
Dass die afrokaribische Bevölkerung besser repräsentiert ist in der
Öffentlichkeit, im Fernsehen etwa. Inzwischen treten auch dort mehr
Nichtweiße auf. Das liegt aber daran, dass mehr amerikanische Serien
laufen, in denen Schwarze mitspielen.
Das Minderheitenparadox meint also: mehr Sichtbarkeit und mehr
Unsichtbarkeit zugleich. Wie können Schwarze dieser Falle entkommen? Indem
sie ihre Sichtbarkeit verstärken?
Ja. Gleichermaßen gleich und anders sein zu können – ohne sich assimilieren
zu müssen. Damit tut sich die französische Tradition schwer, weil diese
Tradition meint: Franzose zu sein heiß, wie alle anderen zu sein. Und sich
der französischen Kultur anzupassen.
Die Welt der Schwarzen in Frankreich ist extrem divers – wie kann man da
von den Schwarzen sprechen?
Ihre Welten sind sehr verschieden. Sie kommen aus der Karibik, von La
Réunion oder aus Afrika und aus den unterschiedlichsten Schichten. Sie alle
eint eine soziale Erfahrung: dass sie als Schwarze angesehen werden. Dem
können sie nicht entkommen.
Gab es den einen bestimmten Moment, der Ihr Interesse für Black Studies
geweckt hat?
Ja, als ich in den Vereinigten Staaten gelebt habe. Dort gibt es seit
Langem Organisationen wie die Black Student Alliance, aber auch Forschungen
in der Sozialgeschichte, die sich mit der afroamerikanischen Wirklichkeit
beschäftigen. Nach meiner Rückkehr nach Frankreich stellte ich fest, wie
präsent die Rassenproblematik in den Vereinigten Staaten war und dass sie
das in Frankreich überhaupt nicht ist.
Sie haben auch das Wintersemester als Gastprofessor in den USA verbracht.
Erleben Sie die Wahl Trumps als Rache der Weißen?
Ein bisschen, ja. Rache für Obama, aber vor allem Rache für eine
multikulturelle Entwicklung der US-amerikanischen Gesellschaft seit den
sechziger Jahren. Aber ich war in Chicago, einer Stadt, die zu großen
Teilen Clinton gewählt hat. Man ist dort sehr gegen Trump, und das
Unimilieu ist es umso mehr. Es gibt eine Blase im akademischen Bereich, die
dazu führt, dass man mit diesem anderen Teil Amerikas keinen Kontakt hat.
Ist ein schwarzer Präsident in Frankreich realistisch?
Oh, träumen ist erlaubt. Aber für sehr wahrscheinlich halte ich das nicht.
Damit es in Frankreich einen schwarzen Präsidenten geben könnte, müssten
schwarze Bürgermeister, kommunale Abgeordnete, Senatoren ins Amt kommen. In
den USA gibt es viele schwarze Abgeordnete. In Emmanuel Macrons Partei La
République en Marche gibt es mehr Diversität als früher. Doch es geht sehr
langsam voran.
Wird Macron die Dinge beschleunigen?
Diesbezüglich war er bisher nicht sehr redselig. Er hat Position bezogen
zur Wirtschaft, zur Situation in der Banlieue, zur Schulreform, mehr nicht.
Ich kann ihn nicht einordnen.
Sie sitzen im wissenschaftlichen Beirat des CRAN, einer Vertretung der
Schwarzenverbände. Schließen Sie sich dessen Forderung nach
Wiedergutmachung für die Sklaverei an?
Ich bin für Entschädigung, zum Beispiel durch die Einrichtung von Museen.
Und das heißt etwas, und es ist nicht umsonst. Aber ich bin gegen
individuelle finanzielle Entschädigungen, das bliebe eine rein symbolische
Geste. Was hieße das für die Nachfahren von Sklaven, wenn man ihnen Geld
anböte: Macht man damit die Sklaverei wieder gut? Das ist absurd. Die
Sklaverei ist nicht wiedergutzumachen.
Was dann?
Es ist wichtig, darüber zu sprechen. In Guadeloupe gibt es seit 2014 ein
großes Museum der Sklaverei, aber es gibt noch viel zu tun. In den
französischen Überseedepartements gibt es soziale Ungerechtigkeiten, die
direkt auf die Sklaverei zurückzuführen sind. In Martinique zum Beispiel
gehören 70 Prozent des Landes ehemaligen Besitzern von Sklaven. Das sind
die aktuellen Fragen. Und sich für diese Fragen zu engagieren, ist eine
Form der Entschädigung. Man kann nur die Gegenwart wiedergutmachen. Aber
das ist schon viel.
In Frankreich selbst gab es keine Sklaverei, oder doch?
Nein. Das ist der große Unterschied zu den USA. Sklaverei gab es im
Mutterland Frankreich nicht, nur in den Kolonien. Während in den USA das
Land selbst Sklavenland war. Das macht geografisch einen Unterschied und
gesellschaftlich auch. Bis heute.
Hat Frankreich die Sklaverei verdrängt, weil sie außerhalb des Landes
stattfand, weit weg in den Kolonien? Und wie passt das mit der
Französischen Revolution zusammen, mit der man die Sklaverei verboten hat?
Die Sklaverei ist nach der Revolution wieder eingeführt worden. Deswegen
ist Frankreich das Land, das die Sklaverei zweimal verboten hat. Im Übrigen
glauben viele Franzosen, dass Frankreich nichts mit Sklaverei zu tun gehabt
hätte, sondern nur die USA. In Nantes, wo Frankreichs Hauptumschlagplatz
für den Sklavenhandel war, ist einiges unternommen worden. Aber wenn man
jungen Leute in Paris etwas über die Sklaverei erzählen will, gibt es dafür
keinen Ort. Es gibt kein nationales Museum der Sklaverei.
In der Kolonialgeschichte Frankreichs gab es zwei Phasen: die Kolonisierung
Nordamerikas und der Karibik im 17. Jahrhundert und im 19. Jahrhundert die
Eroberung großer Teile des afrikanischen Kontinents. Gibt es
Feindseligkeiten zwischen den verschiedenen schwarzen Gruppierungen?
Ja, es gibt Spannungen, die historische Gründe haben. Weil die Bewohner der
Karibik den Afrikanern vorwerfen, am Sklavenhandel beteiligt gewesen zu
sein. Und es gibt Spannungen zwischen diesen Gruppen, weil sie auf dem
Arbeitsmarkt konkurrieren. Aber es gibt auch Momente der Annäherung.
Der Begriff der Rasse ist in den USA positiv konnotiert – es gibt sehr viel
mehr schwarze Amerikaner als schwarze Franzosen. Haben sie einen anderen
Stolz?
Stolz, ja. Es gibt zwei wesentliche Unterschiede. Es gibt bei den
Afroamerikanern das Gefühl, dass sie eine große Leidensgeschichte haben –
aber auch eine Geschichte der großen Siege. Sie haben Helden, große
Momente. Ereignisse, die sie feiern können. Es gibt den Martin Luther King
Day, am dritten Montag im Januar ruht das ganze Land. Es gibt Malcolm X und
viele andere. In Frankreich gibt es das nicht. Seit Jahrzehnten hat der
Antirassismus nur Niederlagen erlebt. Man erinnert sich an Niederlagen,
nicht an Siege.
In Deutschland spottet man heute über den Multikulturalismus der neunziger
Jahre – und spricht viel über Identitätspolitik, über Gender, LGBT und
Diversität, zugleich gibt es eine identitäre Rechte. Gibt es diesen
Diskurswechsel auch in Frankreich?
Ich würde sagen: anders. Kein Politiker, egal welcher Partei, würde sich
für eine multikulturelle Gesellschaft aussprechen. Er liefe sofort Gefahr,
dass man ihn beschuldigt, für eine kommunitaristische Gesellschaft zu sein.
Das ist das Schlagwort, das man in Frankreich zurzeit benutzt, um die
Existenz von Gemeinschaften anzuprangern, wie sie in Großbritannien oder in
den USA existieren.
Man fürchtet Parallelwelten?
Ja. Gemeinschaften, die ihre eigenen Regeln haben und sich über die Regeln
der Republik stellen. Deswegen gelten die USA als das Land des
Kommunitarismus. Auch wenn diese Gemeinschaften dort institutionell
verankert sind. Dafür gibt es hier keine Entsprechung und keine
Anerkennung. Deswegen spreche ich übrigens nie von schwarzen
Gemeinschaften, sondern von schwarzen Minderheiten. Um von Gemeinschaften
sprechen zu können, müssten sie Organisationen bilden und sozial anerkannt
sein. Und das ist nicht der Fall.
28 Apr 2018
## AUTOREN
Sabine Seifert
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