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# taz.de -- Urlaubsinsel nicht nur für Franzosen: Wandern macht hungrig
> La Réunion ist eine französische Vulkaninsel im Indischen Ozean. Von hier
> kommt die Bourbonvanille. Eine Insel zum Wandern, Baden, Speisen.
Bild: Der Talkessel Mafate mit Piton Cabis und Canyon de Riviere des Galets
Ich mag Inseln. Das Leben ist entspannt. Überschaubar sowieso. Und
besonders mag ich solche Inseln, wo unterschiedlichste Kulturen
zusammenkommen, ein kreativer Mix entsteht: in der Musik, im Essen, unter
den Bewohnern und ihren Religionen. Die Insel la Réunion im Indischen Ozean
ist wie das karibische Guadeloupe ein französisches Überseedepartement. Ein
Überbleibsel der kolonialen Eroberungszüge der Grand Nation. À la Kréol und
dabei doch Europa. Auf La Réunion geboren zu sein, bedeutet kreolisch zu
sprechen, kreolisch zu essen, kreolisch zu wohnen.
Jean-René Orange, Guide auf Reunion, fährt uns ins bergige Zentrum hoch
nach Hell-Bourg an der Nordküste. Eine Serpentinenstraße mit fantastischer
Aussicht auf unzählige Wasserfälle, die fast senkrechte Steilwände
herabstürzen. Unter einem Wasserfall, dem pisse en l’air, der mitten auf
die Straße prasselt, bleibt er stehen: Autokurzwäsche.
Hell-Bourg ist ein kleines Dorf in der Gemeinde von Salazie. Die Häuser von
Hell- Bourg, diesem Vorzeigeort in den Bergen, sind typisch kreolische
bunte Holzhäuser. Unter Kostenbeteiligung der Europäischen Union wurden
etwa 26 der traditionellen kreolischen Villen restauriert. Als einziges
Dorf auf der Insel ist es seit 1999 eines der „Schönsten Dörfer
Frankreichs“ – eine Auszeichnung, die etwa 150 der sehenswertesten
Gemeinden in Frankreich erhalten haben.
Frankreich schlägt Exotik auf Réunion. Hier fühlt man sich in der
französischen Provinz, fremdelt kaum. Hier werden schöne Straßen gebaut mit
EU-Subventionen für Randgebiete. Es mag auch an den vielen Marienstatuen
oder einfach am Lebensstil liegen: Trotz bunter Mischung der Kulturen,
trotz tropischer Natur – Frankreich ist tonangebend, auch wenn die
kreolische Umgangssprache kaum zu verstehen ist.
## Die Zuckerrohrbarone
Tausende Afrikaner und Madagassen wurden im 17. Jahrhundert hierher
verschleppt und auf den Zuckerrohrplantagen der ersten französischen
Siedler brutal ausgebeutet. Bis zur Züchtung der Zuckerrübe aus der
Runkelrübe Mitte des 18. Jahrhunderts blieb das Zuckerrohr die einzige
Rohstoffquelle zur Zuckergewinnung für das süßspeisensüchtige Europa.
Nach Abschaffung der Sklaverei 1848 kamen Vertragsarbeiter aus Indien,
Tamilen aus dem Süden, aber auch muslimische Inder aus dem Norden. Hinzu
kamen Chinesen, die sich als Landarbeiter verdingten, und Einwanderer vom
benachbarten Archipel der Komoren und vom ebenfalls französischen
Überseedepartement Mayotte Heute sind die Mestizen mit rund 200.000 die
größte Bevölkerungsgruppe von La Réunion. Die zweitgrößte
Bevölkerungsgruppe bilden rund 170.000 weiße Europäer, gefolgt von den
120.000 Tamilen. 75.000 afrikanischstämmige Bewohner von La Rèunion sind
die viertstärkste Gruppe.
Im 18. und 19. Jahrhundert wurden viele Sklaven zwangsgetauft. Katholisch
sein war Gebot. Heute praktizieren Muslime, Hindus, Buddhisten, Juden und
Protestanten ihre Religion. Aber 90 Prozent der Réunioner, vor allem
diejenigen mit europäischen und afrikanischen Wurzeln, sind katholisch.
Schroffe Kegel, tiefe Talkessel mit Wasserfällen, tropische Wälder, eine
fruchtbare Hochebene und die schwarze vulkanische Wüste machen La Reunion
auch landschaftlich zu einem wilden Flickenteppich. Hochebenen,
Vulkanregion, Talkessel und Regenwald nehmen rund 40 Prozent der gesamten
Inselfläche ein. Nationalparkgebiet. Aber die Küste ist nirgends weit.
Zweihundert Kilometer Küstenstrecke bietet die Insel im Indischen Ozean –
davon bestehen dreißig Kilometer aus weißem oder schwarzem Sand, von denen
wiederum zweiundzwanzig Kilometer an der geschützten Lagune liegen.
## Vorsicht Hai!
Orangeringel-Anemonenfische, Netzmuränen, Meeresschildkröten, Rochen stehen
seit 2007 im Réserve Naturelle Marine (Unterwasserschutzgebiet) unter
Naturschutz. Doch Vorsicht, Hai. Neun Menschen sind in den vergangenen
sechs Jahren vor der Küste der Insel von Haien getötet wurden. Mehr als 20
Haiattacken hat es im gleichen Zeitraum insgesamt gegeben.
Die Inselverwaltung hat an vielen Stränden ein Badeverbot erlassen und
mehrere Millionen Euro in den Schutz vor Haien investiert, zum Beispiel in
Netze. Nur an wenigen, besonders überwachten Stränden, darf man ins Wasser.
Vor allem für die Surfer-Community auf La Réunion ist das ein Unding. Sie
will freien Zugang zum Meer.
Die West- und die Südküste der Insel sind eine durch Korallenriffe
geschützte Lagune und Badegebiete. Schnorcheln, Kajakfahren, Stand Up
Paddling, Surfen, Bodyboarding und alle anderen Wassersportaktivitäten
werden rund um Saint Gilles de Bain betrieben.
Hier am Strandabschnitt von Anse gibt uns Jacky vom Kochatelier Far Far
Kréol eine Einführung in die Küche Réunions. Er hat einen Platz unter
Palmen reserviert, dahinter tost die Brandung. Der Strand ist voll. Überall
wird gekocht, gegessen, geschlafen, getrunken und zur Erfrischung im Meer
gebadet. Familien, Liebespaare, Freunde. Alle ausgestattet mit Kocher,
Kühltaschen, Stühlen, Geschirr, Gläsern, Sonnenschirmen, dem halben
Haushalt eben.
## Das hiesige Curry
Auch Jacky hat seine Küche dabei. Auf dem Campingtisch rollt er gerade mit
drei Studenten aus der Metropole, also aus Frankreich, Teigröllchen mit
Fisch und Gemüse. Samoussas. Als Hauptgang gibt es das obligate Cari, das
hiesige Curry. Mit Fisch und Fleisch, aber immer mit Reis. Die Grundzutaten
für die Soße sind die gleichen, egal welches Fleisch, welcher Fisch oder
welches Gemüse verwendet wird: Zwiebel, Knoblauch, Thymian, Tomaten, Salz,
Pfeffer und natürlich Kurkuma, der lokale Safran und Ingwer.
Das auf kleiner Flamme geschmorte Cari wird mit verschiedenen Gemüsesorten
zubereitet. Chouchou (ähnelt dem Kohlrabi), Kartoffeln, Palmenherzen. Als
Proteinzulage gibt es immer Linsen oder Bohnen. Zum Würzen wird Rougail
gereicht, ein scharfer Chili-Mix: Chili, Ingwer, Knoblauch, manchmal mit
Mango oder Litschis, der Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Zur
Verdauung gibt es ein rhum arrangé, eine Mischung aus in Alkohol
eingelegten Pflanzen und Früchten, unabdingbar. Rumpunsch. Prost!
Außer den aggressiven Haien gebe es überhaupt keine gefährlichen Tiere auf
la Réunion, behauptet Nicolas Cyprien, der uns zum Wandern nach Cilaos
begleitet. Nicolas wohnt auf La Réunion im Haus seines Großvaters. In
Frankreich hat er lange gelebt und studiert. Die Familiengeschichte
verbindet ihn mit La Réunion, die Schönheit der Insel zieht ihn an.
Cilaos ist über die RN5 (Route Nationale) aus Saint-Louis an der Westküste
zu erreichen. Erst in den dreißiger Jahren wurde die Straße durch den
unwegsamen, steilen Taleinschnitt gebaut. Jetzt ist die Straße verrutscht,
ins Flussbett gefallen. „Erosion ist hier häufig“, sagt Nicolas. „La
Réunion ist eine noch junge, vulkanische Insel, die sich stark verändert.“
Wir fahren durch das trockene Flussbett. Die 420 Kurven und Kehren der erst
1938 eröffneten Straße sind rekordverdächtig. Hierher in die Berge schlugen
sich zuerst entlaufene Sklaven, die Maroons. Sie flohen vor ihren
Ausbeutern, den Plantagenbesitzern und deren Häschern in das unwegsame
Gebiet. Nach dem Ende der Sklaverei wanderten auch verarmte Weiße (petits
blancs) zu.
## Hobby Nr. 1: picknicken
Ciliaos ist heute ein viel besuchter Touristenort, auch wenn die Straße
dorthin immer wieder einbricht. Das Bergstädtchen ist Ausgangspunkt für
Wanderungen in die umgebenden Berge und für die Besteigung des Piton des
Neiges, mit 3.070 Metern höchster Berg der Insel. „Aus einem Hotspot auf
dem Grund des Indischen Ozeans stieg vor etwa zwei Millionen Jahren der
Piton des Neiges auf. Er bildete die Insel La Réunion“, erzählt Nicolas in
druckreifem Deutsch. Er hat es in Tirol gelernt.
Nach dem letzten Tunnel, kurz vor Cilaos, grüßt Gouzou, die kleine
pummelige Komikfigur. Ihr begegnet man überall auf Réunion, an Mauern,
Trafos, Häusern, Brücken. Das Geschöpf des Street-Art-Künstlers Jace ist
Symbol der Insel. Ein freundlicher Gnom, der lächelt, als habe er zu viel
des Weines von Cilaos getrunken, dieses zuckersüßen Gesöffs, das nach
EU-Norm verboten ist, aber durchaus seine Fans hat. Cilaos hat eine Schule,
Restaurants, Hotels, ein Kurhaus und viele Outdoorshops.
Der Cirque de Cilaos lockt Wanderer aus der ganzen Welt nach La Réunion.
Sie finden dort einfache Wanderwege, aber vor allem anspruchsvolle Touren.
Über gekennzeichnete Pfade gelangt man beispielsweise zum Gipfel des Piton
des Neiges, der in den frühen Morgenstunden meist noch nicht von Wolken
umhüllt ist und so einen weiten Ausblick ermöglicht. In 600 Meter Höhe
befindet sich eine Berghütte unterhalb des Gipfels, die über den Talkessel
von Cilaos aus erreichbar ist. Es sind starke Anstiege, steile Abstiege.
Es gibt nichts Besseres als eine Wanderung, um die Insel zu erkunden:
Bambus, Kasuarinen, Tamarindenbäumen und wilde Ayapana-Blumen, Litschis und
Passionsfrüchte. Und es riecht nach Vanille, und zwar nach der echten
Bourbonvanille, die von La Réunion kommt. Sie verfeinert hier das
Hühnerragout genauso wie den nationalen Zaubertrank, den rhum arrangé. Aber
wir riechen auch Schwefel, denn der Berg Piton de la Fournaise zählt zu den
aktivsten Vulkanen der Welt, und gerade spuckt er.
Hochsaison für Wanderer ist zwischen Mai und November, weil dann die
Temperaturen besonders mild sind. Während der Trockenzeit im Winter sorgt
ein Wind in der Küstenregion für ein angenehmes Klima, das für Wanderungen
optimale Bedingungen schafft. „Wandern ist unsere zweites Hobby,“ sagt
Nicolas. „Das erste ist picknicken.“ Alles klar. Cari-Time. Es wird auch
Zeit.
28 Jul 2018
## AUTOREN
Edith Kresta
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