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# taz.de -- Fußball in Guadeloupe: Karibische Träume
> Guadeloupe gehört zu Frankreich. Und doch hat das Land ein Nationalteam.
> Fußballer aus der Überseeregion zieht es scharenweise nach Europa.
Bild: Schmuckvoller Eingang: Graffiti am Stadion von Les Abymes
Les Abymes taz | Aus französischer Mutterlandperspektive ist das im
südlichen Karibischen Meer gelegene Guadeloupe weit weg. Nach düsterer
Geschichte, welche von Ausbeutung und Versklavung durch Europäer*innen
geprägt wurde, ist Guadeloupe seit 1946 französisches Überseedepartement –
damit Teil der Europäischen Union, des Euroraums und weißer
Geschichtsnarrative. Zuckerrohr, Rum und Hurrikans fehlen selten in
Berichten über die Insel. In manchen Kreisen wird seit diesem Jahr auch
[1][Maryse Condé] genannt, die Gewinnerin des alternativen
Literaturnobelpreises. Über den Fußball vor Ort ist wenig bis gar nichts
bekannt.
Dabei gäbe es viel darüber zu berichten. Immer noch ist Fußball der
beliebteste Sport unter den 400.000 Einwohner*innen der Antilleninsel –
neben Basketball und neuerdings Biking. Viele weltberühmte Spieler, wie der
französische Rekordnationalspieler Lilian Thuram, Thomas Lemar (aktuell
Atlético Madrid), oder der ehemalige Bundesligaprofi Valérien Ismaël wurden
in Guadeloupe geboren oder sind mit der Region verbunden. Einer der
schnellsten Flügelspieler der Bundesliga, Kingsley Coman vom FC Bayern
München, ist in Paris geboren. Seine Eltern aber stammen aus Guadeloupe und
Coman fühlt sich laut eigener Aussage zu „100 Prozent karibisch“.
Ungezählte Kicker sind in französischen Ligen auf dem Festland unterwegs.
Über 60 Mannschaften spielen in einem viergliedrigen Ligasystem. Auch einen
Pokalwettbewerb gibt es. Erfolgreiches Abschneiden im Coupe de Guadeloupe
berechtigt zur Teilnahme am französischen Pokal. In der siebten Runde
steigt Guadeloupe mit zwei Teilnehmern in den Wettbewerb ein und trifft
erst einmal auf französische Amateurmannschaften. Der französische Verband
FFF übernimmt die Reisekosten. Diese Paarungen werden dann per Los
ermittelt, wobei Spiele in Europa und Übersee stattfinden können.
Amateurmannschaften müssen vor der Auslosung ihre Bereitschaft erklären,
Reisen in ein Überseegebiet auch anzutreten. Spiele gegen Paris
Saint-Germain oder Olympique Marseille wären später im Wettbewerb auch
möglich. Auch ein Gewinn des französischen Pokals ist theoretisch denkbar,
bei der durch starke Spielerabwanderung geschwächten Liga aber
unwahrscheinlich.
Spiele gegen europäische Mannschaften auf internationalem Parkett bleiben
Teams aus Guadeloupe indes verwehrt. Obwohl man es lange probiert hat, darf
das Land nicht Teil des [2][Fußballweltverbands Fifa] werden, weil es eben
zu Frankreich gehört. Eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen. Ohne
Mitgliedschaft in der Fifa oder dem Kontinentalverband Uefa ist eine
Teilnahme an großen Turnieren wie der WM nicht möglich.
## Emanzipatorische Bestrebungen
In Guadeloupe wird dies als ungerecht empfunden. Denn für die französische
Pazifik-Region Neukaledonien gelten andere Regeln. Seit 2004 ist man
Mitglied der Fifa. Für die Gwada Boys, wie das Team aus Guadeloupe genannt
wird, hat das weitreichende Folgen. Der einseitige und leistungsverzerrende
Abfluss von talentierten Spielern in Richtung französisches Mutterland hat
einen unangenehmen Nachhall und sorgt für Missmut, wie Gaël Couppe de K
Martin vom Fußballportal [3][Karaïbes Sports] berichtet. In Frankreich
werde die Kritik an Spielern aus der Karibik nach schwachen spielerischen
Leistungen mit Fragen nach Identität und „Loyalität“ verknüpft. Wie so
etwas im Großen aussieht, war gut zu beobachten nach der für die Franzosen
enttäuschenden WM 2010 in Südafrika.
Die Farben Frankreichs jedenfalls sind bei Auftritten der Fußballauswahl
von Guadeloupe vornehmlich im Rahmen der offiziellen Zeremonien zu sehen.
Die Guadeloupe-Fahne ist deutlich präsenter. Das bedeutet keineswegs, dass
damit der Wunsch nach vollständiger Unabhängigkeit von Frankreich zu
Ausdruck gebracht würde. Die wirtschaftliche Abhängigkeit vom französischen
Festland ist omnipräsent und eine vollständige Abkopplung wird mittlerweile
nur noch von einer kleinen Minderheit gefordert. Streben nach Emanzipation
nennen es Fans wie Gaël.
Dieses können sie bei Länderspielen auf kontinentaler Ebene ausleben. Denn
Guadeloupe ist Mitglied des Kontinentalverbands Concacaf und nimmt an
dessen Wettbewerben teil. Alle nationalen Fußballverbände aus Nord- und
Mittelamerika sowie dem Karibischen Verband sind in der Concacaf
zusammengeschlossen. Auch einige Territorien europäischer Mutterstaaten
oder der USA gehören dazu.
Ähnlich wie die Uefa hat auch die Concacaf eine [4][Nations League]
etabliert. Guadeloupe spielt in Liga C dieses Wettbewerbs. mit den Turks-
und Caicosinseln und Sint Maarten. Über diesen Wettbewerb könnten sich die
Gwada Boys für den Gold Cup qualifizieren, das Turnier, bei dem der
Fußballmeister von Nord-, Mittelamerika und der Karibik ermittelt wird. Das
ist 2011 schon einmal gelungen. 2007 wurde Guadeloupe gar Vierter bei dem
Wettbewerb. Besser war das Team nie platziert.
## Spieltag in Les Abymes
Daran denkt an diesem Tag Mitte November wohl kaum jemand in Les Abymes. In
der 55.000 Einwohner zählenden Gemeinde unmittelbar am internationalen
Flughafen deutet wenig darauf hin, dass zwei Stunden später ein Spieltag
der Nations League stattfinden soll. In einer der wenigen Bars laufen die
letzten Minuten des EM-Qualifikationsspiels Albanien gegen Frankreich. Die
Weltmeister führen in Tirana mit 2:0. Das interessiert hier nur einen Mann,
der sich ganz nah an den Fernseher gesetzt hat.
Vor dem Stadion herrscht eine ganz andere Atmosphäre. Hier warten mobile
Büdchen mit Snacks und Getränken auf Fans. Ein kleines Heineken gibt es für
2,50 Euro, ein bedrucktes Jersey der Nationalmannschaft für 60 Euro. Die
entspannte Stimmung wird im Wortsinne von lokalen Graffitisprayern
untermalt, die seit Stunden die Außenmauern des Stadions aufwendig
künstlerisch verschönern – alles legal, wie sie sagen. Der Joint, der die
Runde macht, eher nicht. Polizist*innen, die sich daran stören könnten,
sind hier nicht zu sehen, und die Ordner*innen haben eher verwaltende
Aufgaben.
Die Eintrittskarte für 10 Euro ermöglicht die Teilnahme an einem besonderen
Spektakel. Kurz nach der obligatorischen Marseillaise fallen die Tore auch
wie am Fließband. 10:0 wird es am Ende gegen chancenlose Spieler von den
Turks- und Caicosinseln lauten. Eine Karnevalsband wird nicht müde, das
Spiel mit Begleitmusik zu untermalen. Sie lassen nicht nach – genauso wenig
wie die Spieler aus Guadeloupe auf dem Rasen.
Die Tordifferenz der Auswahl in der Nations-League-Gruppe wird nach dem
Spiel bei 20:2 stehen. Das sieht beeindruckend aus und steht für
Einbahnstraßenfußball aus der französischen Talentefabrik. Großen Wert hat
sie nicht wirklich.
27 Dec 2019
## LINKS
[1] /Alternativer-Literaturnobelpreis/!5557043
[2] /Fussballkonflikte-auf-dem-Balkan/!5637108
[3] https://karaibes-sports.com/
[4] https://www.concacafnationsleague.com/
## AUTOREN
Rico Noack
## TAGS
Fußball
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