# taz.de -- Fußballkonflikte auf dem Balkan: Aus der Isolation | |
> Das Kosovo strebt immer noch nach internationaler Anerkennung. Deshalb | |
> löst die mögliche Qualifikation für die EM Euphorie aus. | |
Bild: Chance, wahrgenommen zu werden: Amir Rrahmani (r.) im Zweikampf mit Engla… | |
Viele Freunde waren tot, sein Haus in Pristina nur noch Schutt und Asche. | |
Wie Hunderttausende Landsleute hatte der Fußballer Eroll Salihu das Kosovo | |
verlassen, er spielte in der dritten deutschen Liga in Wilhelmshaven, | |
machte in Barsinghausen seinen Trainerschein. In den Nachrichten verfolgte | |
er, wie seine Heimat Ende der 1990er Jahre in weiten Teilen zerstört wurde. | |
13.000 Menschen starben im Kosovokrieg zwischen der serbisch dominierten | |
Armee Jugoslawiens und der UÇK, der „Befreiungsarmee des Kosovo“. Eroll | |
Salihu sagt: „Wir haben unglaublich gelitten.“ | |
Damals hat er es nicht für möglich gehalten, dass das kleine Kosovo zwanzig | |
Jahre später den vielleicht größten Erfolg seiner Geschichte feiern könnte: | |
Mit zwei erfolgreichen Spielen am Donnerstag in Tschechien und am Sonntag | |
zu Hause gegen England könnte sich das Nationalteam für die EM 2020 | |
qualifizieren. „Für das Spiel gegen England hätten wir locker 200.000 | |
Tickets verkaufen können“, sagt Salihu, seit 2006 Generalsekretär des | |
kosovarischen Fußballverbandes. „Leider konnten wir nur knapp 14.000 | |
vergeben. Die Stimmung wird wunderbar sein, denn der Fußball bringt unser | |
Land zusammen.“ | |
Um die Dimension des Erfolgs deutlich zu machen, zieht Eroll Salihu | |
historische Linien. Im sozialistischen Jugoslawien hatte das kleine Kosovo | |
eine Sonderrolle, zur Bevölkerung gehörten mehrheitlich Albaner. Ob | |
Gesundheitswesen, Bildung oder hohe Ämter: die meist muslimischen | |
Kosovo-Albaner waren im Vielvölkerstaat unterrepräsentiert. | |
Einer der wenigen Orte, wo sie Protest dagegen äußerten, war das Stadion | |
des FC Pristina, des wichtigsten Klubs ihrer Region. Trotzdem schaffte es | |
in der Geschichte Jugoslawiens nur ein Albaner ins Nationalteam: der | |
Stürmer [1][Fadil Vokrri]. „Wir Albaner wurden häufig als Bürger zweiter | |
Klasse angesehen“, sagt der Schriftsteller Beqë Cufaj, seit 2018 | |
Botschafter des Kosovo in Berlin. „Fadil Vokrri musste zwei- bis dreimal | |
besser spielen als seine Kollegen, um im Nationalteam akzeptiert zu | |
werden.“ | |
## Verbotene Spiele auf den Dörfern | |
Das jugoslawische Parlament nahm die Autonomie des Kosovo 1990 zurück. | |
Unter dem Präsidenten Slobodan Milošević ging die serbisch dominierte | |
Polizei streng gegen Kosovo-Albaner vor, auch im Fußball. Kosovarische | |
Spieler zogen sich aus den jugoslawischen Ligen zurück und bauten eigene | |
Strukturen auf, mit geheim organisierten Turnieren und geschmuggelten | |
Bällen aus dem Ausland. „Wir hatten einen eigenen Fußballverband, das war | |
eigentlich verboten und brachte uns in Gefahr“, erzählt der in Hessen | |
lebende Reiseveranstalter Remzi Ejupi, der dem FC Pristina als Präsident | |
vorsteht. „Wir haben damals in abgelegenen Dörfern gespielt, ohne | |
Umkleidekabinen. Der Fußball gab uns viel Kraft in dieser Zeit.“ | |
Die Spannungen zwischen Serben und Kosovaren mündeten 1998 in den | |
Kosovokrieg. Nach der Beendigung durch den Nato-Kampfeinsatz 1999 kehrten | |
innerhalb weniger Wochen 80 Prozent der Flüchtlinge zurück, bald auch Eroll | |
Salihu, er sagt: „Am Anfang war es sehr schwer, Strukturen im Fußball | |
aufzubauen. Wir waren [2][isoliert].“ Das bereits 1993 gegründete | |
Nationalteam fand selten Gegner für Testspiele – auch nach der | |
Unabhängigkeitserklärung des Kosovo 2008. | |
Das Kosovo ist noch nicht Mitglied der Vereinten Nationen. Für eine | |
Verankerung in der internationalen Gemeinschaft bemüht sich die Regierung | |
um globale Organisationen. Als Durchbruch feierten die Kosovaren 2014 ihre | |
Aufnahme in das Internationale Olympische Komitee IOC, 2016 folgte der | |
Eintritt in Uefa und Fifa. Als Generalsekretär des kosovarischen | |
Fußballverbandes ging Eroll Salihu auf die Suche nach Nationalspielern. | |
„Wir haben Glück im Unglück“, sagt er. „Viele Eltern sind vor dem Krieg | |
nach Westeuropa geflohen. Und ihre Kinder spielen heute für unser | |
Nationalteam.“ | |
Fast zwei Jahre hatte das Team Heimspiele in Shkodra bestreiten müssen, im | |
Norden Albaniens. 2018 wurde in Pristina die Sanierung der neuen Heimstätte | |
beendet. Zuletzt blieb die Nationalmannschaft 15 Spiele ungeschlagen. In | |
der Nations League der Uefa gewann sie ihre Gruppe in der Liga D. Auch in | |
der EM-Qualifikation begeisterte sie mit Siegen gegen Bulgarien und | |
Tschechien. „In internationalen Ranglisten steht das Kosovo nur in | |
negativen Themen an der Spitze, bei Korruption oder organisiertem | |
Verbrechen“, sagt der Journalist Eraldin Fazliu von Birn, dem Balkan | |
Investigative Reporting Network. „Der Fußball leistet etwas, was die | |
Politik nicht geschafft hat: Er gibt der Jugend Hoffnung. Und er ist eines | |
der wenigen Themen, die uns im Ausland Anerkennung verschaffen.“ | |
## Im Identitätsdilemma | |
Fazliu erzählt auch, dass der sportliche Aufschwung viele Landsleute in ein | |
Identitätsdilemma gestürzt habe. Wie Fazliu unterstützen noch heute viele | |
Kosovaren das Nationalteam des Nachbarstaates Albanien, doch langsam geht | |
die Zahl der roten albanischen Flaggen in Pristina zurück. Es gibt aber | |
auch Ärger: Spieler wie Milot Rashica, Herolind Shala oder Alban Meha | |
hatten bereits einige Spiele für Albanien bestritten, ehe sie zum | |
Nationalteam des Kosovo wechselten. In albanischen Medien wurden sie auch | |
als Verräter bezeichnet. | |
Druck gibt es auch von anderer Seite. Acht Prozent der Kosovaren haben | |
serbische Wurzeln. Viele von ihnen akzeptieren das Kosovo nicht als Staat, | |
sondern nur als kulturelles Hinterland Serbiens. „Serbische Spieler werden | |
unter Druck gesetzt, nicht gegen das Kosovo anzutreten“, berichtet der | |
britische Reporter Jack Robinson vom Onlinemedium Prishtina Insight. | |
Mehrfach bestritt Roter Stern Belgrad Wohltätigkeitsspiele in serbischen | |
Enklaven des Kosovo. Gästefans hissten dort serbische Flaggen, sangen die | |
serbische Hymne und zeigten eine Flagge des fiktiven „Großserbien“. | |
Im Juni wurde Ljubiša Tumbaković als Nationaltrainer Montenegros entlassen. | |
Der Serbe hatte sich geweigert, gegen das Kosovo an der Seitenlinie zu | |
stehen. Kurz darauf wurde er von Serbien als Nationaltrainer verpflichtet. | |
Im September nahm die kosovarische Polizei acht tschechische Fans fest. Sie | |
wollten beim Spiel zwischen Kosovo und Tschechien offenbar eine Drohne | |
steigen lassen mit dem Schriftzug: „Kosovo ist Serbien“. Nun tritt das | |
Kosovo zum Rückspiel in Tschechien an. Diplomatische Komplikationen: nicht | |
ausgeschlossen. | |
13 Nov 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Fadil_Vokrri | |
[2] /Leben-in-Kosovo/!5482664 | |
## AUTOREN | |
Ronny Blaschke | |
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