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# taz.de -- Sachbuch über Rassismus in den USA: Mehr als nur Schwarz gegen Wei…
> Wieso gibt es schwarze Eliten, aber trotzdem Rassismus? US-Forscherin
> Keeangha-Yamattha Taylor sucht in ihrem neuen Buch nach Antworten.
Bild: Die Geburt von #BlackLivesMatter 2012 hing eng mit dem Tod von Trayvon Ma…
Als Barack Obama Ende Mai [1][auf dem Kirchentag in Berlin auftrat], da
hinterließ er mal wieder einen dieser glänzenden Eindrücke. Trat mit Angela
Merkel vor dem Brandenburger Torauf. Sagte dort Dinge wie „In den Augen
Gottes verdient das Kind auf der anderen Seite der Grenze nicht weniger
Liebe und Mitgefühl als mein eigenes Kind“. War noch besser gelaunt als
noch während seiner Präsidentschaft. Und präsentierte sich auch als krasses
Gegenteil zum aktuellen US-Präsidenten Donald Trump.
Die Ära, in der Obama noch im Amt war – vielen erscheint sie aus heutiger
Perspektive fast paradiesisch. Natürlich, er enttäuschte auch viele
Hoffnungen, die in ihn gesetzt wurden. Und doch war Obama der erste
Schwarze Präsident. Und als solcher ein deutliches Symbol – das so manchen
schon zu der Deutung verführte, seine Präsidentschaft als den Beginn einer
neuen, postrassistischen Epoche zu bezeichnen.
Wobei sich schon während seiner zwei Amtszeiten deutlich abzeichnete, wie
wenig postrassistisch Amerika unter Obama tatsächlich war: Sowohl der
Zugang zu Bildung als auch die Chancen auf dem Arbeitsmarkt sind für
Afroamerikaner auch heute noch schlechter. Eine Million
Afroamerikaner*innen sitzt in den überfüllten US-Gefängnissen – das sind im
Verhältnis zu ihrem Bevölkerungsanteil überdurchschnittlich viele. Zehn
Prozent aller Afroamerikaner*innen dürfen nicht wählen, weil sie einmal
eine Gefängnisstrafe verbüßt haben – und jeder vierte Schwarze Mann
zwischen 20 und 29 Jahren steht unter der Aufsicht einer
Strafjustizbehörde.
Auf der einen Seite stehen also acht Jahre unter einem modernen,
charismatischen, Schwarzen Präsidenten. Auf der anderen Seite sind die
Folgen von Rassismus für Millionen von Afroamerikanern tagtäglich
Realität. Wie kann man das zusammendenken? Dieser Frage geht
Keeangha-Yamattha Taylor in ihrem Buch „Von #BlackLivesMatter zu Black
Liberation“ nach, das nun in deutscher Übersetzung erscheint.
Die Professorin für African American Studies an der Universität Princeton
weist darin nach, dass Rassismus mehr ist als der Kampf Schwarz gegen Weiß.
Denn allein diese Perspektive vermag nicht zu erklären, warum es in den USA
heute zwar eine Schwarze Elite gibt, aber trotzdem Rassismus. Warum
Schwarze Bürgermeister und Schwarze Polizisten Schwarze junge Männer nicht
davor schützen, erschossen zu werden. Und ein Schwarzer Präsident den
afroamerikanischen Familien nicht geholfen hat, die nach der Finanzkrise
öfter und schneller als weiße Familien ihre Häuser verloren.
## Unverhältnismäßig hohe Zahl an Verhaftungen
Forscherin Taylor wirft Obama und anderen Mitgliedern der Schwarzen Elite
vor, den Diskurs der Farbenblindheit vorangetrieben zu haben und damit
Rassismus zu verschleiern. Sie zeigt, welche Hoffnungen viele
Afroamerikaner in Obama gesetzt hatten – besonders nach den Jahren unter
Präsident George W. Bush, die ein Rückschritt gewesen waren. War doch zum
Beispiel an den Folgen von Hurrikan Sandy deutlich abzulesen, wie
verwurzelt der Rassismus immer noch war.
Doch statt für die afroamerikanische Community zu sprechen sagte Obama:
„Ich bin nicht der Präsident des Schwarzen Amerikas. Ich bin der Präsident
der Vereinigten Staaten von Amerika.“ Statt von strukturellem Rassismus
sprach er von einer Kultur des Rassismus. Symbolischen Ausdruck findet dies
in Obamas Reden über die abwesenden Schwarzen Väter, schreibt Taylor: „Wenn
Obama über ‚abwesende Schwarze Väter‘ spricht, erwähnt er nie die völlig
unverhältnismäßig hohe Zahl an Verhaftungen und Verurteilungen, die
verantwortlich für diese Abwesenheit sind.“
Natürlich hat Obama diese Spielart des neoliberalen und rassistischen
Diskurses nicht erfunden, vielmehr war sie eine direkte Antwort auf die
Errungenschaften der Bürgerrechtsbewegung der 1950er und 1960er Jahre.
Taylor beschreibt ihrem Buch, wie Ronald Reagan in seinem Wahlkampf um die
republikanische Präsidentschaftskandidatur 1976 offen rechte Wähler umwarb,
indem er neue wohlfahrtsstaatliche Errungenschaften diskreditierte, die
durch Rassismus produzierte Ungleichheiten ausgleichen sollten. Der
dahinter stehende rassistische Diskurs verfestigte sich allerdings erst,
als auch der demokratische Kandidat und spätere Präsident Jimmy Carter
einstimmte. Und er wirkt bis heute, bis zu den Obamas und darüber hinaus.
## Der Tod von Trayvon Martin im Winter 2012
Trotzdem gibt es Hoffnung. Heute existiert wieder eine große Soziale
Bewegung in den Vereinigten Staaten, die den Rassismus und seine
vielfältigen Formen offen benennt. Black Lives Matter ist eine Antwort auf
die Verschleierung des Rassismus und kann laut Taylor auch als Reaktion auf
die Enttäuschung über Präsident Obama gelesen werden.
Schon die Ursprünge von [2][#BlackLivesMatter] hängen eng mit einem
Schlüsselmoment dieser Enttäuschung zusammen: dem [3][Tod von Trayvon
Martin im Winter 2012]. Martin, ein junger Schwarzer Mann, wurde,
unbewaffnet und bekleidet mit einem Schwarzen Kapuzenpullover, auf dem
Heimweg von einem Nachbarschaftswächter namens George Zimmerman erschossen.
Zimmerman berief sich auf Notwehr, die Polizei ließ ihn zunächst laufen –
doch in Sozialen Medien kochte die Diskussion des Falles hoch. Im ganzen
Land kam es zu Demonstrationen und Protesten gegen Rassismus und
Polizeigewalt, die immer größer wurden. Wochen später wurde Zimmermann
verhaftet, aber vor allem waren der Hashtag #BlackLivesMatter und eine
Bewegung geboren.
Diese Bewegung existiert mittlerweile seit fast fünf Jahren. Es gibt
Gruppen in fast allen amerikanischen Städten und mittlerweile auch in
anderen Ländern. Die Black-Lives-Matter-Bewegung funktioniert dezentral,
hat vielfältige Protestformen – von Social-Media-Kampagnen und
Demonstrationen bis hin zu Brückenblockaden – im Repertoire, die bekannten
Führungspersönlichkeiten von Black Lives Matter sind überwiegend weiblich
und queer. Es ist der Bewegung gelungen, Rassismus als Thema wieder auf die
Agenda zu setzen.
## Autorin erhält Morddrohungen
Aber nach fünf Jahren stellt sich auch die Frage, wie es mit Black Lives
Matter weitergehen soll – gerade unter einem Präsidenten Trump. Diese Frage
stellt sich auch Taylor und schreibt, dass der weitere Erfolg der Bewegung
auch davon abhängen werde, ob die Bewegung es schafft, weiterhin „die
Verbindungen zwischen der Polizeigewalt und anderen Formen Schwarzer
Unterdrückung“ aufzuzeigen.
Taylor liefert in ihrem Buch viele Beispiele für positive Bündnis-Ansätze,
die Kritik an strukturellem Rassismus mit dem Kampf gegen Ungleichheit
verbinden. Etwa dem für einen Mindestlohn von 15 Dollar pro Stunde – sind
es doch vor allem Afroamerikaner und Hispanics, die Jobs übernehmen müssen,
die schlechter bezahlt sind.
Nicht nur in dieser Hinsicht ist Taylors Buch mehr als eine Analyse einer
aktuellen Sozialen Bewegung. Ihre Erkenntnisse über die Potenziale
radikaler Bewegungen lassen sich auch auf andere linke Projekte übertragen.
Sie warnt sowohl von entradikalisierender staatlicher Vereinnahmung als
auch vor identitäter Abschottung, die letztlich nicht nur die Bildung von
Bündnissen unmöglich macht, sondern auch die ökonomischen Dimensionen von
Unterdrückungen ausblendet. Darüberhinaus zeigt Taylor sowohl im
historischen Rückblick als auch in ihrer scharfsinnigen Gegenwartsanalyse,
wie struktureller Rassismus auf vielfältige Weise im amerikanischen
Klassensystem verankert ist, und liefert damit nicht nur für
Amerika-interessierte Leser eine der stärksten und aktuellsten
Rassismus-Analysen.
Doch „Von #BlackLivesMatter zu Black Liberation“ ist auch eine Kampfschrift
gegen den Neoliberalismus, der die Schuld dem Einzelnen zuweist und so
ohnmächtig macht. Es beinhaltet eine kämpferische Zukunftsperspektive. So
kämpferisch, dass mittlerweile auch die amerikanische Rechte offenbar
mitbekommen hat, wie gefährlich Taylors Thesen ihnen werden könnten: Vor
einigen Wochen sendete der US-Fernsehsender Fox News einen 20-minütigen
Clip von einer ihrer Reden aus. Daraufhin erhielt Taylor so viele
Morddrohungen, dass sie mehrere Vorträge an US-Universitäten absagte.
6 Jun 2017
## LINKS
[1] /Berlin-im-Obama-Fieber/!5412400
[2] https://twitter.com/search?q=blacklivesmatter&src=typd
[3] /Erschossener-US-Teenager/!5072420
## AUTOREN
Nina Scholz
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