# taz.de -- Flüchtlinge auf Lesbos: Der schmutzige Deal | |
> Flüchtlinge, die nun in Griechenland ankommen, sollen in die Türkei | |
> zurück. Hilfsorganisationen werden so zu Helfershelfern einer inhumanen | |
> Politik. | |
Bild: Flüchtlinge im Camp Moria auf Lesbos | |
LESBOS taz | Schon von Weitem ist das große Lagerfeuer am Strand von Lesbos | |
bei der Hafenstadt Mytilini zu sehen. Musik schallt aus den | |
Lautsprecherboxen eines nah geparkten Autos. Auf zwei großen Grills liegen | |
Folienkartoffeln und Fleisch. Spanisch, Deutsch, Arabisch und immer wieder | |
Englisch ist zu hören. Die Leute sind jung, im Durchschnitt höchstens 30 | |
Jahre. | |
Was wie eine Strandparty aussieht, ist ein Treffpunkt der unterschiedlichen | |
Hilfsorganisationen auf Lesbos, jener griechischen Insel, auf der die | |
meisten Flüchtlinge ankommen bei ihrem Versuch, in die Europäische Union zu | |
gelangen. Mehrmals in der Woche besprechen sich die HelferInnen, tauschen | |
sich aus, berichten von traurigen und tragischen Erlebnissen, versuchen sie | |
so zu verarbeiten. | |
Auch Nefeli Bami steht am Lagerfeuer, hält einen Plastikteller mit | |
Kartoffeln und Hühnchen in der Hand und unterhält sich mit einem | |
Rettungsschwimmer. Die 31-Jährige ist Koordinatorin der Uferwache der | |
UN-Hilfsorganisation UNHCR und seit gut fünf Monaten auf der Insel. „Die | |
Lage hier hat sich komplett verändert“, sagt Bami. Es klingt nüchtern. | |
Bis vor einigen Wochen liefen sie und weitere UNHCR-MitarbeiterInnen | |
täglich die Strände ab, um nach Flüchtlingsbooten Ausschau zu halten und | |
dann so gut wie möglich Erste Hilfe zu organisieren. Es lief reibungslos, | |
so Bami: Sie standen in Kontakt mit Organisationen, die für Decken, heißen | |
Tee und Nahrung zuständig waren, mit den Rettungsschwimmern und mit den | |
Ärzten, die für die psychologische Betreuung der Flüchtenden da waren. Auch | |
Übersetzer, Informanten und ein Shuttle zu den Camps waren organisiert. | |
## Sie schauten nicht weg | |
„Der griechische Staat und die EU haben sich da schön zurückgelehnt“, sagt | |
Bami. „Obwohl das Problem des immer stärkeren Flüchtlingszustroms | |
offensichtlich war, wurde alles den NGOs und den freien Helferinnen | |
überlassen.“ | |
Bami lacht auf. Vor etwa zwei Monaten habe die griechische Küstenwache | |
damit begonnen, die Flüchtlingsboote aus hoher See in den Hafen zu | |
geleiten. Zwar kamen dort dann wieder die Organisationen und Freiwilligen | |
zum Zuge. „Ministerpräsident Alexis Tsipras konnte so aber sagen, dass der | |
Staat sich für die Rettung der Flüchtlinge einsetzte – ein diplomatischer | |
Schachzug.“ Wieder schüttelt Bami den Kopf. Das sei ja noch okay gewesen, | |
denn die HelferInnen hätten Zugang zu den Flüchtlingen gehabt. | |
Doch dann wurde der Deal zwischen der EU und der Türkei beschlossen. Das | |
Abkommen sieht vor, dass alle Flüchtlinge, die seit dem 20. März in | |
Griechenland angekommen sind, zurück in die Türkei geschickt werden. Für | |
jeden illegal eingereisten und folglich abgeschobenen Syrer soll die EU | |
einen Syrer aus der Türkei aufnehmen, der dann auf legalem Weg einreist – | |
bis zu einer bisherigen Obergrenze von 72.000 Menschen. | |
## Hotspot als Gefängnis | |
„Europa kann Hilfesuchende doch nicht einfach so abschieben“, sagt Bami. | |
Das verstoße gegen die eigentlichen Werte der Europäischen Union. Bisher | |
konnten die Flüchtlinge nach ihrer Registrierung in einem Hotspot nach | |
Athen weiterreisen und von da nach Nordeuropa. Jetzt soll jeder Flüchtling | |
seinen Asylantrag im Hotspot stellen, der von der Asylbehörde direkt vor | |
Ort geprüft wird. Wer nicht genehmigt wird, kommt weg. Doch werden die | |
Anträge momentan gar nicht bearbeitet, weil die Behörden abwarten, bis die | |
Türkei als sicheres Herkunftsland eingestuft wird. Erst dann kann man die | |
Flüchtlinge legal abschieben. | |
Dennoch fängt die griechische Küstenwache, seitdem der Beschluss offiziell | |
in Kraft ist, die Flüchtlingsboote ab und bringt die Menschen direkt nach | |
Moria. „Der Hotspot ist zum Gefängnis geworden“, so Bami. Das einstige | |
offene Camp dürfen die Flüchtlinge jetzt nicht mehr verlassen. | |
Viele der Flüchtenden wüssten gar nicht, wie ihnen geschehe, berichtet | |
Bami. Sie hätten sich ein freies Land erhofft, nach Frieden und normalen | |
Lebensbedingungen gesehnt. Jetzt säßen sie hinter Zäunen und bekämen keine | |
Informationen, wie lange sie dort ausharren müssten. | |
## Spannungen im überfüllten Lager | |
Die griechischen Behörden scheinen es auch nicht zu wissen. Griechenland | |
ist nicht ausreichend auf die Durchführung des Abkommens vorbereitet – die | |
2.000 Plätze des geschlossenen Camps in Moria reichen nicht. Schon jetzt | |
sind weit über 2.500 Flüchtlinge dort. Die Essensversorgung ist kaum noch | |
gewährleistet. | |
Die Menschen leben dort zusammengepfercht. Das erzeuge logischerweise | |
Spannung, so Bami. Immer wieder kommt es zu Demonstrationen, die aber | |
nichts bewirken. Es sei schrecklich zu sehen, wie Familien und schwangere | |
Frauen in die Camps abgeführt werden. „Da werden Kinder eingesperrt.“ Auch | |
eine 92-jährige Frau lebt dort. | |
Schon am Montag sollen nach derzeitiger Planung die ersten Abschiebungen in | |
die Türkei vorgenommen werden. Das Parlament in Athen wird deshalb vorab im | |
Schnellverfahren die nötigen Vorgaben zur Umsetzung des Flüchtlingspakts | |
der EU mit der Türkei ratifizieren. Der Gesetzentwurf wurde dem Parlament | |
am Donnerstag vorgelegt, berichtete das Staatsfernsehen ERT. Darin geht es | |
unter anderem um die Rechtmäßigkeit der Rückführung von Flüchtlingen und | |
Migranten in die Türkei. | |
## Nun sollen sie wegschauen | |
Das UNHCR hat sich nach dem EU-Türkei-Beschluss etwas zurückgezogen. Zuvor | |
übernahm es auch den Transport der Flüchtlinge nach ihrer Ankunft in die | |
Camps. „Das können wir jetzt nicht mehr tun. Da macht man sich | |
mitverantwortlich, Flüchtlinge ins Gefängnis zu stecken“, sagt Bami. Das | |
UNHCR ist in Moria nun nur beratend tätig. Man kläre die Flüchtlinge über | |
ihre Rechte auf. Doch das sei, da die Lage so chaotisch sei, nicht | |
ausreichend machbar. | |
„Was soll man den Menschen sagen?“, Bami zuckt hilflos mit den Schultern. | |
„Vielleicht schickt man dich in die Türkei, ja, auch wenn du Kurde bist, | |
denn Europa hat beschlossen, dass die Türkei ein sicheres Land ist.“ Sie | |
senkt den Kopf. Es sei sehr hart, den Menschen so etwas sagen zu müssen. | |
Das UNHCR werde in den kommenden Tagen versuchen, wenigstens Schwangere, | |
Kranke, Alte und Minderjährige unter Berufung auf mangelnde ärztliche | |
Versorgungsmöglichkeiten vor Ort aus dem Camp zu befreien, berichtet sie. | |
1 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Theodora Mavropoulos | |
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