# taz.de -- Abschiebungen von Lesbos in die Türkei: Die Furcht vor der Fahrt z… | |
> Am Montagmorgen soll die Abschiebung der Flüchtlinge von der Insel in die | |
> Türkei beginnen. Im Camp Moria breitet sich deshalb Panik aus. | |
Bild: „Niemand ist illegal“, aber viele Flüchtlinge werden so behandelt | |
Lesbos taz | Die Rauchschwaden von Lagerfeuern ziehen über das | |
Flüchtlingscamp Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Es ist kalt. | |
Zahlreiche Flüchtlinge liegen in Ecken auf dem Boden in Decken gehüllt. Sie | |
haben keinen Platz mehr in einem der Zelte, geschweige denn in einem | |
Container bekommen. Der Registrierungshotspot, der seit dem Türkei-EU-Deal | |
zum geschlossenen Lager wurde, ist überfüllt. Das Camp ist für höchstens | |
1.500 Menschen vorgesehen – doch jetzt sind etwa 3.000 in dem Lager | |
eingesperrt. In Europa sollen sie nicht bleiben dürfen. | |
Die Vereinbarung sieht vor, dass Flüchtlinge, die nach dem 20. März in | |
Griechenland angekommen sind, in die Türkei abgeschoben werden. Als | |
Gegenleistung will die EU syrische Flüchtlinge aus der Türkei aufnehmen. | |
In Griechenland neu ankommende Flüchtlinge werden jetzt von der Küstenwache | |
abgefangen und direkt nach Moria gebracht. Der Deal soll das Geschäft der | |
Schlepper zerstören. Doch der Flüchtlingsstrom reißt noch nicht ab. In der | |
Nacht von Samstag auf Sonntag kamen allein auf Lesbos mehr als 500 Menschen | |
vom nahen türkischen Festland an. | |
„Ich konnte nicht in Syrien bleiben“, sagt Hanna aus Damaskus, die ihren | |
Nachnamen nicht nennen möchte. Ja, sie wisse von dem Abkommen zwischen der | |
Europäischen Union und der Türkei. Sie sei bei den Aufständen dabei | |
gewesen, habe immer für eine demokratisches Syrien gekämpft. Nun sei sie | |
massiv bedroht worden. Und dann der Krieg. „Ich hatte keine Wahl“, sagt | |
Hanna. Vorgestern sei sie mit einem kleinen, überfüllten Boot auf Lesbos | |
angekommen. 2.000 Euro habe die Überfahrt gekostet. Die griechische | |
Küstenwache habe das Boot abgefangen. Dann wurden sie nach Moria gebracht. | |
„Das hier ist kein Flüchtlingslager, das ist ein Gefängnis“, sagt sie. Die | |
umstehenden Flüchtlinge nicken. | |
## Unerträgliche Spannung | |
Einen Tag vor der ersten geplanten Rückführung herrscht Panik im Camp | |
Moria. „Man kann uns doch jetzt nicht einfach zurückschicken“, sagt eine | |
Frau, die neben Hanna steht und ihren Namen nur mit Asma angibt. Auch sie | |
komme aus Syrien, aus Homs. Sie wisse, dass Europa zwar sage, dass die | |
Türkei ein sicheres Land sei. „Ich habe aber solche Angst, dass uns die | |
Türken nach Syrien schicken“, sagt Asma. Nach einer Studie von Amnesty | |
International ist anihren Befürchtungen etwas dran. Die Türkei soll demnach | |
seit Januar mehrere tausend Syrer gegen ihren Willen zurück ins | |
Kriegsgebiet geschickt haben. | |
Die Abschiebungen sollen dennoch an diesem Montag beginnen. Bis vor Kurzem | |
waren kaum Details über das Prozedere der Rückführung bekannt. Nun steht | |
ein vorläufiger Plan: Danach sollen die griechische Küstenwache und die | |
EU-Grenzschutzagentur Frontex bis Mittwoch etwa 750 Flüchtlinge mit zwei | |
türkischen Schiffen von der Insel Lesbos in den nahen türkischen Hafen | |
Dikili bringen. Da Widerstand aufseiten der Flüchtlinge erwartet wird, sind | |
starke Sicherheitsmaßnahmen vorgesehen: Jeder Ausgewiesene wird von einem | |
Polizisten der griechischen Polizei oder von Frontex begleitet werden. | |
Geplant ist, dass der türkische Katamaran „Nazli Jale“ und die Kleinfähre | |
„Lesbos“ die Menschen gegen zehn Uhr am Morgen von der Hafenstadt Mytilini | |
auf Lesbos in die Türkei bringen. „Unsere große Sorge ist, wie man die | |
Menschen aus Moria herausholt“, sagt Dimitris Amoutzias, stellvertretender | |
Leiter der Moria-Registrierungsstelle. Natürlich seien das Menschen und die | |
Situation sei hart, doch der Plan stehe und müsse von der Polizei und der | |
Küstenwache ausgeführt werden. „Das ist unser Job“, sagt der 34-Jährige | |
trocken. | |
Im Camp Moria wird die Spannung immer unerträglicher. Immer wieder bricht | |
Streit zwischen den Flüchtlingen unterschiedlicher Nationalitäten aus. | |
„Warum seid ihr denn hier? Warum?“, faucht Hanna einen Mann aus dem Iran | |
an. Sie hätten Krieg in ihrer Heimat, er wolle sich nur ein schönes Leben | |
machen, ruft sie. Der junge Mann, der mit seinem Onkel nach Griechenland | |
geflüchtet ist, verstummt. Er sei im Iran gefoltert worden, sagt er leise, | |
und wendet sich ab. Gestern flogen Steine, als es zum Streit zwischen | |
Afghanen und Pakistanern kam. Ein Flüchtling erlitt eine leichte | |
Schnittwunde durch ein Messer. | |
## Den Männern ausgeliefert | |
Hanna und Asma haben sich an eine kleine Mauer gelehnt, über der sich die | |
hohen Zaungitter mit Stacheldraht gen Himmel strecken. Die Situation hier | |
im Camp sei unerträglich. Keine Informationen, schmutzige Toiletten, nicht | |
ausreichend Duschen für die ganzen Menschen. Auch die Nahrung sei nicht | |
mehr für alle gewährleistet. Mehr als 500 Menschen gingen am Abend leer | |
aus. | |
„Aber am schlimmsten sind diese zahlreichen Annäherungsversuche vieler | |
Männer hier“, seufzt Hannah. Wie auf Zuruf schlendert ein junger Mann | |
langsam an den Frauen vorbei und zischelt etwas in deren Richtung. Sie und | |
viele andere Frauen hier haben Angst, sich im Camp zu bewegen. Asma nickt, | |
und andere Frauen, die hinzugekommen sind, bestätigen Hannas Aussage. | |
Bisher sei es noch zu keiner Vergewaltigung gekommen. „Aber wir sind den | |
Männern hier ausgeliefert, können ja kein Zimmer abschließen“, sagt Hanna. | |
Die Essenausgabe sei besonders schlimm. Da herrsche immer so ein Gedränge, | |
dass kaum auszumachen sei, welcher Körper einem da zu nah kommt. | |
Ein sechs Monate altes Baby schreit. Der junge Vater hält es in die Höhe, | |
wiegt das Mädchen in seinen Armen. Der junge Syrer holt einen Bekannten | |
hinzu. Der zückt ein Smartphone und spielt ein Video ab: Schreie, ein Boot | |
der türkischen Küstenwache kommt näher. Einer der türkischen Küstenwachen | |
zückt ein großes Messer und sticht auf das Boot der Flüchtlinge ein. „Die | |
wollten uns ertränken“, so der junge Vater. Die Insassen hätten nach dem | |
Zwischenfall all ihre Habseligkeiten über Bord geworfen und es mit dem | |
sinkenden Boot bis nach Griechenland geschafft. „Und dahin sollen wir | |
zurück?“, fragt er. | |
3 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Theodora Mavropoulos | |
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