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# taz.de -- Ungeborenes Leben: Der gespendete Embryo
> In Bayern wird gegen Ärzte ermittelt, die überzählige Embryonen an Frauen
> vermitteln. Der Deutsche Ethikrat fordert nun eine gesetzliche Regelung.
Bild: Untersuchung von Eizellen für eine künstliche Befruchtung
Berlin taz | Nach fünf Jahren, sieben erfolglosen künstlichen
Befruchtungsversuchen, immensen Kosten und großer Enttäuschung wollten die
Müllers ihren Wunsch nach einem eigenen Kind aufgeben. Vielleicht, das
sagten sie ihrem Arzt in Bayern, müssten sie sich nun an den Gedanken
gewöhnen, dass für sie nur eine Adoption in Frage komme. Da hatte der Arzt
noch eine Idee: Die Müllers könnten es mit einer Embryospende probieren.
Dabei wird ein Embryo, der ursprünglich zur Kinderwunschbehandlung eines
anderen Paars aus deren Eizelle und Spermien im Reagenzglas gezeugt wurde,
in die Gebärmutter einer fremden Frau übertragen. Das kommt beispielsweise
dann in Frage, wenn das Paar, aus dessen Keimzellen der Embryo entstanden
ist, diesen gar nicht mehr selbst braucht, weil die Frau bereits schwanger
geworden ist. Anstatt den überzähligen Embryo wegzuwerfen, bekommt ihn eine
andere Frau, die sonst gar kein Kind austragen könnte.
Die Müllers waren skeptisch, zunächst. Denn genetisch ist das Kind, das
sodann im Bauch der Empfängerin heranwächst und von ihr geboren wird, weder
mit der Mutter noch mit dem Vater, die es aufziehen werden, verwandt. „Und
dennoch gibt es einen großen Unterschied zur Adoption: Das Paar hat eine
Schwangerschaft und Geburt erlebt, das Kind wird unmittelbar in eine
Familie hineingeboren“, sagt der bayerische Arzt. Das überzeugte die
Müllers.
Ein weiterer Vorteil: Überzählige Embryonen aus beendeten
Kinderwunschbehandlungen, die in der Regel auf Wunsch des Paars vernichtet
werden, können sich nun weiter entwickeln. Das, sagt der Arzt, sei im Sinne
des Embryonenschutzgesetzes: Es verlangt, dass bei künstlichen
Befruchtungsverfahren nur so viele entwicklungsfähige Embryonen entstehen,
wie der Frau schlussendlich auch eingesetzt werden dürfen; das sind nach
geltendem Recht maximal drei pro Zyklus. Das aber gelingt nicht immer,
manchmal entstehen mehr Embryonen als gewünscht, trotz moderner
Algorithmen. Dank der Spende hätten diese überschüssigen Embryonen
neuerdings eine Lebenschance, betont der Arzt.
## Für Ärzte ein Risiko
Sein Name darf dennoch nicht in der Zeitung erscheinen. Er befürchtet,
strafverfolgt zu werden; gegen mehrere seiner Kollegen, die sich 2013 in
Bayern zum gemeinnützigen „Netzwerk Embryonenspende“ zusammengeschlossen
haben, ermittelt bereits die Staatsanwaltschaft Augsburg. „Wegen des
Verdachts der Beihilfe zur missbräuchlichen Anwendung von
Fortpflanzungstechniken“, wie der Sprecher der Augsburger
Staatsanwaltschaft der taz erklärt.
Die inkriminierten bayerischen Ärzte und ihre Kollegen vermitteln gegen 150
Euro Verwaltungsgebühr Spender- an Empfängerpaare. Zudem übertragen sie
überschüssige Embryonen - die Zustimmung der genetischen Eltern
vorausgesetzt - anderen Frauen für 500 bis 700 Euro. Wegen der hohen
Nachfrage – auf einen gespendeten Embryo kommen 10 bis 15 Bewerber – gibt
es derzeit aber einen Aufnahmestopp auf die Warteliste.
Nach Vorstellungen der Staatsanwaltschaft könnte dieser Stopp dauerhaft
sein: Im Herbst 2015 seien „sieben Objekte bundesweit“ von Mitgliedern des
Netzwerks „durchsucht worden“, sagt ihr Sprecher. Daten, Akten, Computer
seien beschlagnahmt worden und würden nun ausgewertet. Das Strafmaß:
Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren. „Dabei gibt es kein
Gesetz in Deutschland, das die Embryospende verbietet“, sagt der Arzt.
Das stimmt. Als das Embryonenschutzgesetz 1991 in Deutschland in Kraft
trat, lag die Möglichkeit, Embryonen genetisch-fremden Paaren einzusetzen,
außerhalb der ethischen, moralischen, aber auch medizinisch-technischen
Vorstellungskraft der meisten Politiker. Zudem wurde angenommen, dass gar
keine überzähligen Embryonen entstehen würden. Das Wort Embryospende
existierte damals nicht, folglich gab es auch keine Regelung zum Umgang mit
ihr, geschweige denn ein Verbot. Die Eizellspende dagegen war schon damals
bekannt und wurde - aus einer kruden, mit „gespaltener Mutterschaft“
umschriebenen Furcht - in Deutschland unter Strafe gestellt, ebenso die
Leihmutterschaft.
## Gesellschaftspolitische Sprengkraft
Umso mehr treibt es Verfechter einer restriktiven
Fortpflanzungsmedizin-Politik heute um, dass bayerische Ärzte seit 2013 den
Tabubruch Embryospende wagen. Sogar Zellen im Vorkernstadium - das sind
Eizellen, in die die Samenzelle bereits eingedrungen, aber noch nicht mit
ihr verschmolzen ist - vermitteln die Ärzte zur Spende. Es ist ein
Unterfangen, das, um es vorsichtig auszudrücken, gesellschaftspolitisches
Spaltungspotential hat.
Auch die Müllers, die in den nächsten Wochen ihr Kind erwarten, heißen
deswegen in der Zeitung anders als in Wirklichkeit. Sie wollen nicht, dass
die Nachbarn von dem Weg, den sie gegangen sind, aus den Medien erfahren
und womöglich schlussfolgern, ihr Kind sei ja gar kein „richtiges“, und
vielleicht „illegal entstanden“. Es ist so schon alles kompliziert genug:
Wann wird der richtige Zeitpunkt sein, das Kind über seine Herkunft
aufzuklären? Sollen sie, die rechtlichen Eltern, bestehend aus biologischer
Mutter und sozialem Vater, vielleicht doch die genetischen Eltern
kontaktieren? Möglich wäre das, wenn diese ebenfalls einverstanden sind.
Die Daten aller Beteiligten sind notariell hinterlegt, dafür hat das
bayerische Netzwerk gesorgt; das Kind wird seine genetischen Eltern
spätestens kennen dürfen, wenn es volljährig ist.
Die Regelungen des bayerischen Vereins mögen vernünftig und klug durchdacht
sein, „einen gesetzlichen Rahmen für die Embryospende“, sagt der Arzt,
„bilden sie nicht“.
## Es braucht einen gesetzlichen Rahmen
Doch genau diesen gesetzlichen Rahmen braucht es, fordert nun auch der
Deutsche Ethikrat. Am Dienstag legte der unabhängige Sachverständigenrat,
der Regierung und Parlament zu ethischen, gesellschaftlichen,
naturwissenschaftlichen, medizinischen und rechtlichen Fragen aus dem
Gebiet der Lebenswissenschaften berät, in Berlin eine 149 Seiten starke
Stellungnahme vor. Ihr Titel: [1][“Embryospende, Embryoadoption und
elterliche Verantwortung“]. Das Werk ist ein Appell an den Gesetzgeber, die
Modalitäten der Embryospende endlich zu regeln. Es gehe „um grundlegende
Fragen der familiären Struktur (…), um die Zuteilung von Lebens- und
Entwicklungschancen von Kindern sowie die Möglichkeit, elterliche
Verantwortung zu übernehmen“.
Denn dass die Embryospende in der Praxis längst angekommen und überdies
nach geltendem Recht zulässig ist, davon geht der Ethikrat aus. Selbst
Mitglieder, die dem Embryo einen hohen moralischen Status zubilligen und
die Möglichkeiten der modernen Fortpflanzungsmedizin skeptisch sehen,
tolerieren die Embryospende insoweit, als diese zumindest verhindern könne,
dass bereits entstandene Embryonen verworfen würden.
Die Empfehlungen des Ethikrats an die Politik sind konkret. Erstens müsse
die Elternschaft gesetzlich und dauerhaft festgelegt werden: Sobald der
gespendete Embryo auf die andere Frau transferiert worden sei, solle „das
annehmende Paar die elterliche Verantwortung auf Dauer übernehmen“. Das
Spenderpaar dagegen solle ab diesem Zeitpunkt „dauerhaft keine Elternrechte
und -pflichten mehr haben“, heißt es in der Stellungnahme. Eine Spende
solle überdies nur erfolgen, wenn zwei Elternteile die rechtliche
Verantwortung übernähmen; alleinstehende Frauen sollten jedoch nicht „von
vornherein“ ausgeschlossen werden.
Zweitens solle die Embryospende als „staatlich geregeltes Verfahren“
gewährleisten, dass tatsächlich nur überzählige Embryonen aus anderen
künstlichen Befruchtungsverfahren übertragen würden. Zu klären sei in
diesem Zusammenhang, wie viele Eizellen pro Zyklus überhaupt befruchtet
werden dürften; das Embryonenschutzgesetz lässt hier verschiedene
Interpretationen zu.
Alle Beteiligten müssten sich über medizinische, rechtliche und
psychosoziale Aspekte der Embryospende beraten lassen. Ob sich Spender- und
Wunscheltern persönlich kennen lernen oder lieber anonym bleiben wollten,
sollten diese selbst entscheiden; möglich müsse beides sein. Eine zentrale
Einrichtung wie das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche
Aufgaben solle die Zuordnung von Spender- und Wunscheltern dokumentieren
wie auch die Zahl der zur Spende freigegebenen Embryonen, der
Embryotransfers, der Schwangerschaften und Geburten. Spendereltern sollten
erfahren dürfen, ob aus ihrer Spende ein Kind entstanden ist.
## Wer verhalf dem Kind zum Leben?
Das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung ist eine weitere
zentrale Forderung des Ethikrats. Ab dem 16. Lebensjahr müsse jeder das
Recht haben, bei der zentralen Dokumentationsstelle Auskunft zu erhalten
über seine genetische Herkunft. Dies gelte auch für etwaige genetische
Geschwister. Entsprechende Daten müssten verpflichtend von den Spender- wie
Empfängereltern wie Ärzten übermittelt werden. Als Aufbewahrungsfrist hält
der Ethikrat 110 Jahre für angemessen.
Auch das Kind der Müllers hätte dann viel Zeit zu entscheiden, ob und wann
es erfahren will, wer die vier Menschen und der Arzt waren, die ihm im
Frühjahr 2016 in Bayern zum Leben verhalfen.
22 Mar 2016
## LINKS
[1] http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/stellungnahme-embryospende-embryoadopti…
## AUTOREN
Heike Haarhoff
## TAGS
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