| # taz.de -- Fortpflanzungsmedizingesetz: Mehr Freiheiten für Repro-Mediziner | |
| > Die Wissenschaftsakademie Leopoldina fordert, das Embryonenschutzgesetz | |
| > zu lockern. Verbrauchende Forschung soll möglich werden. | |
| Bild: Embryonen-TV: Nur die sich am besten entwickelten Embryonen werden übert… | |
| Berlin taz | Das Embryonenschutzgesetz ist mit der Wissenschaft nicht mehr | |
| kompatibel: So oder so ähnlich lauten die immer ultimativeren Statements | |
| derjenigen, die seit mindestens zehn Jahren das 1989 verabschiedete Gesetz | |
| sturmreif schießen wollen. Kürzlich war es eine Arbeitsgruppe der | |
| Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die seit sieben langen | |
| Jahren damit befasst ist, eine [1][Stellungnahme zu einem „zeitgemäßen | |
| Fortpflanzungsmedizingesetz“] zu erarbeiten. | |
| Die Begründungen seiner Dringlichkeit, die auch der für die Arbeitsgruppe | |
| sprechende Jochen Taupitz immer wieder aufzählt, sind immer die gleichen: | |
| lückenhafte Gesetzeslage und Rechtsunsicherheit, Wertungswidersprüche und | |
| seitens der Betroffenen Leid und Ungerechtigkeiten. „Wir wollen diese | |
| Schwangerschaft im Bundestag anregen“, setzte der Mannheimer Jurist, der | |
| schon im Nationalen und im Deutschen Ethikrat zu den Statthaltern | |
| fortpflanzungsmedizinischer Liberalität gehörte, anlässlich der | |
| Vorstellung des Berichts ein etwas schiefes Bild in die Welt. | |
| Ausgangspunkt der Lobbyisten ist die Fortpflanzungsfreiheit, die | |
| einzuschränken und zu behindern sie den Gesetzgeber beschuldigen. Aber was | |
| bedeutet das? Reproduktive Freiheit und Selbstbestimmung, wie sie in den | |
| siebziger Jahren einmal die Frauenbewegung gefordert hat, war ein | |
| Abwehrrecht. Der Staat sollte Frauen weder dazu verpflichten können, Kinder | |
| zu bekommen oder sie – etwa durch staatliche Verhütungsprogramme – daran | |
| hindern. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung standen demografische | |
| Kalküle oder ein zu schützender Embryo, und in diesem Sinne war auch das | |
| Embryonenschutzgesetz als Strafrecht angelegt. | |
| Im Zuge der Reproduktionsmedizin bedeutet Fortpflanzungsfreiheit heute aber | |
| etwas ganz anderes. Es geht um einen möglichst liberalen Markt, auf dem es | |
| Anbietende, Nachfragende und „Material“ gibt, also Samen, Eizellen, | |
| Embryonen, die verpflanzt, geliehen ,„gespendet“, beforscht und auch | |
| veräußert werden können. Nun sei der Gesetzgeber, so die Argumentation | |
| derjenigen, die diesen Markt möglichst fluid machen wollen, unter | |
| Beweiszwang, warum er dieses Recht einschränkt. | |
| Ein weiterer „Grundgedanke“ der Stellungnahme geht davon aus, dass Samen- | |
| und Eizellspende nichts grundsätzlich Verschiedenes ist – obwohl es sich | |
| bei Eizellspenden zweifelsohne um invasive, potenziell gesundheitliche | |
| Folgen zeitigende Eingriffe in den Körper handelt (Hormonstimulation, | |
| Eizellentnahme und -übertragung etc.). Die gesundheitlichen Risiken für die | |
| Spenderinnen, halten die Autorinnen dem entgegen, seien jedoch gering (bei | |
| 0,5 Prozent tritt ein Überstimulationssyndrom auf, bei immerhin 0,4 Prozent | |
| gibt es schwere Komplikationen). | |
| ## Nord-Süd-Gefälle | |
| Unter Berücksichtigung von sozialer Ungleichheit und Gleichbehandlung von | |
| Männern und Frauen plädieren die AutorInnen der Leopoldina-Stellungnahme | |
| deshalb dafür, die Eizellspende, bislang in Deutschland verboten, | |
| zuzulassen, mit einer „angemessene Aufwandsentschädigung“ für die | |
| Spenderinnen. | |
| Das Argument, die sozialen Notlagen der eizellspendenden Frauen und damit | |
| das Gefälle etwa zwischen Nord- und Südeuropa auszunutzen, erledigen sie | |
| mit dem Hinweis, dass diese hierzulande medizinisch erheblich besser | |
| betreut würden und geschützt seien. „Sonst nehmen wir in Kauf“, sagt etwa | |
| der Reproduktionsmediziner Heribert Kentenich während der begleitenden | |
| Podiumsdiskussion, „dass die Frauen dort schlecht behandelt werden.“ | |
| Wenn die Eizellspende aber, wie es die Stellungnahme vorsieht, nicht anonym | |
| stattfindet – und das muss auch nach Willen der WissenschaftlerInnen so | |
| geregelt sein, um das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft zu | |
| wahren –, ist, wie die Erfahrung in anderen europäischen Ländern zeigt, | |
| nicht damit zu rechnen, dass sich viele Eizellspenderinnen finden. | |
| Denn überall dort, wo die Anonymität aufgehoben wurde, ging die | |
| Spendenbereitschaft drastisch zurück; in Spanien, das damit fortlaufend | |
| europarechtliche Regelungen unterläuft, gibt es nur deshalb viele | |
| Spenderinnen, weil die Anonymität dort gesetzlich festgeschrieben ist. | |
| Umgekehrt müsste also eher gefragt werden, ob Deutschland, wenn es die | |
| Eizellspende zulässt, damit die oft schlechte Praxis in anderen Ländern | |
| legitimiert. | |
| ## Zukunftsmusik | |
| „Leidvermeidung“ ist also eher ein Argument, wenn es sich um Frauen und | |
| Paare handelt, die hierzulande zu einem Kind kommen wollen, und dies | |
| möglichst ohne das Risiko einer Mehrlingsschwangerschaft. Zu vermeiden wäre | |
| sie durch den elektiven Single-Embryo-Transfer (eSET), bei dem aus einer | |
| großen Anzahl von Embryonen die entwicklungsfähigsten ausgesucht und | |
| übertragen werden. Das Verfahren ist also eher selektiv und würde die im | |
| Embryonenschutzgesetz festgeschriebene Dreierregel – nur maximal drei | |
| Embryonen dürfen befruchtet und verpflanzt werden – aushebeln. | |
| Die übrig bleibenden Embryonen könnten, so die Stellungnahme, dann | |
| gespendet oder der Forschung zur Verfügung gestellt werden, um etwa | |
| herauszufinden, welche gesundheitlichen Folgen die In-vitro-Fertilisation | |
| (IVF) für die auf diese Weise produzierten Kinder hat. Denn die | |
| Fortpflanzungsmedizin sei „ganz maßgeblich auf die Ergebnisse von Forschung | |
| im Ausland angewiesen, die in Deutschland verboten war und ist“, bedauern | |
| die AutorInnen einleitend. | |
| An dieser Stelle schließt sich der Bogen zu einer weiteren Expertise, die | |
| der Deutsche Ethikrat kürzlich in Bezug auf die Keimbahnintervention | |
| vorgelegt hat. Unter der Voraussetzung, dass die menschliche Keimbahn nicht | |
| sakrosankt ist, schließt der Rat Manipulationen an ihr nicht mehr generell | |
| aus, soweit sie wirksam und sicher sind. | |
| Das ist zwar Zukunftsmusik und nur durch Versuche am Embryo möglich, wie | |
| die Stammzellforscherin und Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Vollhard | |
| dem Gremium anlässlich einer Veranstaltung der Max-Planck-Gesellschaft ins | |
| Stammbuch geschrieben hat. Eine große Minderheit des Ethikrats würde mit | |
| der Forschung an Embryonen auch gar keine Probleme haben, Probleme bei der | |
| Hebung des „Körpergoldes“ machen nur die verflixten Bestimmungen des | |
| Embryonenschutz- und des Stammzellgesetzes. | |
| Man sieht, eines kommt zum anderen, und es geht längst nicht nur um ein | |
| Gesetz, das künstliche Fortpflanzung neu regelt, sondern um einen | |
| Technologiepool, in dem die Kinderwunschpaare nur ein Akteur unter vielen | |
| anderen sind. Deren nachvollziehbaren Probleme und Leiden müssen dafür | |
| herhalten, die Interessen einer durch nichts legitimierten Pressuregroup zu | |
| verschleiern. Die drei Bundestagsabgeordneten, die bei der Vorstellung der | |
| Stellungnahme das Podium bestückten, reagierten deshalb etwas genervt von | |
| der Nötigung, möglichst schnell ein solches Gesetz auf den Weg zu bringen: | |
| In dieser Legislaturperiode, wiesen sie die forsche Arbeitsgruppe zurück, | |
| sei damit ganz sicher nicht mehr zu rechnen. | |
| 21 Jun 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ulrike Baureithel | |
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