# taz.de -- Künstliche Befruchtung im Ausland: Die Eizelle der anderen | |
> Anna Lange lässt sich in Prag die Eizelle einer Spenderin einsetzen. In | |
> Deutschland ist das verboten. Ist die Legalisierung überfällig? | |
Bild: Anna Lange und ihr Mann haben sich entschieden, für eine Eizellenspende … | |
Als Anna Lange an einem Freitag im Oktober durch die Prager Innenstadt | |
läuft, um ihren Zug zurück nach München zu erwischen, als alles geschafft | |
und Lange gelöst und erleichtert ist, überquert vor ihr eine blonde Frau | |
eilig die Straße. Die Frau hat sichtlich Mühe, an ihren Händen hält sie | |
zwei etwa vierjährige Jungen, die ihre Füße in den Boden stemmen und sich | |
mit Hang zu großem Kino dagegen wehren, mitzukommen. Lang e verzieht das | |
Gesicht und muss lachen, die Szene wirkt wie ein Omen dessen, was bald auf | |
sie zukommen könnte: Gerade hat sie sich in einer Prager Klinik zwei | |
befruchtete Eizellen einsetzen lassen. Geht diesmal alles gut, ist sie in | |
neun Monaten Mutter von Zwillingen. | |
Die Eizellen, die sich in Langes Gebärmutter einnisten sollen, sind mit dem | |
Sperma ihres Mannes befruchtet, aber nicht ihre eigenen. Zum dritten Mal | |
hat Lange eine Eizellspende in Anspruch genommen, zweimal war der | |
Schwangerschaftstest zu Hause negativ. Nun hofft sie aufs Neue, ein Kind zu | |
bekommen, das sie deutschen Gesetzen zufolge nicht mehr bekommen würde. | |
Denn anders als in Tschechien sind Eizellspenden hierzulande verboten. | |
Während Eizellen in den USA zum Teil für mehrere zehntausend Dollar gekauft | |
werden können, sind in den meisten europäischen Ländern nichtkommerzielle | |
Spenden möglich. Sie werden mit verschieden hohen Aufwandsentschädigungen | |
honoriert. Auch in Deutschland wird darüber diskutiert, ob Eizellspenden | |
erlaubt sein sollen. Die einen kritisieren, Deutschland nutze die Chancen | |
moderner Reproduktionsmedizin nicht. Die anderen befürchten eine | |
Kommerzialisierung des weiblichen Körpers: „Es gibt kein Recht auf ein | |
Kind“, sagt etwa die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im | |
Bundestag. | |
Doch was ist ein Verbot wert, wenn es umgangen werden kann, indem man in | |
den Regionalzug nach Prag steigt? Und ist die Regelung noch zeitgemäß? | |
Anna Lange hat entschieden, sich bei ihrer Kinderwunschreise von der taz | |
begleiten zu lassen: von München nach Prag bis in den OP-Saal hinein. Ihre | |
Bedingung dafür ist, dass ihr echter Name nicht genannt wird. | |
## Ein Wunsch, der kostet | |
Am Nachmittag vor der Fahrt nach Tschechien sitzt die 41-jährige | |
Politikwissenschaftlerin vor einem Cappuccino in ihrer Küche in München. | |
Ein freundliches Gelb an den Wänden, Familienfotos am Kühlschrank. Lange | |
ist nervös und verärgert: Am Morgen hat ihr die Klinik geschrieben, dass | |
nicht eine, sondern zwei Eizellen eingesetzt werden sollen. Sie seien | |
paarweise eingefroren worden – und müssten deshalb paarweise aufgetaut | |
werden. „Nachdem ich mich wochenlang mit Hormonen vollgestopft habe, jetzt | |
das“, sagt Lange: „Die stellen dich einfach vor vollendete Tatsachen.“ | |
Gegen Zwillinge hätten sie und ihr Mann zwar nichts. Aber Schwangerschaften | |
nach Eizellspenden gehen Studien zufolge mit erhöhten Risiken etwa für | |
Fehlgeburten einher. Bei Mehrlingsschwangerschaften steigen diese Risiken. | |
Soll deshalb eine Eizelle verworfen werden, eine Chance weniger auf ein | |
Kind? „Das bringe ich nicht übers Herz“, sagt Lange. Oder soll sie | |
abbrechen, um in Ruhe nachzudenken – nachdem sie den Zug gebucht, das Hotel | |
reserviert, Urlaub genommen und auf den Tag gewartet hat, an dem sie | |
schwanger werden könnte? | |
Anna Lange kennt dieses Auf und Ab seit Jahren. „Seit ich 30 war, will ich | |
Kinder“, sagt sie. Als sie 33 ist, hören sie auf, zu verhüten.Nach | |
eineinhalb Jahren wird Lange schwanger, die erste Fehlgeburt folgt, die | |
zweite, die dritte. Mit 36 lässt sie ihren Chromosomensatz überprüfen. „Wir | |
haben was bei Ihnen gefunden“, sagt die Ärztin, sie sitzen in einem | |
Besprechungsraum mit Babyfotos an den Wänden. Eine Mutation führt dazu, | |
dass sich ihre Eizellen in der Mehrheit zu nicht lebensfähigen Embryonen | |
entwickeln. „Ich konnte das ganze Gespräch über nicht mehr aufhören, zu | |
heulen.“ | |
Die Münchner Klinik setzt auf [1][künstliche Befruchtung] mit Langes | |
eigenen Eizellen, um die Wahrscheinlichkeit für eine Schwangerschaft zu | |
erhöhen. Nach mehreren Versuchen kommt im Februar 2016 ihre Tochter zur | |
Welt. | |
Anna Lange und ihrem Mann ist bald klar, dass sie ein Geschwisterkind für | |
ihre Tochter wollen. Immer wieder probieren sie es, ohne Erfolg. Rund | |
30.000 Euro, schätzt Lange, haben sie die Versuche in Deutschland gekostet, | |
die Krankenkasse übernimmt rund ein Drittel davon. Das Geld, das sie | |
ausgeben, um mit Kindern zu leben, stammt aus einem Erbe. | |
## Zehn Jahren und fünf Fehlgeburten | |
Dass es jenseits der deutschen Grenzen auch andere Möglichkeiten gibt, ist | |
Lange da noch nicht klar. Eine Freundin erzählt ihr bei einem Kaffee | |
schließlich von Eizellspenden – doch die sind in Deutschland illegal und | |
gesellschaftlich weitgehend tabu. „Auch wenn es erst mal klingt wie | |
Science-Fiction“, sagt Lange: „Irgendwann wird es normal, zu tun, was | |
möglich ist, um ein Kind zu bekommen.“ Im Gegensatz zur Hürde überhaupt mit | |
künstlicher Befruchtung zu beginnen, sei der Schritt nach Prag eher | |
folgerichtig gewesen. Auch ihre Münchner Ärztin schwenkt sofort um, als | |
Lange vorsichtig fragt: Nach zehn Jahren und fünf Fehlgeburten empfiehlt | |
sie ihr Kliniken in Madrid, Wien und Prag. | |
Die Möglichkeit, Eizellen zu gewinnen und vom weiblichen Körper zu trennen, | |
gibt es noch nicht lange – anders als im Fall von Samenzellen. Dass Väter | |
unbekannt sein können, daran sind Menschen gewöhnt. Samenspenden werden | |
seit über einem Jahrhundert praktiziert, sind in Deutschland legal und | |
längst zur Routine geworden. Bei Eizellen ist das komplizierter: Sie sind | |
ein unzugängliches Gut. | |
Erst seit den 1970er Jahren können Eierstöcke operativ durch die Bauchdecke | |
erreicht werden. Und erst seit Mitte der 1980er ist der Eingriff vaginal | |
möglich. Durch die Einnahme von Hormonen können heute zudem mehrere | |
Eizellen auf einmal reifen und entnommen werden. | |
Die Methode ist immer dieselbe, ob mit eigenen oder fremden Zellen: Sie | |
kommt in München zur Anwendung, als Langes erste Tochter mit Hilfe von | |
künstlicher Befruchtung in der Petrischale gezeugt wurde. Sie wird für das | |
sogenannte Social Freezing genutzt, um Frauen auch jenseits der 40 noch | |
Schwangerschaften mit eigenen junggebliebenen Eizellen zu ermöglichen. | |
Einmal entnommen können die Zellen tiefgefroren und zu einem späteren | |
Zeitpunkt aufgetaut werden. Die Methode ist auch Voraussetzung für | |
Eizellspenden, nur dass die entnommenen Eizellen einer Frau in diesem Fall | |
in die Gebärmutter einer anderen eingesetzt werden. | |
## Eine milliardenschwere Branche | |
Die Möglichkeit, Eizellen zu entnehmen und später auch einzufrieren, | |
revolutioniert die gesellschaftliche Vorstellung von Fortpflanzung. Während | |
Kinder, die durch künstliche Befruchtung auf die Welt kommen, noch in den | |
80ern als „Retortenbabys“ bezeichnet werden, verschiebt sich um die | |
Jahrtausendwende der Fokus: Das Wort „Kinderwunsch“ hat Konjunktur, das | |
Bedürfnis derer, die Eltern werden wollen, steht nun im Vordergrund. Heute | |
ist die globale Branche der Reproduktionsmedizin milliardenschwer. | |
Insbesondere die Spende von Eizellen boomt. | |
Innerhalb nur eines Jahres stieg die Anzahl der Spenden 2014 europaweit um | |
40 Prozent. Die aktuellsten Zahlen stammen von 2016: In dem Jahr wurden | |
65.000 sogenannte Transfers vorgenommen, also Eizellen in die Gebärmutter | |
einer anderen Frau eingesetzt. Es bleibt ein Geschäft mit der Hoffnung: | |
Rund ein Drittel der Transfers endete mit einer Entbindung. | |
Wie viele Frauen aus Deutschland darunter sind, wird nicht erfasst. Doch | |
Mediziner:innen schätzen, dass die jährliche Zahl deutscher Frauen in | |
einem hohen vierstelligen Bereich liegt: Tausende Frauen wie Anna Lange | |
reisen jährlich ins Ausland, um ein Kind zu bekommen. | |
In Deutschland dagegen gelten weiterhin die strikten Regeln aus dem Jahr | |
1990 – einer längst vergangenen Epoche, [2][medizinisch gesehen]. Damals | |
wurde das Embryonenschutzgesetz auf den Weg gebracht. Das Ziel: „die | |
missbräuchliche Anwendung von Fortpflanzungstechniken“ zu verhindern – die | |
Bastelei mit menschlichem Leben, auch dessen Selektion. Als menschliches | |
Leben gilt dabei analog zur Lehre der Kirchen das frühestmögliche Stadium | |
eines Embryos: die Eizelle, sobald sie mit der Samenzelle verschmolzen ist. | |
Mit der Tatsache, dass es heute genetische, gebärende und soziale Mütter | |
geben kann, die Kinder zeugen, austragen und aufziehen, setzt sich auch das | |
Bürgerliche Gesetzbuch gar nicht erst auseinander. Unbeirrt formuliert es: | |
„Mutter eines Kindes ist die Frau, die es geboren hat.“ Vor Gericht wird | |
Anna Lange deshalb nicht landen. Doch hierzulande bleibt die Eizellspende | |
bei einer Geld- oder Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren für | |
Ärzt:innen verboten. | |
Das soll sich ändern, wenn es nach Wissenschaftler:innen der Deutschen | |
Akademie Leopoldina und der Union der deutschen Akademien der | |
Wissenschaften geht, die die Politik beraten. Im Sommer legten sie ihren | |
Vorschlag für ein zeitgemäßes Fortpflanzungsmedizingesetz vor: Demnach | |
würde etwa der Zugang zur Präimplantationsdiagnostik erleichtert, also zur | |
Untersuchung des Embryos vor der Einpflanzung in die Gebärmutter auf | |
mögliche Krankheiten. Auch die Rechte homosexueller Paare oder von | |
Singlefrauen sollen gestärkt und die nichtkommerzielle Eizellspende | |
erlaubt werden. | |
Und dennoch scheint eine politische Reform der 30 Jahre alten Regelung in | |
der Ferne zu liegen: Zu unterschiedlich sind die Positionen der | |
Abgeordneten. Wo die FDP auch gleich noch Leihmutterschaft legalisieren | |
will, spricht sich die rechtspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im | |
Bundestag für eine regulierte Spende aus. Die Union pocht dagegen auf den | |
Lebensschutz. Embryonen zum “Konsumgut“ zu machen, heißt es aus der | |
Fraktion, könne man sich nicht vorstellen. | |
Und die inner- und außerparlamentarischen Linken, darunter manche | |
Feminist:innen, problematisieren die mögliche Ausbeutung von | |
Spenderinnen. Es ist eine ungewöhnliche Koalition aus Konservativen und | |
Linken, die aus unterschiedlichen Gründen zu demselben Schluss kommen: | |
Eizellspenden zurückhaltend bis ablehnend gegenüber zu stehen. | |
Ein halbes Jahr, sagt Anna Lange, diskutierten auch sie und ihr Mann, | |
worauf sie sich mit einer Eizellspende einlassen – was es bedeutet, ins | |
„Kinderwunschkarussell“ einzusteigen, wie sie es nennt: Wer wie viele | |
Runden dreht und wer wann wieder aussteigt, ist nicht vorhersehbar. | |
Letztlich, sagt Lange, „war ich die treibende Kraft hinter der | |
Entscheidung“. Nach Möglichkeiten zur Adoption hat sie sich erkundigt. Doch | |
sie habe schon ein Kind, hieß es, und könne, wenn, dann nur nach sehr | |
langen Wartezeiten auf ein zweites hoffen. | |
## Optimal-Paket für 5.900 Euro | |
Lange und ihr Mann schreiben Mails nach Spanien, Österreich und Tschechien. | |
Manche Kliniken, die Eizellspenden anbieten, arbeiten mit sogenannten | |
offenen Spenden: Kinder haben später die Möglichkeit, zu erfahren, wer ihre | |
genetische Mutter ist. Andere, darunter die Klinik Ferticare in Prag, | |
bieten diese Möglichkeit entsprechend der dortigen Gesetzeslage nicht an. | |
Zwar wäre Anna Lange eine offene Spende lieber gewesen. Doch die Klinik in | |
Prag, fünfeinhalb Stunden mit dem Zug von München entfernt, scheint eine | |
erreichbare Option zu sein. Die Mitarbeiter:innen reagieren schnell und | |
freundlich auf Langes Mail. Und die Behandlung ist bezahlbar. | |
Was das genau heißt, erfahren Kund:innen wie Anna Lange und ihr Mann in | |
einem Viertel westlich der Moldau, in Laufweite von Karlsbrücke und Prager | |
Burg. Im vierten Stock eines modernen Gebäudes führt eine Glastür in den | |
Aufenthaltsraum der Klinik. Helles Laminat liegt aus, Paare sitzen in roten | |
und beigen Sesseln und warten. Auf zartrosa Flyern sind „Pakete“ | |
aufgelistet, die gekauft werden können: mit „Embryo Glue“, einem | |
Gewebeklebstoff, der die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft erhöhen | |
soll. Oder mit einem Video von der Entwicklung der befruchteten Eizelle. | |
Lange und ihr Mann wählen die Basisvariante, das Optimal-Paket für 5.900 | |
Euro. Wie viele Eizellen pro Spende gewonnen werden, ist Glückssache. | |
Petr Uher, der Chef der Klinik, ist ein sportlicher Typ mit kurzen, grauen | |
Haaren und Lachfalten um die Augen. Der 61-Jährige hat ein europäisches | |
Kliniknetzwerk aufgebaut: die erste Klinik in Karlsbad, eine weitere in | |
Prag, zudem Beratungsstellen und Praxen in Österreich, Italien und Berlin. | |
Natürlich dürfe er in Deutschland keine Eizellen transferieren, sagt Uher | |
in einem Beratungszimmer mit Blick auf die Prager Hügel – keine „Therapien | |
anbieten“, wie er es nennt. Aber sowohl auf Kinderwunschmessen als auch in | |
seinen Beratungsstellen dürfe er zumindest über die Möglichkeiten im | |
Allgemeinen aufklären. | |
Entlang der strengen deutschen Gesetze hat sich eine Infrastruktur | |
entwickelt: Wie viele seiner Mitarbeiter:innen spricht Uher deutsch, | |
die Website ist auf Deutsch lesbar, die Mails werden auf Deutsch | |
geschrieben. Rund 300 Frauen aus dem Nachbarland, schätzt Uher, behandelt | |
er jährlich in Prag, 400 in Karlsbad. Frauen, die zu alt sind, um eigene | |
Kinder zu bekommen oder wegen einer Chemotherapie unfruchtbar wurden. „Für | |
deutsche Frauen“, sagt Uher, „sind wir die Ultima Ratio.“ | |
## Die Klinik „matcht“ Spenderin und Empfängerin | |
Uher führt durch seine Klinik, den OP-Bereich und das Labor. In kühler | |
Atmosphäre arbeiten Biolog:innen über Mikroskopen still daran, Spermien | |
in Eizellen zu spritzen. Auf Brutkästen, manche flach wie Scanner, manche | |
groß wie Kühlschränke, wird digital 36,8 Grad angezeigt, Körpertemperatur. | |
Und auf dem Bildschirm eines Geräts sieht man live und 200-fach vergrößert, | |
was sich gerade in seinem Inneren abspielt: die Teilung der befruchteten | |
Eizellen. Die sollen sich dann zu Blastozysten entwickeln: zu fünf Tage | |
alten Embyronen aus rund 64 Zellen. So lagern sie hier zu Hunderten bei | |
minus 200 Grad in grauen Stickstofftanks. Und so sollen sie Anna Lange | |
eingesetzt werden. | |
Viel weiß Lange nicht von der Frau, die die genetische Mutter ihrer Kinder | |
sein soll. Die Klinik wählt die Spenderin für die Empfängerin aus und | |
„matcht“ nach bestimmten Kriterien: Neben genetischer Passung geht es dabei | |
vor allem um Ähnlichkeit. Per Mail hat Lange zu Beginn der Behandlung alle | |
Daten bekommen, die sie jemals über die Spenderin erfahren soll: „Alter: 28 | |
Jahre. Haarfarbe: braun. Augenfarbe: blau. Größe: 167 cm. Gewicht: 65 kg. | |
Ausbildung: Hochschulabschluss. Gesund. Hat 2-mal erfolgreich | |
gespendet.“ Und zuletzt: „Sehr hübsch, lieb und intelligent.“ Lange | |
schüttelt den Kopf. „Was sollen sie auch schreiben?“, fragt sie mit leisem | |
Sarkasmus. „Ihre Spenderin ist ziemlich hässlich?“ | |
Äußerliche Ähnlichkeiten seien ihr ohnehin nicht wichtig. Sie rechne damit, | |
dass Menschen Ähnlichkeiten auch dort entdeckten, wo vielleicht gar keine | |
sind. Und auch charakterlich habe ihre fast vier Jahre alte genetisch | |
eigene Tochter vieles, von dem sie überhaupt nicht wisse, woher es komme – | |
stur sei sie zum Beispiel. Möglich, sagt Lange zwar, dass es in der | |
Pubertät zu Konflikten käme nach dem Motto: Du bist nicht meine Mutter. | |
„Aber auch mein genetisch eigenes Kind wird Wege suchen, um sich | |
abzugrenzen.“ | |
Einen zu großen Stellenwert will Lange der Genetik nicht einräumen. „Es ist | |
ihre Zelle, sein Sperma, meine Gebärmutter, mein Blut“, sagt sie. Doch | |
gesellschaftlich werde Mutterschaft anders bewertet als Vaterschaft: Sie | |
werde überhöht. | |
Das Einzige, was Lange bei der Auswahl der Spenderin wichtig war, war ein | |
gewisses Alter – und die Erfahrung, schon einmal gespendet zu haben. „Damit | |
ich weiß, dass sie weiß, worauf sie sich einlässt“, sagt sie. Denn anders | |
als Samenspenden belasten Eizellspenden den Körper: Um möglichst viele | |
Zellen reifen zu lassen, müssen sich die Frauen Hormone spritzen. Und der | |
Eingriff, um die Zellen aus den Eierstöcken abzusaugen, findet meistens | |
unter Vollnarkose statt. Kritiker:innen vergleichen den Eingriff eher | |
mit Lebendorgan- als mit Samenspenden. | |
## Die Perspektive der Spenderinnen | |
Die gesundheitlichen Risiken für die Spenderinnen seien gering, schreiben | |
zwar die Wissenschaftler:innen der Akademie Leopoldina. Möglich sind | |
beispielsweise vaginale Blutungen durch Verletzungen, auch zu viele Hormone | |
können gegeben werden, was eine Überstimulation der Eierstöcke zur Folge | |
haben kann. 2017 kam es bei einem Prozent aller Entnahmen eigener Eizellen | |
in Deutschland zu diesen Komplikationen. In absoluten Zahlen heißt das: bei | |
mehr als 600 Frauen. | |
Im tschechischen Brünn aber starb 2015 eine Spenderin an inneren Blutungen | |
nach dem Eingriff. Die Ärzt:innen wurden wegen fahrlässiger Tötung | |
angeklagt, im vergangenen August aber freigesprochen. Die Patientin sei | |
über die Risiken aufgeklärt worden. Die Staatsanwaltschaft legte Berufung | |
ein. | |
Petr Uher kennt die Kritik, er kennt den Fall in Brünn. Mehr als | |
zehntausend Eizellspenden habe es in seinen Kliniken gegeben – nie aber | |
ernstere Komplikationen. Uher beschreibt die Eingriffe als alltäglich: | |
„Jede Knieoperation“, sagt er, „birgt höhere Risiken.“ Nur dass das Kn… | |
das eigene ist. | |
Spenderin zu sein, ist aufwendig: Etwa sechsmal müssen die Frauen zwischen | |
20 und 30 Jahren in der Klinik erscheinen, um Gesundheit und Fruchtbarkeit | |
überprüfen, das Wachstum der Zellen überwachen und die Zellen dann | |
entnehmen zu lassen. Je nach Dauer der Anreise – fast alle kommen aus | |
Tschechien, längst nicht alle aus Prag – erhalten die Frauen zwischen 800 | |
und 1.300 Euro pro Spende. Bei einem Durchschnittslohn von etwa 1.200 Euro | |
monatlich gilt dies als nichtkommerzielle Aufwandsentschädigung. „Aber | |
natürlich“, sagt Uher, „kann Ihnen niemand sagen, was eine Eizelle wert | |
ist.“ | |
Ähnlich wie bei Samenspenden gibt es, so zeigen es anonyme Befragungen von | |
Spenderinnen, fast immer mehrere Beweggründe: Geld, Hilfsbereitschaft und | |
den Nebeneffekt, über die eigene genetische Gesundheit Bescheid zu wissen. | |
Sogar auf kommerziell organisierten Märkten wie den USA spielen | |
altruistische Motive weiter eine Rolle. Was allerdings ebenso gilt: Wird | |
nichts gezahlt, wird kaum gespendet. Eine Forscherin beschreibt | |
Eizellspenden in Tschechien insbesondere für jüngere Frauen vom Lande sogar | |
als neue Form mobiler Teilzeitarbeit. | |
Das ist es, was auch Befürworter:innen der Spende in Deutschland auf | |
jeden Fall vermeiden wollen: dass Geld eine größere Rolle spielt. Dass | |
Frauen Risiken eingehen, um ihre Eizellen zu verkaufen. Doch ab wann ist | |
eine „Spende“ kommerziell? | |
## Synchronisierte Zyklen | |
Anna Lange selbst kann weder überprüfen, ob die Angabe der Prager Klinik | |
stimmt, die tschechischen Frauen seien vorwiegend Studentinnen und | |
spendeten aus Hilfsbereitschaft. Noch, wie viel Geld sie für die Eizellen | |
tatsächlich bekommen. „Die Kliniken können dir sonst was erzählen“, sagt | |
sie. Was genau eine 28 Jahre alte, schlanke Frau in Tschechien dazu | |
brachte, ihre Eizellen zu spenden, wird Lange wohl nie erfahren. Und doch | |
wird diese vielleicht für immer ihr Leben beeinflussen. | |
Beim ersten Transfer wurde Langes Zyklus mit dem der Spenderin in einem | |
Abstand von fünf Tagen synchronisiert, indem sich beide Hormone spritzten | |
und Langes Eisprung kurzfristig lahmgelegt wurde. Dann wurden der Spenderin | |
Zellen entnommen und mit dem Sperma von Langes Mann befruchtet, um sich | |
fünf Tage entwickeln zu können. Fünf Blastozysten wurden eingefroren, eine | |
wurde Lange direkt eingesetzt: Dieser Versuch mit einer frischen | |
Blastozyste sollte die Chance auf eine Schwangerschaft erhöhen. | |
„Dass eine fremde Frau irgendwo in Tschechien mit mir getaktet wird, war | |
für mich total emotional“, sagt Lange. „Mir ist klar, dass das ein | |
asymmetrisches Verhältnis ist. Aber ich war ihr einfach enorm dankbar.“ | |
Doch der Versuch scheiterte, ebenso wie ein weiterer mit einer | |
tiefgefrorenen Blastozyste. | |
Die „Baby-Take-Home-Rate“, ein Kriterium, mit dem manche Kliniken arbeiten, | |
gibt die Prager Klinik nicht an. Im Gespräch hat man Lange gesagt, die | |
Prognose für eine Schwangerschaft bis zur siebten Woche, bei der ein | |
Herzschlag messbar sei, liege bei bis zu 65 Prozent. Vier eingefrorene | |
Blastozysten sind noch übrig, paarweise eingefroren. Noch zwei Versuche. | |
Was, wenn es auch diesmal nicht klappt? | |
Jeder misslungene Transfer, sagt Lange, fühle sich an wie ein Scheitern. | |
Und auch in ihrer Beziehung hat das ständige Kreisen um den Wunsch nach | |
Kindern immer wieder zu Streit und Stress geführt: Medikamente, | |
Untersuchungen, zusätzlich zu Arbeit und Alltag. Allein deshalb müsse | |
irgendwann Schluss sein. Die übrigen eingefrorenen Blastozysten würde sie | |
sich noch einsetzen lassen. „Und dann würde ich versuchen, aus diesem | |
Karussell auszusteigen. Noch vier, dann höre ich auf. Ich hoffe, ich | |
schaffe das.“ | |
## Embryonen haben die Qualität BB | |
Am Nachmittag vor dem vorletzten Versuch checkt Anna Lange in das Prager | |
Hotel ein, das sie schon kennt, spritzt sich noch einmal Hormone und hat | |
einen Termin bei einer Akupunkteurin, um etwas ruhiger zu werden. Danach | |
geht sie früh schlafen. | |
Doch morgens wird es hektisch. In der Klinik angekommen, fehlt die | |
Unterschrift ihres Mannes unter der neuerlichen Einverständniserklärung. | |
Ohne die, sagt eine Beraterin, sei nichts zu machen. Per Whatsapp schreibt | |
Lange ihrem Mann, während die Klinik versucht, ihn telefonisch zu | |
erreichen. Per Mail wird schließlich die Unterschrift organisiert. „Gerade | |
ist mir kurz das Herz stehen geblieben“, sagt Lange. | |
Uher bittet sie ins Beratungszimmer, dreht den Computerbildschirm, so dass | |
Lange ihn sehen kann, und bespricht mit ihr die Qualität ihrer übrigen | |
Blastozysten, wie er sich ausdrückt. Die Spenderin, deren Eizellen vor | |
Monaten entnommen und eingefroren wurden, ist in den Hintergrund getreten. | |
Ihre Embryonen, erklärt Uher, hätten die Qualität BB – genetisch vollkommen | |
in Ordnung, aber von den ersten Tagen der Entwicklung ein wenig müde, um | |
sich ideal in Langes Gebärmutter einzunisten. Das sei auch der Grund, warum | |
die übrigen vier paarweise eingefroren wurden. Lange nickt. | |
Wenige Minuten später führt Uher Lange in den OP-Bereich, der kühl und mit | |
heruntergelassenen Rollos verdunkelt ist. In hellblauem Kittel legt sich | |
Lange auf eine gynäkologische Liege, ihr Blick geht zur Decke. Mit einem | |
OP-Licht leuchtet Uher, der jetzt nicht mehr viele Worte verliert, Langes | |
Vaginalbereich aus. Auf einem Rollhocker vor ihr sitzend überprüft er per | |
Ultraschall ihre Gebärmutterschleimhaut. | |
## „Schon drin?“ | |
An der Wand hängt ein kleines, metallverkleidetes Schränkchen. Uher nimmt | |
eine Petrischale mit den beiden aufgetauten Blastozysten aus dem | |
Brutkasten, stellt sie unter das Mikroskop und wirft einen prüfenden Blick | |
hinein. Mit routinierten Handgriffen entnimmt er per Pipette die Embryonen, | |
knapp 0,2 Millimeter groß und mit bloßem Auge gerade noch erkennbar. | |
Vorsichtig führt er sie mit einer dünnen, biegsamen Kanüle in Langes | |
Gebärmutter ein. „Schon drin?“, fragt Lange erstaunt, als sich Uher von ihr | |
wegdreht. Keine drei Minuten hat der gesamte Vorgang gedauert. | |
Uher legt die Kanüle zur Seite, deckt Lange mit einer weißen, flauschigen | |
Decke zu und gibt ihr ein Blatt Papier in die Hand, DIN A4: zwei Fotos der | |
mikroskopisch vergrößerten Embryonen, zwei Zellhäufchen, umgeben von der | |
Eizellhülle. „Ich liebe diesen Moment“, sagt Lange und schaut auf das Blatt | |
Papier. „Man kann so viel hinein interpretieren. Die Hoffnung ist riesig.“ | |
20 Minuten bleibt sie noch liegen, langsam fällt die Anspannung von ihr ab. | |
Eine Plastiktüte voller Medikamente wird sie mit nach Deutschland nehmen, | |
um sich in den kommenden Tagen Hormone zur Unterstützung der Einnistung zu | |
spritzen. Nach deutschem Recht trägt sie schon Leben in sich. Doch ob sie | |
schwanger ist, wird ihre Münchner Klinik erst in zwei Wochen sagen können. | |
Anna Lange isst noch eine Suppe in der Nähe der Klinik, dann nimmt sie die | |
Tram zum Bahnhof. | |
Ihre Tochter weiß, dass ihre Mutter in Prag versucht, schwanger zu werden – | |
und erzählte auf dem Spielplatz schon ganz nebenbei davon, dass diese | |
vielleicht bald mit einem Baby zurückkommt, wie ihr Mann ihr sagte. Ohnehin | |
geht ihre Tochter davon aus, dass Ärzt:innen Kinder machen. „Auch für sie | |
selbst“, sagt Lange, „hat es ja ein ganzes Team gebraucht, damit sie auf | |
die Welt kam.“ | |
## Tag der Wahrheit | |
Sollte die Schwangerschaft klappen, sagt Anna Lange, werden nach und nach | |
mehr Menschen als der engste Familien- und Freundeskreis von der | |
Eizellspende wissen. Wichtig sei ihr vor allem, ihren Kindern eine positive | |
Geschichte der Herkunft zu vermitteln. In einem Shop in der Nähe der Klinik | |
hat sie eine Tasse mit dem Bild des kleinen Maulwurfs aus der tschechischen | |
Zeichentrickserie gekauft, um sie ihrer Tochter mitzubringen. | |
Und was, wenn in 15, in 20 Jahren ihre Zwillinge das Bedürfnis hätten, zu | |
erfahren, wer ihre genetische Mutter ist – oder wer die Halbgeschwister | |
sind, die sie vielleicht haben? Jahrelang kämpften Vereine wie die | |
„Spenderkinder“, in dem sich Menschen zusammengetan haben, die mit Hilfe | |
von Samenspenden auf die Welt kamen, um das Recht auf Kenntnis der eigenen | |
Abstammung. 2015 bestätigte der Bundesgerichtshof dieses Recht, obwohl den | |
Spendern vonseiten der Kliniken seinerzeit oft Anonymität garantiert worden | |
war. | |
Petr Uher versichert, die Daten seiner Spenderinnen seien durch die | |
tschechischen Gesetze geschützt. Deutlich weniger Spenden, vermutet er, | |
kämen zustande, würde den Spenderinnen keine Anonymität garantiert. In | |
Kliniken, die mit offenen Spenden arbeiten, sind die Wartezeiten oft | |
deutlich länger als in Prag. „Was ist besser?“, fragt Uher: „Nicht wisse… | |
oder nicht existieren?“ | |
Lange selbst findet den Gedanken schön, dass ihre Kinder noch | |
Halbgeschwister haben könnten. In den USA gibt es schon genetische | |
Datenbanken, über die Kinder von Spendern ihre Halbgeschwister oder | |
genetischen Eltern gefunden haben. „Wir wissen nicht, was in Jahrzehnten | |
mit unseren Daten passiert“, sagt Lange. „Aber ich glaube und hoffe, dass | |
die Anonymität fragil ist – zugunsten der Kinder.“ | |
Zwei Wochen nach der Reise schreibt Anna Lange eine SMS: „Tag der | |
Wahrheit“. Und dann, etwas später: „positiv“, ein einziges Wort. | |
Auf gewisse Art und Weise wird eine Frau, keine 30, irgendwo in Tschechien, | |
in einigen Monaten ebenfalls Mutter. Sie hat das Recht zu erfahren, ob | |
durch ihre Eizellen eine Schwangerschaft entstanden ist. Ob sie das wissen | |
möchte, darüber gibt die Klinik keine Auskunft. | |
25 Jan 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Erzkonservative-demonstrieren-in-Paris/!5631368 | |
[2] /Kardiologe-ueber-kuenstliche-Befruchtung/!5548372 | |
## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
## TAGS | |
Eizelle | |
künstliche Befruchtung | |
Samenspende | |
Eltern | |
Kinderwunsch | |
Familie | |
Samenspende | |
Eizellspende | |
Frauen | |
Embryonenschutzgesetz | |
künstliche Befruchtung | |
Reproduktionsmedizin | |
Leopoldina | |
künstliche Befruchtung | |
Eizellspende | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Späte Schwangerschaften: Das Argument der Zeit ist eine Waffe | |
Hilary Swank ist 48 und schwanger. Sie beweist: Wir müssen die Entscheidung | |
über Kinder nicht mehr so stark von der Zeit abhängig machen. | |
BGH-Urteil zu Umgangsrecht: Samenspender darf Kind öfter sehen | |
Ein lesbisches Paar zeugte ein Kind mit einem Samenspender. Der Mann hat | |
ein Umgangsrecht, auch wenn das Paar anderer Meinung ist. | |
Ungewollt Kinderlose in Deutschland: Das Gesetz aus einer anderen Zeit | |
Viele sind ungewollt kinderlos. Das liegt auch daran, dass in Deutschland | |
neben der Schweiz das restriktivste Reproduktionsrecht in Europa gilt. | |
Umgang mit Fehlgeburten: Lasst sie doch trauern | |
Chrissy Teigen zeigt sich nach einer Fehlgeburt auf Instagram. Die | |
Kommentare teilen sich in tröstende Worte und moralische Überlegenheit. | |
Reform des Embryonenschutzgesetzes: Ärzte wollen Eizellspende erlauben | |
Die Bundesärztekammer fordert eine Liberalisierung des Embryonenschutzes. | |
Die bisher gültige gesetzliche Regelung sei veraltet, so die Mediziner. | |
Künstliche Befruchtung für alle Frauen: Frankreichs Parlament billigt Gesetz | |
Macrons Wahlversprechen nimmt eine weitere Hürde. Damit Lesben und | |
Alleinstehende ihren Kinderwunsch verwirklichen können, muss nur noch der | |
Senat ja sagen. | |
Eizellspende und Leihmutterschaft: Reproduktive Gerechtigkeit | |
Eizellspende und Leihmutterschaft sind mit Risiken verbunden. Ein Netzwerk | |
von Wissenschaftlerinnen fordert ein EU-weites Verbot. | |
Fortpflanzungsmedizingesetz: Mehr Freiheiten für Repro-Mediziner | |
Die Wissenschaftsakademie Leopoldina fordert, das Embryonenschutzgesetz zu | |
lockern. Verbrauchende Forschung soll möglich werden. | |
Kardiologe über künstliche Befruchtung: Zeugung mit Risiko | |
IVF-Kinder haben ein erhöhtes Risiko für Störungen der Herz-Kreislauf- und | |
Stoffwechsel-Funktionen, sagt der Schweizer Medizinprofessor Urs Scherrer. | |
Transnationaler Reproduktionstourismus: Für die Eizellspende ins Ausland | |
Hierzulande ist sie verboten. Um mittels einer Eizellspende einen | |
Kinderwunsch erfüllen zu können, müssen Betroffene ins Ausland fahren. |