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# taz.de -- Künstliche Befruchtung im Ausland: Die Eizelle der anderen
> Anna Lange lässt sich in Prag die Eizelle einer Spenderin einsetzen. In
> Deutschland ist das verboten. Ist die Legalisierung überfällig?
Bild: Anna Lange und ihr Mann haben sich entschieden, für eine Eizellenspende …
Als Anna Lange an einem Freitag im Oktober durch die Prager Innenstadt
läuft, um ihren Zug zurück nach München zu erwischen, als alles geschafft
und Lange gelöst und erleichtert ist, überquert vor ihr eine blonde Frau
eilig die Straße. Die Frau hat sichtlich Mühe, an ihren Händen hält sie
zwei etwa vierjährige Jungen, die ihre Füße in den Boden stemmen und sich
mit Hang zu großem Kino dagegen wehren, mitzukommen. Lang e verzieht das
Gesicht und muss lachen, die Szene wirkt wie ein Omen dessen, was bald auf
sie zukommen könnte: Gerade hat sie sich in einer Prager Klinik zwei
befruchtete Eizellen einsetzen lassen. Geht diesmal alles gut, ist sie in
neun Monaten Mutter von Zwillingen.
Die Eizellen, die sich in Langes Gebärmutter einnisten sollen, sind mit dem
Sperma ihres Mannes befruchtet, aber nicht ihre eigenen. Zum dritten Mal
hat Lange eine Eizellspende in Anspruch genommen, zweimal war der
Schwangerschaftstest zu Hause negativ. Nun hofft sie aufs Neue, ein Kind zu
bekommen, das sie deutschen Gesetzen zufolge nicht mehr bekommen würde.
Denn anders als in Tschechien sind Eizellspenden hierzulande verboten.
Während Eizellen in den USA zum Teil für mehrere zehntausend Dollar gekauft
werden können, sind in den meisten europäischen Ländern nichtkommerzielle
Spenden möglich. Sie werden mit verschieden hohen Aufwandsentschädigungen
honoriert. Auch in Deutschland wird darüber diskutiert, ob Eizellspenden
erlaubt sein sollen. Die einen kritisieren, Deutschland nutze die Chancen
moderner Reproduktionsmedizin nicht. Die anderen befürchten eine
Kommerzialisierung des weiblichen Körpers: „Es gibt kein Recht auf ein
Kind“, sagt etwa die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im
Bundestag.
Doch was ist ein Verbot wert, wenn es umgangen werden kann, indem man in
den Regionalzug nach Prag steigt? Und ist die Regelung noch zeitgemäß?
Anna Lange hat entschieden, sich bei ihrer Kinderwunschreise von der taz
begleiten zu lassen: von München nach Prag bis in den OP-Saal hinein. Ihre
Bedingung dafür ist, dass ihr echter Name nicht genannt wird.
## Ein Wunsch, der kostet
Am Nachmittag vor der Fahrt nach Tschechien sitzt die 41-jährige
Politikwissenschaftlerin vor einem Cappuccino in ihrer Küche in München.
Ein freundliches Gelb an den Wänden, Familienfotos am Kühlschrank. Lange
ist nervös und verärgert: Am Morgen hat ihr die Klinik geschrieben, dass
nicht eine, sondern zwei Eizellen eingesetzt werden sollen. Sie seien
paarweise eingefroren worden – und müssten deshalb paarweise aufgetaut
werden. „Nachdem ich mich wochenlang mit Hormonen vollgestopft habe, jetzt
das“, sagt Lange: „Die stellen dich einfach vor vollendete Tatsachen.“
Gegen Zwillinge hätten sie und ihr Mann zwar nichts. Aber Schwangerschaften
nach Eizellspenden gehen Studien zufolge mit erhöhten Risiken etwa für
Fehlgeburten einher. Bei Mehrlingsschwangerschaften steigen diese Risiken.
Soll deshalb eine Eizelle verworfen werden, eine Chance weniger auf ein
Kind? „Das bringe ich nicht übers Herz“, sagt Lange. Oder soll sie
abbrechen, um in Ruhe nachzudenken – nachdem sie den Zug gebucht, das Hotel
reserviert, Urlaub genommen und auf den Tag gewartet hat, an dem sie
schwanger werden könnte?
Anna Lange kennt dieses Auf und Ab seit Jahren. „Seit ich 30 war, will ich
Kinder“, sagt sie. Als sie 33 ist, hören sie auf, zu verhüten.Nach
eineinhalb Jahren wird Lange schwanger, die erste Fehlgeburt folgt, die
zweite, die dritte. Mit 36 lässt sie ihren Chromosomensatz überprüfen. „Wir
haben was bei Ihnen gefunden“, sagt die Ärztin, sie sitzen in einem
Besprechungsraum mit Babyfotos an den Wänden. Eine Mutation führt dazu,
dass sich ihre Eizellen in der Mehrheit zu nicht lebensfähigen Embryonen
entwickeln. „Ich konnte das ganze Gespräch über nicht mehr aufhören, zu
heulen.“
Die Münchner Klinik setzt auf [1][künstliche Befruchtung] mit Langes
eigenen Eizellen, um die Wahrscheinlichkeit für eine Schwangerschaft zu
erhöhen. Nach mehreren Versuchen kommt im Februar 2016 ihre Tochter zur
Welt.
Anna Lange und ihrem Mann ist bald klar, dass sie ein Geschwisterkind für
ihre Tochter wollen. Immer wieder probieren sie es, ohne Erfolg. Rund
30.000 Euro, schätzt Lange, haben sie die Versuche in Deutschland gekostet,
die Krankenkasse übernimmt rund ein Drittel davon. Das Geld, das sie
ausgeben, um mit Kindern zu leben, stammt aus einem Erbe.
## Zehn Jahren und fünf Fehlgeburten
Dass es jenseits der deutschen Grenzen auch andere Möglichkeiten gibt, ist
Lange da noch nicht klar. Eine Freundin erzählt ihr bei einem Kaffee
schließlich von Eizellspenden – doch die sind in Deutschland illegal und
gesellschaftlich weitgehend tabu. „Auch wenn es erst mal klingt wie
Science-Fiction“, sagt Lange: „Irgendwann wird es normal, zu tun, was
möglich ist, um ein Kind zu bekommen.“ Im Gegensatz zur Hürde überhaupt mit
künstlicher Befruchtung zu beginnen, sei der Schritt nach Prag eher
folgerichtig gewesen. Auch ihre Münchner Ärztin schwenkt sofort um, als
Lange vorsichtig fragt: Nach zehn Jahren und fünf Fehlgeburten empfiehlt
sie ihr Kliniken in Madrid, Wien und Prag.
Die Möglichkeit, Eizellen zu gewinnen und vom weiblichen Körper zu trennen,
gibt es noch nicht lange – anders als im Fall von Samenzellen. Dass Väter
unbekannt sein können, daran sind Menschen gewöhnt. Samenspenden werden
seit über einem Jahrhundert praktiziert, sind in Deutschland legal und
längst zur Routine geworden. Bei Eizellen ist das komplizierter: Sie sind
ein unzugängliches Gut.
Erst seit den 1970er Jahren können Eierstöcke operativ durch die Bauchdecke
erreicht werden. Und erst seit Mitte der 1980er ist der Eingriff vaginal
möglich. Durch die Einnahme von Hormonen können heute zudem mehrere
Eizellen auf einmal reifen und entnommen werden.
Die Methode ist immer dieselbe, ob mit eigenen oder fremden Zellen: Sie
kommt in München zur Anwendung, als Langes erste Tochter mit Hilfe von
künstlicher Befruchtung in der Petrischale gezeugt wurde. Sie wird für das
sogenannte Social Freezing genutzt, um Frauen auch jenseits der 40 noch
Schwangerschaften mit eigenen junggebliebenen Eizellen zu ermöglichen.
Einmal entnommen können die Zellen tiefgefroren und zu einem späteren
Zeitpunkt aufgetaut werden. Die Methode ist auch Voraussetzung für
Eizellspenden, nur dass die entnommenen Eizellen einer Frau in diesem Fall
in die Gebärmutter einer anderen eingesetzt werden.
## Eine milliardenschwere Branche
Die Möglichkeit, Eizellen zu entnehmen und später auch einzufrieren,
revolutioniert die gesellschaftliche Vorstellung von Fortpflanzung. Während
Kinder, die durch künstliche Befruchtung auf die Welt kommen, noch in den
80ern als „Retortenbabys“ bezeichnet werden, verschiebt sich um die
Jahrtausendwende der Fokus: Das Wort „Kinderwunsch“ hat Konjunktur, das
Bedürfnis derer, die Eltern werden wollen, steht nun im Vordergrund. Heute
ist die globale Branche der Reproduktionsmedizin milliardenschwer.
Insbesondere die Spende von Eizellen boomt.
Innerhalb nur eines Jahres stieg die Anzahl der Spenden 2014 europaweit um
40 Prozent. Die aktuellsten Zahlen stammen von 2016: In dem Jahr wurden
65.000 sogenannte Transfers vorgenommen, also Eizellen in die Gebärmutter
einer anderen Frau eingesetzt. Es bleibt ein Geschäft mit der Hoffnung:
Rund ein Drittel der Transfers endete mit einer Entbindung.
Wie viele Frauen aus Deutschland darunter sind, wird nicht erfasst. Doch
Mediziner:innen schätzen, dass die jährliche Zahl deutscher Frauen in
einem hohen vierstelligen Bereich liegt: Tausende Frauen wie Anna Lange
reisen jährlich ins Ausland, um ein Kind zu bekommen.
In Deutschland dagegen gelten weiterhin die strikten Regeln aus dem Jahr
1990 – einer längst vergangenen Epoche, [2][medizinisch gesehen]. Damals
wurde das Embryonenschutzgesetz auf den Weg gebracht. Das Ziel: „die
missbräuchliche Anwendung von Fortpflanzungstechniken“ zu verhindern – die
Bastelei mit menschlichem Leben, auch dessen Selektion. Als menschliches
Leben gilt dabei analog zur Lehre der Kirchen das frühestmögliche Stadium
eines Embryos: die Eizelle, sobald sie mit der Samenzelle verschmolzen ist.
Mit der Tatsache, dass es heute genetische, gebärende und soziale Mütter
geben kann, die Kinder zeugen, austragen und aufziehen, setzt sich auch das
Bürgerliche Gesetzbuch gar nicht erst auseinander. Unbeirrt formuliert es:
„Mutter eines Kindes ist die Frau, die es geboren hat.“ Vor Gericht wird
Anna Lange deshalb nicht landen. Doch hierzulande bleibt die Eizellspende
bei einer Geld- oder Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren für
Ärzt:innen verboten.
Das soll sich ändern, wenn es nach Wissenschaftler:innen der Deutschen
Akademie Leopoldina und der Union der deutschen Akademien der
Wissenschaften geht, die die Politik beraten. Im Sommer legten sie ihren
Vorschlag für ein zeitgemäßes Fortpflanzungsmedizingesetz vor: Demnach
würde etwa der Zugang zur Präimplantationsdiagnostik erleichtert, also zur
Untersuchung des Embryos vor der Einpflanzung in die Gebärmutter auf
mögliche Krankheiten. Auch die Rechte homosexueller Paare oder von
Singlefrauen sollen gestärkt und die nichtkommerzielle Eizellspende
erlaubt werden.
Und dennoch scheint eine politische Reform der 30 Jahre alten Regelung in
der Ferne zu liegen: Zu unterschiedlich sind die Positionen der
Abgeordneten. Wo die FDP auch gleich noch Leihmutterschaft legalisieren
will, spricht sich die rechtspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im
Bundestag für eine regulierte Spende aus. Die Union pocht dagegen auf den
Lebensschutz. Embryonen zum “Konsumgut“ zu machen, heißt es aus der
Fraktion, könne man sich nicht vorstellen.
Und die inner- und außerparlamentarischen Linken, darunter manche
Feminist:innen, problematisieren die mögliche Ausbeutung von
Spenderinnen. Es ist eine ungewöhnliche Koalition aus Konservativen und
Linken, die aus unterschiedlichen Gründen zu demselben Schluss kommen:
Eizellspenden zurückhaltend bis ablehnend gegenüber zu stehen.
Ein halbes Jahr, sagt Anna Lange, diskutierten auch sie und ihr Mann,
worauf sie sich mit einer Eizellspende einlassen – was es bedeutet, ins
„Kinderwunschkarussell“ einzusteigen, wie sie es nennt: Wer wie viele
Runden dreht und wer wann wieder aussteigt, ist nicht vorhersehbar.
Letztlich, sagt Lange, „war ich die treibende Kraft hinter der
Entscheidung“. Nach Möglichkeiten zur Adoption hat sie sich erkundigt. Doch
sie habe schon ein Kind, hieß es, und könne, wenn, dann nur nach sehr
langen Wartezeiten auf ein zweites hoffen.
## Optimal-Paket für 5.900 Euro
Lange und ihr Mann schreiben Mails nach Spanien, Österreich und Tschechien.
Manche Kliniken, die Eizellspenden anbieten, arbeiten mit sogenannten
offenen Spenden: Kinder haben später die Möglichkeit, zu erfahren, wer ihre
genetische Mutter ist. Andere, darunter die Klinik Ferticare in Prag,
bieten diese Möglichkeit entsprechend der dortigen Gesetzeslage nicht an.
Zwar wäre Anna Lange eine offene Spende lieber gewesen. Doch die Klinik in
Prag, fünfeinhalb Stunden mit dem Zug von München entfernt, scheint eine
erreichbare Option zu sein. Die Mitarbeiter:innen reagieren schnell und
freundlich auf Langes Mail. Und die Behandlung ist bezahlbar.
Was das genau heißt, erfahren Kund:innen wie Anna Lange und ihr Mann in
einem Viertel westlich der Moldau, in Laufweite von Karlsbrücke und Prager
Burg. Im vierten Stock eines modernen Gebäudes führt eine Glastür in den
Aufenthaltsraum der Klinik. Helles Laminat liegt aus, Paare sitzen in roten
und beigen Sesseln und warten. Auf zartrosa Flyern sind „Pakete“
aufgelistet, die gekauft werden können: mit „Embryo Glue“, einem
Gewebeklebstoff, der die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft erhöhen
soll. Oder mit einem Video von der Entwicklung der befruchteten Eizelle.
Lange und ihr Mann wählen die Basisvariante, das Optimal-Paket für 5.900
Euro. Wie viele Eizellen pro Spende gewonnen werden, ist Glückssache.
Petr Uher, der Chef der Klinik, ist ein sportlicher Typ mit kurzen, grauen
Haaren und Lachfalten um die Augen. Der 61-Jährige hat ein europäisches
Kliniknetzwerk aufgebaut: die erste Klinik in Karlsbad, eine weitere in
Prag, zudem Beratungsstellen und Praxen in Österreich, Italien und Berlin.
Natürlich dürfe er in Deutschland keine Eizellen transferieren, sagt Uher
in einem Beratungszimmer mit Blick auf die Prager Hügel – keine „Therapien
anbieten“, wie er es nennt. Aber sowohl auf Kinderwunschmessen als auch in
seinen Beratungsstellen dürfe er zumindest über die Möglichkeiten im
Allgemeinen aufklären.
Entlang der strengen deutschen Gesetze hat sich eine Infrastruktur
entwickelt: Wie viele seiner Mitarbeiter:innen spricht Uher deutsch,
die Website ist auf Deutsch lesbar, die Mails werden auf Deutsch
geschrieben. Rund 300 Frauen aus dem Nachbarland, schätzt Uher, behandelt
er jährlich in Prag, 400 in Karlsbad. Frauen, die zu alt sind, um eigene
Kinder zu bekommen oder wegen einer Chemotherapie unfruchtbar wurden. „Für
deutsche Frauen“, sagt Uher, „sind wir die Ultima Ratio.“
## Die Klinik „matcht“ Spenderin und Empfängerin
Uher führt durch seine Klinik, den OP-Bereich und das Labor. In kühler
Atmosphäre arbeiten Biolog:innen über Mikroskopen still daran, Spermien
in Eizellen zu spritzen. Auf Brutkästen, manche flach wie Scanner, manche
groß wie Kühlschränke, wird digital 36,8 Grad angezeigt, Körpertemperatur.
Und auf dem Bildschirm eines Geräts sieht man live und 200-fach vergrößert,
was sich gerade in seinem Inneren abspielt: die Teilung der befruchteten
Eizellen. Die sollen sich dann zu Blastozysten entwickeln: zu fünf Tage
alten Embyronen aus rund 64 Zellen. So lagern sie hier zu Hunderten bei
minus 200 Grad in grauen Stickstofftanks. Und so sollen sie Anna Lange
eingesetzt werden.
Viel weiß Lange nicht von der Frau, die die genetische Mutter ihrer Kinder
sein soll. Die Klinik wählt die Spenderin für die Empfängerin aus und
„matcht“ nach bestimmten Kriterien: Neben genetischer Passung geht es dabei
vor allem um Ähnlichkeit. Per Mail hat Lange zu Beginn der Behandlung alle
Daten bekommen, die sie jemals über die Spenderin erfahren soll: „Alter: 28
Jahre. Haarfarbe: braun. Augenfarbe: blau. Größe: 167 cm. Gewicht: 65 kg.
Ausbildung: Hochschulabschluss. Gesund. Hat 2-mal erfolgreich
gespendet.“ Und zuletzt: „Sehr hübsch, lieb und intelligent.“ Lange
schüttelt den Kopf. „Was sollen sie auch schreiben?“, fragt sie mit leisem
Sarkasmus. „Ihre Spenderin ist ziemlich hässlich?“
Äußerliche Ähnlichkeiten seien ihr ohnehin nicht wichtig. Sie rechne damit,
dass Menschen Ähnlichkeiten auch dort entdeckten, wo vielleicht gar keine
sind. Und auch charakterlich habe ihre fast vier Jahre alte genetisch
eigene Tochter vieles, von dem sie überhaupt nicht wisse, woher es komme –
stur sei sie zum Beispiel. Möglich, sagt Lange zwar, dass es in der
Pubertät zu Konflikten käme nach dem Motto: Du bist nicht meine Mutter.
„Aber auch mein genetisch eigenes Kind wird Wege suchen, um sich
abzugrenzen.“
Einen zu großen Stellenwert will Lange der Genetik nicht einräumen. „Es ist
ihre Zelle, sein Sperma, meine Gebärmutter, mein Blut“, sagt sie. Doch
gesellschaftlich werde Mutterschaft anders bewertet als Vaterschaft: Sie
werde überhöht.
Das Einzige, was Lange bei der Auswahl der Spenderin wichtig war, war ein
gewisses Alter – und die Erfahrung, schon einmal gespendet zu haben. „Damit
ich weiß, dass sie weiß, worauf sie sich einlässt“, sagt sie. Denn anders
als Samenspenden belasten Eizellspenden den Körper: Um möglichst viele
Zellen reifen zu lassen, müssen sich die Frauen Hormone spritzen. Und der
Eingriff, um die Zellen aus den Eierstöcken abzusaugen, findet meistens
unter Vollnarkose statt. Kritiker:innen vergleichen den Eingriff eher
mit Lebendorgan- als mit Samenspenden.
## Die Perspektive der Spenderinnen
Die gesundheitlichen Risiken für die Spenderinnen seien gering, schreiben
zwar die Wissenschaftler:innen der Akademie Leopoldina. Möglich sind
beispielsweise vaginale Blutungen durch Verletzungen, auch zu viele Hormone
können gegeben werden, was eine Überstimulation der Eierstöcke zur Folge
haben kann. 2017 kam es bei einem Prozent aller Entnahmen eigener Eizellen
in Deutschland zu diesen Komplikationen. In absoluten Zahlen heißt das: bei
mehr als 600 Frauen.
Im tschechischen Brünn aber starb 2015 eine Spenderin an inneren Blutungen
nach dem Eingriff. Die Ärzt:innen wurden wegen fahrlässiger Tötung
angeklagt, im vergangenen August aber freigesprochen. Die Patientin sei
über die Risiken aufgeklärt worden. Die Staatsanwaltschaft legte Berufung
ein.
Petr Uher kennt die Kritik, er kennt den Fall in Brünn. Mehr als
zehntausend Eizellspenden habe es in seinen Kliniken gegeben – nie aber
ernstere Komplikationen. Uher beschreibt die Eingriffe als alltäglich:
„Jede Knieoperation“, sagt er, „birgt höhere Risiken.“ Nur dass das Kn…
das eigene ist.
Spenderin zu sein, ist aufwendig: Etwa sechsmal müssen die Frauen zwischen
20 und 30 Jahren in der Klinik erscheinen, um Gesundheit und Fruchtbarkeit
überprüfen, das Wachstum der Zellen überwachen und die Zellen dann
entnehmen zu lassen. Je nach Dauer der Anreise – fast alle kommen aus
Tschechien, längst nicht alle aus Prag – erhalten die Frauen zwischen 800
und 1.300 Euro pro Spende. Bei einem Durchschnittslohn von etwa 1.200 Euro
monatlich gilt dies als nichtkommerzielle Aufwandsentschädigung. „Aber
natürlich“, sagt Uher, „kann Ihnen niemand sagen, was eine Eizelle wert
ist.“
Ähnlich wie bei Samenspenden gibt es, so zeigen es anonyme Befragungen von
Spenderinnen, fast immer mehrere Beweggründe: Geld, Hilfsbereitschaft und
den Nebeneffekt, über die eigene genetische Gesundheit Bescheid zu wissen.
Sogar auf kommerziell organisierten Märkten wie den USA spielen
altruistische Motive weiter eine Rolle. Was allerdings ebenso gilt: Wird
nichts gezahlt, wird kaum gespendet. Eine Forscherin beschreibt
Eizellspenden in Tschechien insbesondere für jüngere Frauen vom Lande sogar
als neue Form mobiler Teilzeitarbeit.
Das ist es, was auch Befürworter:innen der Spende in Deutschland auf
jeden Fall vermeiden wollen: dass Geld eine größere Rolle spielt. Dass
Frauen Risiken eingehen, um ihre Eizellen zu verkaufen. Doch ab wann ist
eine „Spende“ kommerziell?
## Synchronisierte Zyklen
Anna Lange selbst kann weder überprüfen, ob die Angabe der Prager Klinik
stimmt, die tschechischen Frauen seien vorwiegend Studentinnen und
spendeten aus Hilfsbereitschaft. Noch, wie viel Geld sie für die Eizellen
tatsächlich bekommen. „Die Kliniken können dir sonst was erzählen“, sagt
sie. Was genau eine 28 Jahre alte, schlanke Frau in Tschechien dazu
brachte, ihre Eizellen zu spenden, wird Lange wohl nie erfahren. Und doch
wird diese vielleicht für immer ihr Leben beeinflussen.
Beim ersten Transfer wurde Langes Zyklus mit dem der Spenderin in einem
Abstand von fünf Tagen synchronisiert, indem sich beide Hormone spritzten
und Langes Eisprung kurzfristig lahmgelegt wurde. Dann wurden der Spenderin
Zellen entnommen und mit dem Sperma von Langes Mann befruchtet, um sich
fünf Tage entwickeln zu können. Fünf Blastozysten wurden eingefroren, eine
wurde Lange direkt eingesetzt: Dieser Versuch mit einer frischen
Blastozyste sollte die Chance auf eine Schwangerschaft erhöhen.
„Dass eine fremde Frau irgendwo in Tschechien mit mir getaktet wird, war
für mich total emotional“, sagt Lange. „Mir ist klar, dass das ein
asymmetrisches Verhältnis ist. Aber ich war ihr einfach enorm dankbar.“
Doch der Versuch scheiterte, ebenso wie ein weiterer mit einer
tiefgefrorenen Blastozyste.
Die „Baby-Take-Home-Rate“, ein Kriterium, mit dem manche Kliniken arbeiten,
gibt die Prager Klinik nicht an. Im Gespräch hat man Lange gesagt, die
Prognose für eine Schwangerschaft bis zur siebten Woche, bei der ein
Herzschlag messbar sei, liege bei bis zu 65 Prozent. Vier eingefrorene
Blastozysten sind noch übrig, paarweise eingefroren. Noch zwei Versuche.
Was, wenn es auch diesmal nicht klappt?
Jeder misslungene Transfer, sagt Lange, fühle sich an wie ein Scheitern.
Und auch in ihrer Beziehung hat das ständige Kreisen um den Wunsch nach
Kindern immer wieder zu Streit und Stress geführt: Medikamente,
Untersuchungen, zusätzlich zu Arbeit und Alltag. Allein deshalb müsse
irgendwann Schluss sein. Die übrigen eingefrorenen Blastozysten würde sie
sich noch einsetzen lassen. „Und dann würde ich versuchen, aus diesem
Karussell auszusteigen. Noch vier, dann höre ich auf. Ich hoffe, ich
schaffe das.“
## Embryonen haben die Qualität BB
Am Nachmittag vor dem vorletzten Versuch checkt Anna Lange in das Prager
Hotel ein, das sie schon kennt, spritzt sich noch einmal Hormone und hat
einen Termin bei einer Akupunkteurin, um etwas ruhiger zu werden. Danach
geht sie früh schlafen.
Doch morgens wird es hektisch. In der Klinik angekommen, fehlt die
Unterschrift ihres Mannes unter der neuerlichen Einverständniserklärung.
Ohne die, sagt eine Beraterin, sei nichts zu machen. Per Whatsapp schreibt
Lange ihrem Mann, während die Klinik versucht, ihn telefonisch zu
erreichen. Per Mail wird schließlich die Unterschrift organisiert. „Gerade
ist mir kurz das Herz stehen geblieben“, sagt Lange.
Uher bittet sie ins Beratungszimmer, dreht den Computerbildschirm, so dass
Lange ihn sehen kann, und bespricht mit ihr die Qualität ihrer übrigen
Blastozysten, wie er sich ausdrückt. Die Spenderin, deren Eizellen vor
Monaten entnommen und eingefroren wurden, ist in den Hintergrund getreten.
Ihre Embryonen, erklärt Uher, hätten die Qualität BB – genetisch vollkommen
in Ordnung, aber von den ersten Tagen der Entwicklung ein wenig müde, um
sich ideal in Langes Gebärmutter einzunisten. Das sei auch der Grund, warum
die übrigen vier paarweise eingefroren wurden. Lange nickt.
Wenige Minuten später führt Uher Lange in den OP-Bereich, der kühl und mit
heruntergelassenen Rollos verdunkelt ist. In hellblauem Kittel legt sich
Lange auf eine gynäkologische Liege, ihr Blick geht zur Decke. Mit einem
OP-Licht leuchtet Uher, der jetzt nicht mehr viele Worte verliert, Langes
Vaginalbereich aus. Auf einem Rollhocker vor ihr sitzend überprüft er per
Ultraschall ihre Gebärmutterschleimhaut.
## „Schon drin?“
An der Wand hängt ein kleines, metallverkleidetes Schränkchen. Uher nimmt
eine Petrischale mit den beiden aufgetauten Blastozysten aus dem
Brutkasten, stellt sie unter das Mikroskop und wirft einen prüfenden Blick
hinein. Mit routinierten Handgriffen entnimmt er per Pipette die Embryonen,
knapp 0,2 Millimeter groß und mit bloßem Auge gerade noch erkennbar.
Vorsichtig führt er sie mit einer dünnen, biegsamen Kanüle in Langes
Gebärmutter ein. „Schon drin?“, fragt Lange erstaunt, als sich Uher von ihr
wegdreht. Keine drei Minuten hat der gesamte Vorgang gedauert.
Uher legt die Kanüle zur Seite, deckt Lange mit einer weißen, flauschigen
Decke zu und gibt ihr ein Blatt Papier in die Hand, DIN A4: zwei Fotos der
mikroskopisch vergrößerten Embryonen, zwei Zellhäufchen, umgeben von der
Eizellhülle. „Ich liebe diesen Moment“, sagt Lange und schaut auf das Blatt
Papier. „Man kann so viel hinein interpretieren. Die Hoffnung ist riesig.“
20 Minuten bleibt sie noch liegen, langsam fällt die Anspannung von ihr ab.
Eine Plastiktüte voller Medikamente wird sie mit nach Deutschland nehmen,
um sich in den kommenden Tagen Hormone zur Unterstützung der Einnistung zu
spritzen. Nach deutschem Recht trägt sie schon Leben in sich. Doch ob sie
schwanger ist, wird ihre Münchner Klinik erst in zwei Wochen sagen können.
Anna Lange isst noch eine Suppe in der Nähe der Klinik, dann nimmt sie die
Tram zum Bahnhof.
Ihre Tochter weiß, dass ihre Mutter in Prag versucht, schwanger zu werden –
und erzählte auf dem Spielplatz schon ganz nebenbei davon, dass diese
vielleicht bald mit einem Baby zurückkommt, wie ihr Mann ihr sagte. Ohnehin
geht ihre Tochter davon aus, dass Ärzt:innen Kinder machen. „Auch für sie
selbst“, sagt Lange, „hat es ja ein ganzes Team gebraucht, damit sie auf
die Welt kam.“
## Tag der Wahrheit
Sollte die Schwangerschaft klappen, sagt Anna Lange, werden nach und nach
mehr Menschen als der engste Familien- und Freundeskreis von der
Eizellspende wissen. Wichtig sei ihr vor allem, ihren Kindern eine positive
Geschichte der Herkunft zu vermitteln. In einem Shop in der Nähe der Klinik
hat sie eine Tasse mit dem Bild des kleinen Maulwurfs aus der tschechischen
Zeichentrickserie gekauft, um sie ihrer Tochter mitzubringen.
Und was, wenn in 15, in 20 Jahren ihre Zwillinge das Bedürfnis hätten, zu
erfahren, wer ihre genetische Mutter ist – oder wer die Halbgeschwister
sind, die sie vielleicht haben? Jahrelang kämpften Vereine wie die
„Spenderkinder“, in dem sich Menschen zusammengetan haben, die mit Hilfe
von Samenspenden auf die Welt kamen, um das Recht auf Kenntnis der eigenen
Abstammung. 2015 bestätigte der Bundesgerichtshof dieses Recht, obwohl den
Spendern vonseiten der Kliniken seinerzeit oft Anonymität garantiert worden
war.
Petr Uher versichert, die Daten seiner Spenderinnen seien durch die
tschechischen Gesetze geschützt. Deutlich weniger Spenden, vermutet er,
kämen zustande, würde den Spenderinnen keine Anonymität garantiert. In
Kliniken, die mit offenen Spenden arbeiten, sind die Wartezeiten oft
deutlich länger als in Prag. „Was ist besser?“, fragt Uher: „Nicht wisse…
oder nicht existieren?“
Lange selbst findet den Gedanken schön, dass ihre Kinder noch
Halbgeschwister haben könnten. In den USA gibt es schon genetische
Datenbanken, über die Kinder von Spendern ihre Halbgeschwister oder
genetischen Eltern gefunden haben. „Wir wissen nicht, was in Jahrzehnten
mit unseren Daten passiert“, sagt Lange. „Aber ich glaube und hoffe, dass
die Anonymität fragil ist – zugunsten der Kinder.“
Zwei Wochen nach der Reise schreibt Anna Lange eine SMS: „Tag der
Wahrheit“. Und dann, etwas später: „positiv“, ein einziges Wort.
Auf gewisse Art und Weise wird eine Frau, keine 30, irgendwo in Tschechien,
in einigen Monaten ebenfalls Mutter. Sie hat das Recht zu erfahren, ob
durch ihre Eizellen eine Schwangerschaft entstanden ist. Ob sie das wissen
möchte, darüber gibt die Klinik keine Auskunft.
25 Jan 2020
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