# taz.de -- Literaturfestival Lit.Cologne: Ein roter Teppich für die Texte | |
> Das Kölner Festival setzt auf Literatur als Massenevent. Mit Erfolg, wie | |
> auch die am Mittwoch gestartete 16. Ausgabe belegt. | |
Bild: Die Lit.Cologne setzt seit jeher auf Top-Schauspieler als Vorlesende, hie… | |
Sobald die Pressekonferenz zur Programmvorstellung vorbei ist und die | |
Karten im Verkauf sind, brechen die Server der Ticketbörsen regelmäßig | |
zusammen. Nach wenigen Stunden sind bereits etliche Veranstaltungen in Köln | |
ausverkauft. Diesen euphorischen Run auf Eintrittskarten kennt man sonst | |
von Konzerten internationaler Musikstars. Doch in Köln treten derzeit nicht | |
Adele auf, nicht die Rolling Stones oder Madonna, sondern Autorinnen und | |
Autoren. | |
Seit Mitte der Woche läuft die 16. Lit.Cologne. Die Organisatoren erwarten | |
wieder über 100.000 Besucherinnen und Besucher. Die Lit.Cologne gilt damit | |
als das größte Literaturfestival Europas. Wie ist dieser Publikumserfolg zu | |
erklären? | |
Literatur wird in Köln als glamouröses Event verkauft. Als das Festival vor | |
16 Jahren gegründet wurde, wollten die Organisatoren um Rainer Osnowski | |
Bücher und Lesungen „aus der verstaubten Ecke rausholen“, wie er sagt. | |
Literatur also zu dem machen, was ihr zusteht. Für Musik, Filme, Opern gab | |
es Festivals, erfolgreiche, aber für Literatur kaum. „Dabei sind Texte oft | |
Grundlage von allem Künstlerischen. Wir wollten dieser Grundlage den roten | |
Teppich ausrollen“, sagt Osnowski, der noch heute Geschäftsführer der | |
Lit.Cologne ist. | |
Und was wäre ein roter Teppich ohne Prominente? Zum einen sind da die | |
eigentlichen Stars der Szene – in diesem Jahr Donna Leon, William Boyd, | |
Martin Walser, Juli Zeh oder Benjamin von Stuckrad-Barre, die ihre neuen | |
Bücher vorstellen – zum anderen Promis aus Film-, Fernseh- und | |
Musikbusiness. Seit jeher setzt die Lit.Cologne auf die Top-Liga der | |
deutschen Schauspielerinnen und Schauspieler. | |
Unter den diesjährigen 50 prominenten Vorleserinnen und Vorlesern sind etwa | |
Iris Berben, Joachim Król, Bastian Pastewka, Katharina Thalbach und Jasmin | |
Tabatabai. So bringt man schon einmal 500 Zuschauer dazu, sich die Lesung | |
von völlig unbekannten Autoren anzuhören. „Namensglanz“ nennt Osnowski da… | |
Die großen Stars jenseits des Literaturbetriebs brauche man, wenn man | |
Literatur glamouröser darstellen will. | |
## Sitzen in edlem Ambiente | |
Der Erfolg der Lit.Cologne blieb nicht unbemerkt. In ganz Deutschland hat | |
sie Nachahmer gefunden. In Berlin, München, Hamburg, aber auch in Erfurt, | |
Koblenz, Göttingen. Kaum eine größere Stadt, in deren Jahreskalender | |
mittlerweile kein Literaturfestival auftaucht. „Früher gingen die | |
Literaturfans zu Lesungen in schlecht belüfteten Räumen und saßen auf | |
unbequemen Klappstühlen. Das machen sie einmal, vielleicht zweimal“, sagt | |
Osnowski. In Köln sitzen sie meist in edlem Ambiente auf bequemen Polstern. | |
Im Literaturschiff, im Schauspielhaus, in der Philharmonie aber auch – zwar | |
beengt, aber gut durchlüftet – im Fußballstadion. | |
Damit wird auch ein Publikum erreicht, das gemeinhin als weniger | |
literaturaffin gilt. In Köln hört man morgens in der Straßenbahn Menschen | |
über Lesungen des Vorabends reden, am Abend sitzen sie dann beim Kölsch in | |
der Kneipe und diskutieren über neue Romane. Literatur als Massenevent, | |
Literatur mit Partycharakter. Manch ein Literaturwissenschaftler sieht | |
diese Eventisierung mit Skepsis. | |
Literaturfestivals seien irgendwo „zwischen Gottesdienst und Rummelplatz“ | |
einzuordnen, schrieb etwa Thomas Wegmann einst. „Die zunehmende Bedeutung | |
von Literaturevents ist für einige Wissenschaftler befremdlich. Immerhin | |
steht bei Lesungen und Festivals die Person der Autorin oder des Autors im | |
Vordergrund. Da steht vieles unter Banalitätsverdacht“, sagt Anja | |
Johannsen. Sie ist Geschäftsführerin und Programmleiterin des Literarischen | |
Zentrums Göttingen und publiziert regelmäßig zu Literatur und | |
Literaturbetrieb. Auch ihr Literaturhaus, das sich als „begehbares | |
Feuilleton“ versteht, versucht Literatur mit Genres wie Film, Musik, | |
Schauspiel und Popkultur zu verbinden – ähnlich wie die Lit.Cologne. | |
„Es wird dann interessant für das Publikum, wenn es etwas geboten bekommt, | |
was nur in Veranstaltungsform möglich ist. Moderierte Lesungen, | |
Diskussionen, experimentelle Formate“, sagt Johannsen. Die Lit.Cologne | |
arbeitet privatwirtschaftlich, muss also Ausgaben klein halten und | |
Einnahmen hoch. Auch deshalb versucht sie sich thematisch breit | |
aufzustellen. | |
Neben politisch Relevantem – in diesem Jahr das Flüchtlingsthema, das unter | |
anderem mit einer großen Benefizgala bedacht wird – wird Popkultur geboten, | |
klassische Hochkultur aber auch etwas Literatur-Punk, wenn es etwa ums | |
Anmachen, Aufreißen und Abblitzen in Büchern geht, um die besten Listen | |
oder wenn an einem Abend die aufregendsten Schimpftiraden und Zornausbrüche | |
der Weltliteratur vorgetragen werden. So wird jeder bedient, ob er sich für | |
Literatur interessiert oder schlicht einen unterhaltsamen Abend mit etwas | |
Glamour sucht. | |
11 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Paul Wrusch | |
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