# taz.de -- Neues Album von Animal Collective: Kinder von Schwitters und Coca-C… | |
> Ihr Pop wird oft mit Dada verglichen: Die US-Band Animal Collective und | |
> ihr neues Album, „Painting With“, zeigen, dass das stimmt. | |
Bild: Musikalisch ziemlich kinderfreundlich: Animal Collective. | |
Sie sind einmal aus dem New Yorker Untergrund hervorgekommen. Die vier | |
Musiker, David Portner, Noah Lennox, Brian Weitz und Josh Dibb tauchten um | |
die Jahrtausendwende als Animal Collective in der Pop-Szene auf. Seither | |
gelten sie als Pioniere von experimenteller Popmusik. Gurgelnde, modulare | |
Synthesizer auf langatmigen Rhythmusstrukturen schaffen einen | |
psychedelischen Klangteppich, auf den sie einen vergnügten, mehrstimmigen | |
Gesang legen. | |
Mittlerweile sind die vier Jungs keine Jungs mehr, sondern Mitte 30 und | |
leben über den Globus verstreut. Ihr neues Studioalbum „Painting With“ ist | |
ein kompaktes, optimistisches Zwölf-Song-Paket und es zeigt eine Band, die | |
mit ihrem Image gebrochen hat. | |
Wegen ihres Sounds und Auftritts von Animal Collective, einschließlich | |
Pseudonymen der vier Bandmiglieder wie „Panda Bear“ oder „Avey Tare“, a… | |
auch wegen des absurden Artworks ihrer Produkte sind sie schon häufig mit | |
Dada verglichen worden. Die Band verkörpert eine wunderbare, | |
zeitgenössische US-Spielart dieser Aktionskunst. | |
Und bei Dada bleiben sie auch auf ihrem neuen Studioalbum, dessen | |
Auftaktsong „FloriDada“ heißt. Mit den Worten „Child of Limousines / what | |
is the best place/that you have seen“ läutet ihn die Band ein. Der ersten | |
Phrase vorangestellt ist ein spitzer, mit jedem Takt sich weiter | |
aufbäumender Percussion-Beat und dann, just wenn Sänger Noah Lennox gerade | |
mit „Child of Limousines“ ansetzt, wird seine Oberstimme von einem | |
comicartig quäkenden Bass übertönt, und ehe die Worte entziffert werden | |
können, zieht schon der mehrstimmige Gesang der Band nach wie ein zu hoch | |
geregeltes Delay. | |
## Über Ordnungssysteme hinwegfegen | |
Bereits in den ersten Zügen des neuen Albums überlagern Animal Collective | |
Hintergrund und Vordergrund, Melodie, Text und Harmonien und fegen damit | |
über ein musikalisches Ordnungssystem hinweg. Die Texte versinken bis zur | |
Unverständlichkeit im Sound, dafür schält sich ein verschobener Beat aus | |
dem Songgewebe heraus. Angetrieben von einem schnellen Metrum fügen sich | |
alle Ebenen des Songs zu einem polyrhythmischen Ganzen zusammen. Nur der | |
Refrain klingt wie ein nach oben gehaltenes Banner heraus: „FloriDada“ | |
singen Lennox und Portner, klar, hoch und unisono wie die Beach Boys zu | |
ihren besten Zeiten. | |
Voller Wucht und College-Boy-Freude legen Animal Collective auf „Painting | |
With“ los. Die zwölf Songs sind allesamt kurz gehalten, knackige Drei- oder | |
Vier-Minuten-Dinger, meist sehr catchy. Alle zwölf Songs sind so | |
freigeistig und voluminös gestrickt wie ihre vielen Vorgänger, doch zeigen | |
sie nicht mehr jene vertraute Verschwommenheit und Delay-Versunkenheit, | |
sondern sie sind zu Paketen durchstrukturiert, nahezu eingängig, als würde | |
die Avantgarde-Band plötzlich mit den Charts liebäugeln. | |
Mit trappelnden Handclaps, einem Mini-Rave, galoppierenden Bässen und | |
selbst mit Bläsereinwürfen zieren sie ihr neues Album. Die | |
Animal-Collective-Handschrift ist immer noch da, etwa beim typischen | |
Frage-Antwort-Gesangsarrangement zwischen Lennox und Partner und den | |
gurgelnden Synthies von Brian Weitz. Doch ist „Painting With“ kompakt und | |
minimalistisch aufs Wesentliche runtergestrippt. | |
Auf der [1][Facebook-Seite der Band] mit ihren über 500.000 Followern | |
kreuzen sich schon seit Wochen Bekundungen der Vorfreude von Fans mit den | |
Werbeposts der PR-Maschinerie. Zwei Videos zu „Painting With“ wurden im | |
Vorfeld veröffentlicht und man weiß gar nicht, welches von ihnen mehr Dada | |
ist als das andere: Zum R-’n’-B-Beat von „Golden Gal“ hüpft ein Mädch… | |
durch eine an Super Mario erinnernde Retro-Computerspielszenerie. „She is | |
upset because they keep changing the taste of Coke“ mischen die vier | |
Bandmitglieder die knisternde Sprachsequenz eines Films dann in den Track, | |
als wäre der Videoauftritt eine zeitgenössische Werbekollage von Kurt | |
Schwitters. | |
## Flamingofarbene Welt | |
Der [2][Clip zu „FloriDada“] ist in eine virtuelle flamingo-rosafarbene | |
Welt getaucht, in denen gerenderte Dummies sich zu dicken Leibern aufblähen | |
und ein paar hundert rosa-blau gescheckte Damenbeine labyrinthische Tunnel | |
bilden. Visuell verkünden Animal Collective – wie zu erwarten – ein | |
psychedelisches Post-Internet-Universum, indem sich fragmentarische Trips | |
in die westliche Kindheit und Jugend mit Konsumkritik paaren. | |
Das Image der vier hat sich nach 15 Jahren Banderfolg gefestigt und damit | |
auch ein Mythos ihrer Bandgeschichte. Der Popkritiker Simon Reynolds | |
veröffentlichte 2005 im britischen Musikmagazin The Wire ein ausführliches | |
Porträt der Künstler, das bis heute nachzuhallen scheint. Als „verging to | |
paradise“ beschrieb Reynolds damals die Herkunft von Animal Collective. | |
Aufgewachsen bei Hippie-Eltern auf dem Land nahe Baltimore, besuchten David | |
Portner, Noah Lennox, Brian Weitz und Josh Dibb freie Schulen, in denen | |
Kreativität, Imagination und künstlerischer Selbstausdruck gefördert | |
wurden. Horrorfilme und LSD-Trips sollen ihren künstlerischen Radius | |
erweitert haben. | |
Vier naturnahe, neugierige Jungs, der Konsumwelt kritisch abgewandt, fanden | |
während ihres Studiums in New York City zu ihrem eigenen, an Krautrock | |
angelehnten freakigen Style, in dem Schamanentum, Animismus und | |
Anthropomorphismus eine wichtige Rolle spielen. „Centipede“ – | |
„Tausendfüßler“ betitelten sie ihr letztes Album. | |
Ob sie aber tatsächlich, wie in der Pressemitteilung zum Album großspurig | |
verkündet, während ihrer Aufnahmen zu „Painting With“ in den legendären | |
EastWest Studios in Hollywood Kerzen auf Seerosenblättern anzündeten und | |
eine Zwei-Stunden-Spule mit Dinosaurierfilmen im Loop abspielten, um in den | |
richtigen Kreativitätsmodus zu kommen? Das scheint ein PR-Coup zu sein. | |
Womöglich ist die Band mittlerweile ihren eigenen Bildern verfallen. | |
Mit „Painting With“, das so minimalistisch und reduziert ausfällt, scheint | |
sich die Band aber gegen an sie gestellte Erwartungen zu wehren. „Mit | |
Genres wie New Psychedelia oder New Weird America wollen wir gar nichts zu | |
tun haben“, betont Brian Weitz im Gespräch. Bei einem Interviewtermin | |
trifft man auf einen sehr ruhigen und zurückhaltenden Weitz und seinen | |
Kollegen David Portner, der Gitarrist und Songwriter der Band ist. Weitz | |
lebt in Washington, Portner in Los Angeles. | |
Beide reden vom Musikmachen als professionelle Angelegenheit. Sie erzählen, | |
wie sie sich Songideen per Mail zuschicken und sich „Painting With“ über | |
diese Distanz in den letzten zwei Jahren allmählich entwickelte. Die | |
EastWest Studios in Hollywood waren ein Ort, um „30 Tage zusammen zu sein | |
und einem gemeinsamen Sound nachzuspüren“, wie Brian Weitz es formuliert, | |
und zwar „jeden Tag von zehn Uhr morgens bis zehn Uhr abends“. „Wir wollen | |
einfach an Musik arbeiten“, sagt David Portner, und es klingt ganz simpel. | |
24 Feb 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.facebook.com/anmlcollective | |
[2] http://www.dailymotion.com/video/x3l8k4w | |
## AUTOREN | |
Sophie Jung | |
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