# taz.de -- Anohni-Konzert in Berlin: Sorgenfalten und Drohnenkrieg | |
> Die britische Transgender-Künstlerin Anohni gab ein Konzert im Berliner | |
> Tempodrom. Ihre unbeholfene Divenhaftigkeit ist wunderbar. | |
Bild: Frauen in Trauer: die Künstlerin Shirin Neshat als Projektion, grün im … | |
Die Frauen dieser Welt sind wütend. Und tieftraurig. Die Schauspielerin | |
Vanessa Aspillaga, die iranische Künstlerin Shirin Neshat oder das | |
Supermodel Naomi Campbell blicken mit Sorgenfalten der Wut, schlaffen | |
Wangen der Resignation und glänzend-bebenden Augäpfeln der Trauer von einer | |
überdimensionierten Videoprojektion aus aufs Publikum. Sie und noch zehn | |
andere Mitstreiterinnen geben bei dieser Bühnenschau von Anohni zu | |
verstehen: Die Welt ist nicht in Ordnung. | |
Schon vor knapp zwei Monaten, als ihr pompöses Album „Hopelessness“ | |
herauskam, hat die britische Sängerin und Musikerin Anohni unhaltbare | |
Zustände beklagt: Erderwärmung, Todesstrafe, Drohnenkrieg, Überwachung – | |
mit ungewöhnlich eindeutigen Texten und einem bombastischen elektronischen | |
Sound zwischen Dancefloor-Gefälligkeit und orchestraler Bedrohung, erhob | |
Anohni Generalanklage. Am Dienstagabend gab sie im Berliner Tempodrom ihr | |
erstes Deutschlandkonzert seit sieben Jahren. Beim letzten Mal war sie noch | |
ein Mann und gastierte als Antony and the Johnsons. | |
Mit ihrer neuen Identität kommt eine neue Show. Trat Antony zuvor meist mit | |
Band auf, wird Anohni nun von zwei anonymen Herren im schwarzen Hoodie an | |
den Reglern begleitet. Unauffällig flankieren sie die Bühne und ersetzen | |
die ElektronikproduzentenHudson Mohawke und Oneohtrix Point Never, die den | |
Sound für „Hopelessness“ lieferten. Die Bühnenshow verzichtet auf die | |
Spontaneität einer Liveband. Sie ist so durchgeplant, dass weder Vorband | |
noch Zugabe Platz finden. | |
## Gesicht von einem Schleier verhüllt | |
Äußerst reduziert ist auch das Bühnenbild: In der Mitte Anohni. Hinter ihr: | |
die Projektion der Frauen. Mit jedem der 13 Songs wechseln Bild und | |
Charakter. Während Anohnis Gesicht von einem Schleier verhüllt wird, so eng | |
anliegend, dass die Konturen der Sängerin gerade zu erahnen sind, rückt die | |
Kamera auf der Bildfläche ganz nah an die Frauen heran. | |
Das überzeichnete Gothic-Konterfei der Underground-Künstlerin Kembra | |
Pfahler ist mit seinen dicken Kajalstiftstrichen und derber Lippenstiftröte | |
detailliert zu sehen. Pfahler übernimmt die Rolle Anohnis, ahmt ihre | |
Lippenbewegungen nach, klagt scheinbar selbst „Warum hast du mich von der | |
Welt getrennt, mein Gott, mein Vater“, während die Sängerin nur als | |
Silhouette vor dem projizierten Porträt zu erkennen ist. | |
Anohni nimmt eine mehrdeutige Rolle auf der Bühne ein. Sie ist anonyme | |
Stimme einer globalen Frauenschaft, die im Lichtspiel von 13 Charakteren | |
verschiedenen Alters und verschiedener Herkunft repräsentiert wird, und sie | |
ist das stilisierte Selbst. Die Queerness ihrer Person spiegelt sich in | |
ihrem silbernen Gewand: Schwer fällt der lange Stoff bis zum Boden, die | |
Hände in seidene Handschuhe gehüllt. | |
## Manierierte Brüchigkeit | |
Während sie singt – musikalisch der einzige wirkliche Live-Einsatz –, | |
schunkelt sie ihren fülligen Körper zäh und schüchtern, mal stampft sie | |
butchy über die Bühne. Den ungelenken Bewegungen setzt sie grazile Gesten | |
ihrer Hände entgegen. Diese unbeholfene Divenhaftigkeit, diese manierierte | |
Brüchigkeit ihrer Bühnenpersona ist ganz wunderbar. | |
Wenn sie in ihren Texten ohne den Schutz von Ironie oder einer rhetorischen | |
Distanzierung in aller Deutlichkeit die Dinge benennt (neben „Hinrichtung“ | |
singt sie „ein amerikanischer Traum“), dann ist das mutig. Doch der Grat | |
zwischen Mut und Kitsch ist schmal bei Anohni. Und so kippt die Show in | |
unbehagliches Pathos, wenn zum Finale eine Aborigine auf der Leinwand | |
auftaucht und mit der scheinbar puren Seele eines Naturvolks verkündet: | |
„Wir wundern uns, was mit dieser Welt passiert.“ Zu viel des Guten. | |
29 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Sophie Jung | |
## TAGS | |
Anohni | |
Transgender | |
Konzert | |
Gesellschaftskritik | |
Konzert | |
Architektur | |
Festival | |
Rollenbilder | |
Anohni | |
Panda Bear | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Wenig Verständnis für Transpersonen: Hier gibt es nichts zu sehen | |
Die Musikerin Anohni will nicht mehr in Deutschland auftreten. Grund dafür | |
ist eine transfeindliche Rezension von „Zeit Online“, sagt sie. | |
Anohni in der Elbphilharmonie: Protestgesang im Puttengewand | |
Die New Yorker Transgender-Ikone und Protest-Sängerin Anohni gab ihr | |
weltweit einziges Konzert in diesem Jahr in der Elbphilharmonie. | |
Untersuchung zur Remigration: Dachgauben und rote Tonziegel | |
In ihrer Studie „Migration der Räume“ zeigt die Künstlerin Stefanie Bürk… | |
Mit den Menschen wandern auch die Architekturen. | |
Sónar-Festival in Barcelona: Austausch von Kultur und Daten | |
Übers Wochenende trafen sich in Barcelona zum 22. Mal die Aficionados der | |
elektronischen Musik. Was wurde aus den Ansprüchen der Anfangsjahre? | |
Ausstellung in Berlin: Vielschichtige Verknotung | |
Gülsün Karamustafa ist eine der wichtigsten Künstlerinnen der Türkei. Um | |
Migration geht es, um Gender und Feminismus | |
Neues Album von Anohni: Zerrissene Gegenwart | |
Empört, wütend und sensibel auf die Weltlage schauen: Antony Hegarty heißt | |
nun Anohni und ihr Album heißt programmatisch „Hopelessness“. | |
Neues Album von Animal Collective: Kinder von Schwitters und Coca-Cola | |
Ihr Pop wird oft mit Dada verglichen: Die US-Band Animal Collective und ihr | |
neues Album, „Painting With“, zeigen, dass das stimmt. |