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# taz.de -- Debatte Reform Sexualstrafrecht: Das bisschen Grabschen
> Frauen müssen besser geschützt werden, hieß es nach Köln. Justizminister
> Maas versäumt es, das antiquierte Sexualrecht zu reformieren.
Bild: Maas, übernehmen Sie! Nun ist es an der Zeit, das Sexualstrafrecht zu re…
Zivilisationsbruch! Justizminister Heiko Maas war es, der [1][die stärkste
Vokabel fand] für die Gewalttaten in der Silvesternacht von Köln. Und doch
bleibt der Minister weitgehend untätig. Von Vergewaltigung in drei Fällen
ist in Köln die Rede, genauer: vom Einführen von Fingern in die Vagina. In
gut 400 Fällen geht es um Grabschen an den Busen, den Hintern und zwischen
die Beine. Zur Aufregung um den Massenangriff und dem Unverständnis über
die Rolle der Polizei kam bald ein weiteres Entsetzen: Die Öffentlichkeit
musste erstaunt zur Kenntnis nehmen, dass der Großteil dieser Fälle in
Deutschland gar nicht strafbar ist. Sogar die CDU wollte dies sofort
ändern.
Der zuständige Minister Heiko Maas aber nimmt den von ihm diagnostizierten
Zivilisationsbruch erstaunlicherweise nicht zum Anlass, seinen
Gesetzentwurf zur Verschärfung des Sexualstrafrechts noch einmal zu
überarbeiten. In dem Entwurf, der ungeändert ins Kabinett kommen soll, wird
tätliche sexuelle Belästigung, wie JuristInnen das Grabschen nennen, nicht
erwähnt, geschweige denn schärfer bestraft. Und beim Thema Vergewaltigung
wird es ganz und gar krude.
Das Grundproblem des Sexualstrafrechts ist, dass es den Begriff der
sexuellen Selbstbestimmung zwar kennt, aber nicht in ganzer Konsequenz
ernst nimmt. Diese Selbstbestimmung ist nämlich nach gängigem Recht
keineswegs unantastbar, sie ist im wahrsten Sinn des Wortes antastbar,
begrabschbar. Fasst jemand an den Busen, dann bestimmt einE RichterIn, ob
dieses Begrabschen „erheblich“ genug ist, um als sexuelle Nötigung strafbar
zu sein. Ein bisschen Busengrabschen ist erlaubt; was zu viel ist,
entscheidet nicht die Frau, sondern ein Gericht. Das ist keine
Selbstbestimmung, das ist eine Farce.
Bei der Vergewaltigung indessen ist es so, dass ein Mann sich eine Frau
nehmen kann und straflos davonkommen kann. Keineswegs reicht es nämlich
aus, wenn eine Frau bloß sagt, dass sie den Geschlechtsverkehr nicht
möchte. Sie muss, falls der Täter nicht unmittelbar Gewalt anwendet, ihre
sexuelle Selbstbestimmung auch selbst verteidigen, schreien, boxen und
treten oder wegrennen. Tut sie es nicht, dann muss sie unmittelbar vor der
Tat bedroht worden sein oder sich in einer schutzlosen Lage befinden.
Beides wird genau definiert – und viele Fälle passen nicht darunter.
## „Nicht entschlossen genug gewehrt“
Fand die Drohung zeitlich früher statt, findet der Richter die Lage nicht
genügend schutzlos (Hat sie geprüft, ob die Tür wirklich abgeschlossen
war?), dann ist die Tat im juristischen Sinn keine Vergewaltigung mehr. Hat
sie so viel Angst vor dem Mann, dass der keine Drohung mehr benötigt –
Pech. Droht er ihr mit einer direkten Gewalttat, hat sie Glück und wird vom
Gesetz erfasst, hat er dagegen in der Vergangenheit gedroht, dann hat sie
ebenfalls Pech gehabt.
„Schutzlücken“ nennt die Politik diese Fälle, in denen die Wahrung der
sexuellen Selbstbestimmung einer Frau in vielen Fällen davon abhängt, ob
sie sich genau so zu schützen versucht, wie der Gesetzgeber sich das
vorgestellt hat. Das Gericht befindet dann, ob eine Drohung drohend genug
war oder sie in einer genügend ausweglosen Lage gewesen sei.
So entsteht die krude Lage, dass die Strafbarkeit einer Vergewaltigung in
manchen Fällen vom Verhalten des Opfers abhängt. Ein Diebstahl ist ein
Diebstahl, ob man die Tasche nun offen oder geschlossen getragen hat. Nur
die Vergewaltigung trägt diesen Rest von Herrenrecht mit sich herum. Wenn
er keine unmittelbare Gewalt angewandt hat, kann der Täter sagen: „Sie hat
sich nicht entschlossen genug gewehrt, also war sie einverstanden“ – dieser
Ausrede öffnet das heutige Strafrecht Tür und Tor. „Nein heißt Nein“, ein
Slogan der Frauenbewegung aus den Siebzigern, ist in diesen Fällen immer
noch nicht umgesetzt.
## „Nein heißt Nein“
Der Europarat verabschiedete die seit August 2014 geltende
Istanbul-Konvention, die „nicht einvernehmliche sexuelle Handlungen“ unter
Strafe stellt. Da wäre ein „Nein heißt Nein“.
Heiko Maas aber musste bereits zum Jagen getragen werden, damit er
überhaupt zur Kenntnis nimmt, dass das deutsche Sexualstrafrecht so nicht
mehr haltbar ist. Was hat er jetzt, nach Köln, getan? Er hat nicht endlich
den Schritt gemacht, die sexuelle Selbstbestimmung der Frau zu schützen,
indem er ihr Nein ernst nimmt.
Stattdessen hat er einzelne Verschärfungen in einen Paragrafen eingebaut,
der heißt: „Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen“. Ja, man
denkt unwillkürlich an Behinderte, Kranke oder Kinder, und genau hier
werden die Frauen nun auch einsortiert. Die Logik lautet nun: Sie müssten
sich zwar eigentlich wehren, sind aber aus verschiedenen, teils
pathologischen Gründen dazu nicht fähig.
Mit anderen Worten, Maas bewegt sich eher noch weiter weg von einem
schlichten „Nein heißt Nein“: Nun muss geguckt werden, ob ein
„empfindliches Übel“ drohte. Ob das Opfer wirklich überrascht wurde oder …
schon kommen sah. Oder ob es in einer psychisch so üblen Verfassung war,
dass es sich nicht hätte wehren können. Seine sexuelle Selbstbestimmung
wird also nur dann geschützt, wenn es es selbst aus eng definierten Gründen
nicht hinbekommt.
## Warum wird das Grabschen nicht bestraft?
Warum kein „Nein heißt Nein“? Und warum wird das Grabschen nicht bestraft?
Insbesondere Letzteres versteht nach Köln kein vernünftiger Mensch mehr.
Maas wiegelt ab: Man habe eine Kommission eingesetzt, die das gesamte
Sexualstrafrecht unter die Lupe nehmen soll. Wer das Schicksal von
Reformkommissionen kennt, weiß, dass diese sich hervorragend als Mittel
eignen, etwas auf eine ganz lange Bank zu schieben, und dann, huch, gibt es
einen neuen Justizminister und der muss erst mal wieder eine eigene
Kommission einrichten und wer weiß, was dann der Koalitionspartner sagt.
Heiko Maas könnte jetzt etwas ändern und die sexuelle Selbstbestimmung der
Frauen schützen. Er könnte etwas gegen weitere „Zivilisationsbrüche“ tun.
Er könnte die Istanbul-Konvention angemessen umsetzen. Er hat jetzt sogar
grünes Licht von der Union, die seinen Gesetzentwurf bisher ausgebremst
hatte. Er hat beispiellosen Rückenwind aus der Bevölkerung. Mit anderen
Worten: Das Fenster der Gelegenheit war nie so weit offen und wird es in
absehbarer Zeit auch nicht mehr sein. Warum der Justizminister es nicht
nutzt, ist mit rationalen Argumenten nicht mehr erklärbar.
3 Mar 2016
## LINKS
[1] /Nach-den-Koelner-Uebergriffen/!5263560
## AUTOREN
Heide Oestreich
## TAGS
Vergewaltigung
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