Introduction
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# taz.de -- Eine Woche im Stadtbad Berlin-Neukölln: Wir müssen das ausbaden
> Frauen, Schwule, Flüchtlinge: Im Stadtbad Neukölln hat jede Gruppe ihre
> Zeit. Wie sollen wir zusammenleben, wenn wir nicht mal zusammen planschen
> können?
Bild: Ein Becken für alle?
Die Creme fällt runter, man bückt sich. Sieht die Wände: gelb, aus
Kunststoff. Das Türschloss: schwarz, beim Einrasten klickt es. Gibt die
Cremedose auf, weil sie zu weit über die Fliesen gerollt ist, rüber zur
nächsten Kabine. Man stellt sich wieder hin, sieht die Beine, die Arme, die
eigene Haut. Sieht Handtücher, Münzen. Einen Kamm. Dann verirrt sich der
Blick im Spiegel, man sieht Falten, Muttermale, Adern, Poren. Von der Decke
prallt Licht, das Schatten unter die Augen wirft: Man steht im
Einzelumkleidenlicht. Jemand ruft: Ilse, biste schon raus?
Eine Einzelumkleide im Stadtbad Neukölln. Fast der einzige Ort hier, an dem
man allein ist. Man sieht dort: sich.
Die anderen hört man.
Mein BH ist zu eng.
Bitte mal jeder in seinem Rucksack gucken, ob er seine Schwimmflügel hat!
Wie die Tür quietscht, ey. Macht mich echt aggressiv.
Tüten rascheln. Reißverschlüsse werden aufgezogen. Das Quietschen nasser
Badelatschen; das dumpfe Plopp, wenn ein Schließfach zufällt.
Dauernd dröhnen die Föhns im Frauenbereich des Stadtbads, das zwischen
Karl-Marx-Straße und Sonnenallee liegt – im Herzen der Berliner Gegend, von
der es heißt, sie macht dich hart. Sollte Neukölln überall sein, wie der
damalige Bezirksbürgermeister schrieb, dann müsste vor allem das Stadtbad
überall sein: als eine der selten gewordenen öffentlichen Einrichtungen,
die viele Gesellschaftsgruppen noch vereint.
Die Flüchtlinge aus dem C & A-Gebäude um die Ecke kommen am Abend hier her,
um zu duschen. Montags dürfen nur Frauen baden, muslimische kommen meist
zwischen 14 und 17 Uhr. Die FKK-Stunden am Mittwoch, 20 bis 22.30 Uhr,
gelten als Datingstunden für Schwule. Minderheiten erstreiten ihre Rechte
dort, wo Sich-frei-Schwimmen am logischsten erscheint: im Hallenbad. Wie
tolerant wir sind, zeigt sich im Wasser schnell. Ist die Haut entblößt,
entblößt sich bald die Haltung. Halbnackt redet es sich anders.
Du bist mit dem nassen Po auf deinem Pullover gesessen!
Die Türken benehmen sich überhaupt nicht daneben. Womit wir Probleme haben,
sind Libanesen und Palästinenser.
Du Huuu-ren-toch-ter-in!
Es ist Januar, als in Bornheim, Nordrhein-Westfalen, Flüchtlingen für
einige Tage der Zutritt zum Freizeitbad untersagt wird, weil es dort zu
Belästigungen gekommen sein soll. Das Verbot gilt für alle männlichen
Flüchtlinge aus den drei Asylbewerberunterkünften in der Nähe.
Es ist Dezember, als in Hermeskeil, Rheinland-Pfalz, ein Badepass für
Flüchtlinge eingeführt wird, ohne den sie nicht mehr ins Hallenbad dürfen,
weil sich die Beschwerden gehäuft haben. Die Asylbewerber haben ins Wasser
geschnäuzt, heißt es. Sich in Duschräumen rasiert.
Es ist November, als in Oranienburg, Brandenburg, ein lokaler NPD-Politiker
durch ein Spaßbad schlappt, einen Wachturm und Stacheldrahtzäune auf seinem
Rücken tätowiert. Darunter die drei Worte, die auf dem Haupttor des
Konzentrationslagers Buchenwald stehen: „Jedem das Seine“.
## Die Trans*frau wird vom Badepersonal abgeführt
Und es ist November, als A. durch das Foyer des Stadtbads Neukölln läuft,
in dem oft kalter Rauch steht und heute Plakate aushängen, wie es sie in
deutschen Bädern immer häufiger gibt: „Vor dem Baden mit Seife duschen!“
„Egal, welche Badekleidung eine Frau trägt, sie ist zu achten und zu
respektieren!“ A. geht die Steintreppe hoch, zum Frauenbereich. A. ist eine
Trans*person: eine Frau, die einen männlichen Körper hat. Mit ihrer
Freundin nimmt sie nicht den Weg nach rechts zu den Sammelumkleiden, wo
sich oft Schülerinnen umziehen – sie biegt nach links ab, zu den
Einzelkabinen. Wo man, wenn das Schloss einrastet, einen Spiegel sieht. Und
darin: sich.
So geht das nicht!
Das hier ist der Frauenbereich!
Die Erzieherin einer Kita-Gruppe kommt auf A. zu. Empört sich. Junger
Mann!, soll sie gesagt haben. Und dass sie Angst um ihre Kinder hätte, wenn
Männer hier seien: So ist es in einem Blogeintrag nachzulesen, den A.s
Freundin eine Woche später verfasst. Und, etwas später noch: in einem
offenen Brief an die Leitung des Stadtbads. A. selbst wird über den Tag
nicht reden. Nicht in der Öffentlichkeit, nicht für diesen Text.
Junger Mann.
A. sei ruhig geblieben, steht in dem Blogeintrag. Sie habe der Erzieherin
erklärt, dass sie eine Trans*person sei, eine Frau – das sei ihre
Selbstidentifikation, deshalb ziehe sie sich hier um. Ihre Freundin
schreitet ein, es wird laut. Schließlich kommt das Badepersonal, darunter
zwei Männer. A. und ihre Freundin werden aus dem Frauenbereich geführt und
befragt. Wie ich Sie jetzt sehe, sind Sie ein Mann, soll zu A. gesagt
worden sein. Dass sie eine Störung des öffentlichen Badebetriebs sei. Dass
das woanders politisch geregelt werden müsse.
Eine halbstündige Diskussion, in der Verletzungen so leichtfertig
formuliert werden, dass man denken könnte, einige kämen einfach nicht mehr
nach – bei all den Veränderungen und Forderungen, freiwillig und
unfreiwillig Zugezogenen, all den Geschlechtern und Geschlechtslosen. Hinzu
kommt: A. ist schwarz.
A. soll die Badleitung auf das Gleichbehandlungsgesetz hingewiesen haben;
darauf, dass sie gerade diskriminiert werde. Die Badleitung soll
geantwortet haben, im Stadtbad Neukölln herrschten andere Gesetze.
Andere als im Gesetzbuch?
Was ist eigentlich los?
Montagmittag, Frauentag. In der großen Schwimmhalle stehen Verkehrshütchen
auf den Startblöcken, das heißt „Springen verboten“ – in allen Sprachen.
Wie ein Kirchenschiff ist die Halle angelegt: Säulen tragen das runde Dach,
Lichterketten beleuchten die Balustrade, und dort, wo Jesus über dem Altar
hängen könnte, zieren Mosaike den Verputz.
Eine Frau trägt ihr Bikinitop so knapp, dass die Körbchen kaum Brust
verdecken, eine andere ihre Waden behaart, niemand guckt. „Annneeee!“, ruft
ein Mädchen, „Mama“ auf Türkisch. Sie zieht sich an der Leiter aus dem
Becken, hüpft vom Rand wieder rein. Wassertiefe 0,90 Meter. Noch mal und
noch mal, dann laufen zwei Bademeisterinnen auf sie zu – eine hebt den
Zeigefinger. Zu zweit stehen sie schließlich vor dem Nichtschwimmerbereich,
in dem Musliminnen baden; die meisten lassen nur Gesicht, Hände und Füße
unverhüllt. Manche tragen langärmelige Oberteile. Hosen, Röcke, Kopftücher.
Andere Burkinis: Kunstfaseranzüge in Lila und Grün, die aussehen wie
Leggins mit einem Kleid darüber. Ein bisschen wie Taucheranzüge mit Tutus.
Für welche Zeitung man schreibt, fragt die Bademeisterin im weißen T-Shirt,
auf dem SERVICE steht. „Die taz ist ja nicht gerade wertfrei.“ Sie nimmt
ihre Kollegin zur Seite, Halbdrehung, Tuscheln, Halbdrehung, dann kommen
sie wieder. Das gäbe einen Riesenärger, wenn sie mit Journalisten reden
würden, sagen sie. Man hätte sie nicht ansprechen sollen, sagen sie.
Erzählen, was im Stadtbad so los ist?, sagen sie. Das geht auf keinen Fall.
Schauen Sie sich diese – Entschuldigung – diese Frauen an: Wie finden Sie
das, dass die hier schwimmen? Komplett angezogen?
Meine Oma ist auch katholisch und kann im Badeanzug ins Schwimmbad.
Das Problem ist, dass das kein Frauenschwimmen mehr ist, sondern
Musliminnenschwimmen. Es gibt keinen Integrationswillen – also müssen
Musliminnen Burkini tragen dürfen. Also müssen sie vor Männerblicken
geschützt werden. Also muss weibliches Personal her.
Ein Mann ging in die Frauenumkleide: Er hatte keine Brüste. Man konnte ihm
nicht ansehen, dass er sich als Frau fühlt; keine Umoperation, nichts. Ihm
wurde angeboten, sich auf der Behindertentoilette umzuziehen, da ist Platz.
Man will ja tolerant sein. Aber er hat darauf bestanden, sich in der
Frauenumkleide umzuziehen.
In der kleinen Halle auf der anderen Seite des Stadtbads geht gerade der
Aquafitnesskurs zu Ende. Ältere Damen in bunten Badeanzügen sitzen auf
Schwimmnudeln; prustend, die Köpfe errötet, halten sie Blickkontakt zur
Trainerin. „Und: andere Seite!“ – „Und: noch einmal!“ Ein Eindruck wi…
Gemälde: fünf Grazien im Nass, die das Wasser von sich schieben wie
Badeschaum. Es läuft Elvis.
Du wolltest doch nett sein zu mir, Angelika. – Das müssen wir erst noch
üben, Marion.
Dienstagmorgen, große Halle, draußen noch kein Licht. Wenn es stimmt, was
manche sagen: Dass im Schwimmbad jede Gruppe ihre Zeit hat, dann ist 6.30
Uhr eine weiße, sehr deutsche Zeit. Für die, die die Mehrheit unserer
Gesellschaft ausmachen, für die Berufstätigen und die Rentner. Eine Zeit,
in der nicht abgehangen wird, keiner auf den Steinbänken lungert, die von
unten wärmen. Es ist die Schwimmbrillenzeit: Die Halle gehört den Profis,
die den Kopf unter die Oberfläche nehmen.
## Der Geruch ist seit der Kindheit gleich
Und um 6.30 Uhr beginnt die Nostalgiezeit, die aber nicht getaktet werden
muss, weil Nostalgie kommt, wenn sie kommt: Bei Dragica ist das früh. Sie
schläft nicht lange. Ihre Frau schläft lange, also überbrückt sie die
Stunden im Stadtbad, bis man wieder gemeinsam wach sein kann. Dragica, 65,
aus Exjugoslawien, lesbisch und verpartnert, in den Siebzigern nach Berlin
gezogen. Sie sitzt auf den Treppenstufen, halb im Wasser. Erzählt, wie es
unter Tito geheißen habe, jeder habe Recht auf Arbeit, der Vater deshalb
zur Mutter gesagt hat: Du gehst arbeiten.
Trotz der drei Kinder, einem Haushalt ohne Waschmaschine. Wie sie selbst
nach der Scheidung zur Oma kam, die sie einmal auf Maiskörnern knien ließ,
zur Strafe. Und vielleicht hat es damit zu tun, dass die Minuten im
Schwimmbad anders zu vergehen scheinen – dass die Leute, die älteren, dort
Lebensläufe durchziehen wie die Profis unterdessen ihre Bahnen. Am
Schwimmbad haften Erinnerungen, die als unverrückbar gelten. Der Geruch ist
seit der Kindheit gleich. Das Chlor ist immer da.
Burkinis waren nicht immer da. Musliminnen beim Frauenschwimmen, „ganz
angezogen.“ Dragica sagt, sie wolle nichts vermischen, wirklich, sie bemühe
sich – aber man wisse ja, was in Paris los war, und nahgerückter
Terrorismus mache ihr Angst. „Mein Familienname kommt bitte nicht in diesen
Artikel.“ Es mache ihr Angst, wenn sie „jemanden“ mit Burka in der U-Bahn
sieht. „Einfach, weil ich den Anblick nicht gewohnt bin. Was verstecken
die?“
„Sehen Sie mal, da oben“, sagt später Lothar Leopold, am Nachmittag, wenn
das Schwimmbad für die Familien da ist und die große Halle endlich
geöffnet. In der kleinen war allmählich ein Sammelbecken entstanden, alle
zwei Meter ein Mensch. Krieg Platzangst gleich.
80 ist Leopold und seit nach dem Krieg einmal die Woche hier. Sein Handtuch
um die Schultern, zeigt er zu den Fenstern über der Balustrade.
Februarwetter; das trostspendende Gefühl, sich in einem subtropisch
beheizten Bunker aufhalten zu können. Bunker ist Leopolds Stichwort: „‘49
gab’s da oben noch keine Fenster! Holz und Pappe hat man in die Rahmen
geklemmt, das Licht war ganz spärlich.“ Statt Geld konnte man auch
Presskohle an der Kasse abgeben, sagt er, „damit die die Kessel heizen
konnten“. Einschusslöcher gab es in den Säulen, „und der Bademeister hat
nicht so rumgeflegelt wie der da drüben“.
Eins, zwei ... drei!
Wie oft willst’n hier noch reinspringen? – Bis ich sterbe! Bis ich sterbe,
einfach.
Wenn eine Person in die Männerumkleide käme, die wie ein Frau aussieht,
sich aber als Mann fühlt, meint Leopold, dann würde er das „als Erfahrung
verbuchen“. Er hat ja „schon viel gesehen“. Wenn stimmt, was manche sagen:
dass im Schwimmbad jede Gruppe ihre Zeit hat – „warum dann nicht auch diese
Leute?“
Trans*leute?
Es ist weiterhin November, als die Initiative Schwarze Menschen in
Deutschland einen offenen Brief an die Stadtbadleitung und die Berliner
Bäderbetriebe schickt, der den Vorfall in der Frauenumkleide detailliert
schildert: Junger Mann. Störung des öffentlichen Badebetriebs. Andere
Gesetze. Der Brief wird 300-mal unterzeichnet, auf weiteren Blogs
verbreitet, 400-, 500-mal unterzeichnet: „Entsetzt über den Umgang mit
einer schwarzen Trans*person.“ Entsetzt über den Umgang mit A.
Plötzlich ist ein Klischee – ein Kinderklischee beinahe, gehänselt werden
in der Umkleide – öffentlich. Ein Präzedenzfall. Dann wird er Politik.
Die Linke stellt eine Anfrage an den Senat: „Berliner Bäder: Eine Zumutung
für Trans*- und Inter*-personen?“ Die Senatsverwaltung antwortet. Beruft
sich auf die Vielfalt der Berliner Bevölkerung, die „die Beschäftigten
immer wieder vor besondere Herausforderungen“ stellt. „Nicht immer sind die
Beschäftigten dabei sicher im Umgang mit diesen besonderen Situationen“,
steht da. „Dies gilt auch für den noch nicht geläufigen Umgang mit trans-
und intergeschlechtlichen Menschen.“
Wann wird der Umgang mit Menschen geläufig? Wenn man aufhört, zwischen
ihnen zu unterscheiden?
Man sieht sich gezwungen zu handeln, zu rechtfertigen. Bietet weiterhin
Seminare für das Badepersonal an, Veranstaltungen zum Thema „Aufregend,
bunt, vielfältig, normal – zur Bedeutung von Managing Diversity in Betrieb
und Verwaltung“.
Es ist Februar, als die Berliner Bäderbetriebe zum Gespräch mit zwei
queeren Vereinen laden. Zwei „weißen Vereinen“, wie ein Vertreter der
Initiative Schwarze Menschen in Deutschland am Telefon sagt. Er hat den
offenen Brief initiiert – und ist zu dem Gespräch nicht eingeladen. Auch A.
ist nicht eingeladen. „Sehr absurd“, sagt der Aktivist. „Wenn so eine
„Veranstaltung stattfindet ohne die betroffene Person.“
Die queeren Vereine schlagen eigene Schwimmzeiten für Trans*personen vor,
einen geschützten Raum. Die Bäderbetriebe sagen: Geht klar, einmal im
Monat, ein kleineres Schwimmbad sollte reichen.
Der Vertreter der Initiative sagt: Sicher, „das ist ein Entgegenkommen“.
Mehr aber könne es nicht sein. Denn was würde damit erreicht? Dass eine
Minderheit zu festgelegten Zeiten diskriminierungsfrei baden kann? Oder
dass sich eine Minderheit verstärkt als Minderheit sieht? Wenn jede Gruppe
für sich schwimmt: zerfällt eine Gesellschaft dann nicht in immer kleinere
Gruppen, die sich immer mehr weniger zu sagen haben – beim Versuch, sie
zusammenzuführen?
Wenn wir nicht mal alle zusammen planschen wollen: Wie sollen wir zusammen
leben?
Große Halle, Freitag. Kinder üben Kraulen. Badekappen verstecken ihr Haar,
Schwimmbrillen ihre Augenpartie. Wasser versteckt ihre Geschlechtsmerkmale:
Wer Junge ist, könnte Mädchen sein, und andersrum.
Ich bin voll stark, Mann. Ich bin ja nicht dumm. Ich schwör auf alles.
Große Halle, Mittwoch. Ein kleines Mädchen stellt sich unter einen der zwei
steinernen Seelöwen, aus deren Mäuler Fontänen sprudeln. Es ruft: „Ich bin
Araber!“
Kleine Halle, Mittwoch. Muskeln, Bärte, Solariumteint. Um 20 Uhr beginnt
die FKK-Zeit: Ab dann, heißt es, seien nur Schwule im Becken. Jetzt ist
hier Nacktschwimmen.
Die Schwulen halt. – Na, wenn man’s mag.
Blicke ins Wasser. Blicke aus dem Wasser. Erst wird geschwommen, dann wird
geplaudert, aus Gemurmel wird Gelächter. Bald trifft man sich an der
Leiter.
Ab und zu treten Frauen durch die Tür, und jedes Mal kann man die Sekunden
zählen, bis sie anhalten, sich umsehen – verwirrt, verirrt – und abrupt
wieder umdrehen. Frauen, von denen es in Deutschland mehr gibt als Männer,
sind hier für den Moment eine Minderheit.
Große Halle, Freitag. „Können Sie mir sagen, wie ich mich in der Sauna zu
verhalten habe?“, fragt Tan Veer: 41 Jahre, ist 34 Bahnen geschwommen, 6
will er noch. Kurz macht er Pause im Nichtschwimmerbereich, das Wasser
schwappt ihm bis zur Hüfte. Weil er aus einem „sehr warmen Land“ stammt,
wie Tan Veer sagt – Südindien, im Herbst nach Berlin gereist –, habe ihn
sein Arzt ins Stadtbad geschickt, in die Therme ein Stockwerk höher, wohin
er gleich will. Die Hände schlafen ihm öfter ein, seit er in Deutschland
ist. Klimawechsel, meint der Arzt. Gehen Sie in die Sauna!
In einen Raum gehen, um zu schwitzen?
„Wenn da zehn Frauen drin sind“, fragt Tan Veer. „Geh ich dann wieder
raus?“ Ob es in der Sauna Stühle gebe? Bänke für jedes Geschlecht?
Er nickt zu ein paar Frauen rüber, die sich am Beckenrand unterhalten, in
Bikinis und Badeanzügen. „Was soll ich sagen? Das eine ist unsere Kultur,
und das da eure.“ Frauen, die noch eine Scham haben, sagt er: In
Deutschland seien die rar. Alles könne gesagt werden. „Man trifft sich zum
Sex wie zum Kaffeetrinken.“ Die deutschen Männer kämen ihm femininer vor
als die Frauen.
Ficken, Hure.
Hab ich erzählt, wie ich neulich mit Jasmin über BHs geredet hab – Nee?
Dass sie auch mal einen anziehen soll?
KRÄUTERSAUNA, 80 Grad: ein Mann, weiß, mittelalt.
CALDARIUM, 35–40 Grad: eine Frau, weiß, älter.
SAUNA, 95 Grad: vier Frauen, sieben Männer, weiß, jung, mittelalt, älter.
Sooo, der nächste Aufguss ist Citrus.
Geruch von Feuer und WC-Reiniger. Schweiß läuft über Tattoos, läuft über
Nackenfalten, Bauchfalten, über Rötungen, Dellen, Risse.
## Häufigster Wunsch: Zeiten für Musliminnen im Bad
Hallo? Nach der Sauna duscht man sich erst ab!
FRESHDUSCHE.
REGENDUSCHE.
Guck mal, meine Falten. Ich sag ja: Mein Gesicht ist die Deutschlandkarte.
Transschwimmen. Interschwimmen. Wenn der Pressesprecher der Berliner
Bäderbetriebe bei seinen Kollegen außerhalb der Hauptstadt diese Begriffe
fallen lässt, kann er ihnen oft ansehen, dass sie nicht verstehen, von
welchen Forderungen er spricht. „Das ist einmalig in der Republik“, sagt
Matthias Oloew am Handy, eben hat er Besucher durch ein Bad in Berlin-Mitte
geführt. Die Leiterin der Betriebe will sich nicht äußern – und zu A. darf
auch Oloew nichts sagen. Es wurde Stillschweigen mit ihr vereinbart: „Die
Trans*person hat sich für einen anderen Weg entschieden.“ Punkt.
Oloew findet: Keine getrennten Schwimmzeiten zu brauchen, sei das Ziel.
Bereits am Frauenschwimmen zeige sich aber, wie weit entfernt ein solches
Ziel sei. Der eigene Tag sei nötig, einerseits, „weil sich Frauen freier
fühlen, wenn sie nicht von dickbäuchigen Männern am Rand beobachtet
werden“. Und trotzdem, andererseits, „ein Rückschritt ins 19. Jahrhundert�…
Bis zur Weimarer Republik wurde geschlechtergetrennt gebadet. Im Stadtbad
Neukölln, das 1914 eröffnet wurde, war die kleine Halle die Damenhalle. Und
die große die für die Männer.
Die Forderung, die am häufigsten bei den Berliner Bäderbetrieben eingeht,
ist die nach Schwimmzeiten nur für Musliminnen. Und da, sagt Oloew, hört es
auf. „Weil wir sagen: Wir betreiben Volksbäder. Wir möchten uns nicht in
die Rolle begeben, dass unser Kassenpersonal die Religionszugehörigkeit
unserer Badegäste prüft.“
Yalla!
Große Halle, Sonntag. Spaßbadzeit, Anarchieschwimmen. Reifen werden
geworfen, Reifen treiben verloren. Wellen werden mit Schwimmnudeln
gepeitscht. Wenn dem Stadtbad dienstagmorgens ein Hauch von Weltflucht
anhaftet, durchzieht es jetzt eine Spur von Gewalt.
Du Hure, hör auf. Hör auf.
Der Geruch von Adrenalin und Lust, Schweiß, Schimmel, Pärchen, Parfüm – und
mittendrin: eine Frau, Cahide Erdoğan, die ihren Sohn, durch das
Nichtschwimmerbecken trägt. 12 oder 13 ist er und Autist. „Guck, du kannst
es doch“, sagt Gul Sağkol, Erdoğans Freundin, wenn er kurz alleine driftet.
Sie fassen ihm ins Haar, küssen ihn auf die Schulter. „Ein guter Junge.“
„In den Neunzigern sind wir aus der Sonnenallee weggezogen. Zu viele
Araber.“
Nicht rennen!
Dir geht’s wohl zu gut.
„Wir sind Aleviten, wir sind tolerant. Keine Moschee, nix. Beten können wir
zu Hause, Gott ist überall.“ Gul Sağkol, 41 Jahre, trägt einen hellgrünen
Bikini, dazu hellgrünen Lidstrich. Die, die mit Kopftuch ins Stadtbad
kämen, seien Sunnitinnen, sagt sie, und Cahide Erdoğan sagt, dass sie sich
dauernd mit ihren sunnitischen Nachbarinnen über Burkinis streite. „Die
Frauen müssen den Mund aufmachen!“ Sie nimmt ihren Sohn auf die Hände,
lässt ihn ein Stück über die Trennlinie zu den Schwimmern gleiten. Gul
Sağkol sucht Halt an den Kacheln, im Tiefen hat sie Angst.
Na spring schon, spring.
Jasmin, komm mal bei mir auf‘n Boden.
Es ist weiterhin Februar, als Rechtskonservative die Debatte um A. für sich
entdecken. „Wir werden wohl nicht lange warten müssen, bis dieser
Transenvirus auch Bäder weiterer Städte befällt“, schreibt Peter Helmes auf
seinem Blog – Bundesgeschäftsführer der Jungen Union war er; 1980, während
der Bundestagswahlen, im Wahlkampfstab von Franz Josef Strauß. „Der
sexuelle Irrwahn in Deutschland kennt offenbar keine Grenzen.“
Und bestimmt gehören solche Kommentare zu den Gründen, aus denen A.
schweigt, über ihren Tag im Stadtbad nicht öffentlich redet. Wie auch ihre
Unterstützer im Laufe dieser Recherche kaum noch reden. Prozess? Einigung?
Künftige Schritte sollen nicht erwähnt werden, heißt es. Zu A.s Schutz.
Ich hätt gern auch ein Stückchen Leben, weißte, wie ich mein?
Große Halle, Samstag. Die, die bisher unsichtbar waren, stehen plötzlich da
– links, vor dem Eingang zum Männerbereich: acht Flüchtlinge. Handtücher,
Duschgel in den Händen. Einer von ihnen steht etwas abseits, vor ihm steht
ein Bademeister. Er gestikuliert, zeigt auf die Badehose des Flüchtlings,
immer wieder: knielang, dunkelblau. Baumwollstoff. „This is not a bathing
suit!“
„This!“ – der Bademeister hält die Autorin im Vorbeigehen am Bikiniträg…
fest – „this is a bathing suit!“ Er zieht am Träger, das Englisch geht i…
aus. Der Mann, der Flüchtling, läuft zurück in die Umkleidekabine, kommt
wieder und hebt eine Unterhose hoch. Viel knapper als die, die er trägt.
Grau. Baumwollstoff. „No!“
## „Und dann wird uns vorgeworfen, wir sind nazihaft“
No! No! No!
Ein zweiter Bademeister tritt auf. Groß, gestählt, die Brust zeichnet sich
unter dem Tanktop ab. Der spricht kein Englisch. – Vergiss es, die sprechen
alle kein Englisch, kein Französisch, kein Deutsch. Ich hab’s schon
dreißigmal gesagt, die verstehen‘s immer noch nicht.
Der Mann, der Flüchtling, schaut zum ersten Bademeister, schaut zum zweiten
Bademeister, schaut zur Autorin, die Situation ist zum Heulen. Bevor er
geht, sagt er das eine Wort, das er kennt: „Entschuldigung.“
Die Flüchtlinge sind heute nicht bloß zum Duschen gekommen, aus dem
C&A-Gebäude um die Ecke. 169 sollen dort gerade leben, ausschließlich
Männer.
Sie wollten schwimmen.
Ob sie Eintritt zahlen mussten dafür?
Keine Angst, die haben genug Geld. Der kriegt heute ausnahmsweise eine
Kulanzkarte von mir, das heißt, er darf noch mal rein, ohne noch mal extra
zu zahlen. Wir sind nicht angehalten, das zu machen. Wir müssen das nicht.
Aber bei dem hier würde ich heute mal denken: Er hat‘s nicht gewusst. Viele
wissen‘s nicht. Die kommen hier her, in Baumwollunterhosen. Einer neulich:
mit Bremsspuren. Das ist dermaßen unhygienisch, dermaßen! Ich weiß, das ist
hart – viele versuchen sich auch zu benehmen und sind total nett, einen
kenne ich, der hat schon ein bisschen Deutsch gelernt – aber wir haben eben
Regeln. Dass hier einer in Baumwollhose badet, das gibt es vielleicht bei
anderen. Bei mir gibt es das nicht.
Ich sag Ihnen was: Kein Einziger von denen da drin ist Syrer. Ich weiß das
von ihrem Betreuer, der sagt, die hätten zwar alle syrische Pässe, aber
keiner spricht einen syrischen Dialekt. Die kommen aus dem Iran oder dem
Irak. Und ich weiß ja: Die kommen aus dem Krieg. Da ist man vielleicht auch
einfach mal froh, wenn man duschen kann. Da haben ja Deutsche teilweise
schlechtere Duschen als wir hier im Bad.
Fragen Sie mal unser weibliches Badepersonal nach dem Frauenschwimmen! Wie
die die Duschen hinterlassen! Wir hätten das letztes Mal ja gern
fotografiert und die Fotos ins Internet gestellt. Aber das dürfen wir ja
nicht. Obwohl das eben – Realismus ist, sag ich mal.
Und dann wird uns vorgeworfen, wir sind nazihaft! Wir seien gegen
Ausländer. Wenn neunzig Prozent unserer Besucher Menschen mit
Migrationshintergrund sind, dann sind das eben die Menschen, mit denen wir
zu tun haben. Die Türken übrigens – ich war selbst schon in der Türkei,
Istanbul, Ankara, alles, tolles Land – die benehmen sich besser als die
Deutschen. In der türkischen Kultur geht es nämlich um Anstand. In der
arabischen geht es um: gar nichts.
Drüben, in der kleinen Halle, fängt das Romantikschwimmen an. 19 Uhr: Ein
junger Mann hält seine Freundin auf den Armen. Entspannungsmusik läuft, die
Bewegungen werden sanft. Weiße Kerzen werden angezündet, eine nach der
anderen. Jede auf einem Silbertablett. Dann geht das Licht aus.
12 Mar 2016
## AUTOREN
Annabelle Seubert
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Kolumne Alles getürkt
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