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# taz.de -- Nacktheit und Haltung: Stress im Sammelbecken
> Ein Mann bekommt Geld angeboten, um seinen Flüchtlingsschwimmverein
> aufzulösen. Was erzählen Wasserkonflikte über die Gesellschaft?
Bild: Die Schwimmerinnen halten Abstand, während sie ihre Bahnen ziehen. Zu Pr…
Ludwig Majohr hatte nicht damit gerechnet, wie viel Probleme die Idee
machen könnte, mit Flüchtlingen baden zu gehen. Den „Ersten farbigen
Schwimmverein“, gründete Majohr, 69 Jahre alt, pensionierter
Berufsschullehrer, im Sommer vergangenen Jahres in seinem Heimatort
Schwäbisch Gmünd.
Schon eine Weile leitete er dort die Werkstatt einer Flüchtlingsunterkunft
und sprach beim Schrauben an den Fahrrädern auch mit den Männern über ihre
Erlebnisse. Einige erzählten ihm, dass sie nicht schwimmen könnten. Das
wollte er ändern: Mit 15 Flüchtlingen und vier anderen Rentnern gemeinsam
beantragte er die Aufnahme ins Vereinsregister. Ein Euro Mindestbeitrag im
Jahr für jedes Mitglied.
Die Zeitungen berichteten. Kurz darauf erneut: Der „Erste farbige
Schwimmverein“ wurde in den „Ersten Flüchtlings-Schwimmverein“ umbenannt.
Man wolle keinesfalls einem braunen Mob Vorschub leisten, sondern
Völkerverständigung und Integration erreichen, entschuldigt sich Majohr für
die Wortwahl.
Dann das Anbaden im Bud-Spencer-Bad: Mehrere Fernsehteams sind gekommen.
Ludwig Majohr steht vor der Kamera, mit Badehose, hellblauem Basecap und
Trillerpfeife um den Hals, und sagt, es gehe ihm darum, dass die
Flüchtlinge merkten, dass sie angekommen sind. „Bei uns ist
Schwimmenlernen, die Badekultur, selbstverständlich. In den Ländern nicht.
Und deswegen wollen wir ganz speziell die Flüchtlinge an unser Leben
heranführen.“
## Flüchtlingsschwimmverein wieder aufgelöst
Der Deutsche Schwimmverband gibt eine Stellungnahme heraus, Lob, aber auch
Kritik: „Ob es dafür neuer Vereine bedarf, ist angesichts bereits
zahlreicher vorhandener Angebote zu hinterfragen.“
Heute, wenige Monate später, ist der Flüchtlingsschwimmverein schon wieder
aufgelöst, erzählt Ludwig Majohr am Telefon. Er habe Eintritts- und
Fahrtkosten selbst tragen müssen, weil von der Kommune keine finanzielle
Unterstützung gekommen sei.
Stattdessen kam ein anderer Anruf. „Einer der oberen Reichen von Schwäbisch
Gmünd hat mir eine hohe Summe geboten, wenn ich den ganzen Unsinn lassen
würde“, sagt er. „Durch einen solchen Verein würde ich doch nur noch mehr
Flüchtlinge nach Deutschland holen“. Majohr lehnte ab.
Menschen kommen nach Deutschland, wenn Sie hören, dass Flüchtlinge hier
eigene Schwimmvereine bekommen?
Was ist eigentlich los?
Da wo Chlorwasser auf nackte Haut klatscht, findet man sich inmitten der
gesellschaftlichen Konflikte wieder. Vielleicht weil wir dort auch
besonders verletzbar sind. Es geht um die Frage, wie nah man Menschen, die
als in irgend einer Weise als anders eingeordnet werden, an sich
heranlassen möchte.
## Vorschriftsmäßige Badekleidung
So wie in Hermeskeil, in Rheinland-Pfalz, wo, ein Badepass für Flüchtlinge
eingeführt wurde, weil sich Asylbewerber in den Duschen rasiert und die
Fingernägel geschnitten hätten. Oder in Bornheim in Nordrhein-Westfalen, wo
männlichen Flüchtlingen für einige Tage der Zutritt zum Freizeitbad
verwehrt wird – begründet mit Beschwerden über Belästigungen.
in der Titelgeschichte der [1][taz.am wochenende vom 27./28. Februar] geht
unsere taz-Autorin Annabelle Seubert der Frage nach, wie wir überhaupt
zusammen leben können, wenn wir nicht einmal in der Lage sind, im
Schwimmbad nebeneinander Bahnen zu ziehen. Dafür verbringt sie eine Woche
im Stadtbad von Berlin-Neukölln. Sie spricht mit Frauen, denen Burkinis
Angst machen und erlebt wie ein Bademeister einen Flüchtling über
vorschriftsmäßige Badebekleidung aufklärt.
Und sie erzählt den [2][Fall einer Trans*Frau], die im Stadtbad Neukölln
aus der Umkleidekabine verwiesen wurde. Der Umgang mit ihr wurde in einem
[3][Offenen Brief] kritisiert, der bereits über 500 Mal unterschrieben
wurde. Eine monatliche Zeit für Trans*Schwimmen war einer der im Anschluss
vorgebrachten Vorschläge.
Funktioniert zusammenleben am Besten, wenn jede gesellschaftliche Gruppe
ihren eigenen Platz, ihre eigene Zeit bekommt? Schon heute gibt es im
Stadtbad Neukölln Frauenschwimmen, FKK-Schwimmen und Romantikschwimmen,
[4][alles zu seiner festen Zeit]. Abends kommen die Flüchtlinge aus einer
Unterkunft in der Nähe zum Duschen. Annabelle Seubert schreibt:
„Minderheiten erstreiten sich ihre Rechte dort, wo Sich-frei-Schwimmen am
logischsten erscheint: im Hallenbad. Wie tolerant wir sind, zeigt sich im
Wasser schnell. Ist die Haut entblößt, entblößt sich auch die Haltung.“
Ist es besser, man räumt jedem allen gesellschaftlichen Gruppen geschützte
Nischen ein, abgeschottet von den Blicken der anderen? Oder ist es für eine
funktionierende Gesellschaft notwendig, dass wir uns arrangieren – ohne
Schwimmzeiten? Wie wichtig sind dafür öffentliche Orte wie Stadtbäder, an
denen sich Menschen begegnen? Und: wie streng dürfen dort die Regeln sein?
Diskutieren Sie mit!
Die ganze Titelgeschichte „Wir müssen das ausbaden“ lesen sie in der
[5][taz.am wochenende vom 27./28. Februar].
26 Feb 2016
## LINKS
[1] /Ausgabe-vom-27/28-Februar-2016/!161887/
[2] http://maedchenmannschaft.net/transfeindlichkeit-im-stadtbad-neukoelln/
[3] http://isdonline.de/offener-brief-an-die-leitung-des-stadtbad-neukoelln-sow…
[4] http://www.berlinerbaeder.de/baeder/stadtbad-neukoelln/
[5] /Ausgabe-vom-27/28-Februar-2016/!161887/
## AUTOREN
Maria Gerhard
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
Transgender
Gesellschaftskritik
Schwimmbad
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Notunterkunft
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Neonazis
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