# taz.de -- Aufwertung durch Kunst?: Migration als Naturzustand | |
> Um unbeliebte Stadtteile attraktiver zu machen, vergibt Hamburgs | |
> städtische Wohnungsgesellschaft Saga Künstlerstipendien. Adnan Softic war | |
> auf der Veddel. | |
Bild: Einwanderer vor Auswandererhallen: Der Künstler Adnan Softic auf der Ved… | |
HAMBURG taz | Wenn es gut läuft, hört man irgendwann auf, Flüchtling zu | |
sein und wird Mensch. Aber das kann dauern, fünf oder zehn Jahre waren es | |
bei ihm, sagt Adnan Softic. Heute ist der gebürtige Bosnier Künstler, | |
Ehemann, Vater, Freund und noch einiges andere. Am Zollhafen auf der Veddel | |
hatte er zwei Jahre lang ein Wohnatelier, finanziert von der Saga. Die | |
Stiftung „Nachbarschaft“ der städtischen Wohnungsesellschaft vergibt seit | |
2007 Stipendien an sogenannte „Quartierskünstler“, die im Gegenzug Kunst | |
machen, die irgendwas mit dem Viertel zu tun hat. In Softics Fall also mit | |
der Veddel. | |
GentrifizierungsgegnerInnen kritisieren das als Aufwertungsstrategie: | |
ImmobilienbesitzerInnen finanzieren KünstlerInnen das Wohnen in einem | |
unbeliebten Viertel, um es attraktiv zu machen. Eine subkulturelle | |
Kreativ-Szene soll entstehen, das Viertel soll cool werden. | |
Gezielte Gentrifizierung durch das Ansiedeln von KünstlerInnen also? Die | |
Aufwertung des Viertels sei nicht die alleinige Zielsetzung des | |
Künstlerstipendiums, sagte Saga-Sprecherin Kerstin Matzen auf Nachfrage. | |
„Ein Ziel ist es, einen niedrigschwelligen Zugang zur Kunst zu schaffen“, | |
erklärte sie. Es sei wichtig, durch eine positive Identifikation der | |
BewohnerInnen mit dem Viertel eine gute Nachbarschaft zu fördern. „Wir | |
haben schließlich einen sozialen Auftrag: die Entwicklung und Förderung der | |
Quartiere.“ | |
Der Sozialwissenschaftler und Stadtentwicklungsforscher Andrej Holm spricht | |
lieber von einer Werbemaßnahme der Saga. Allerdings gehe diese an den | |
Problemen im Viertel vorbei. „Der soziale Auftrag der Saga ist nicht, Kunst | |
zu fördern, sondern günstige Mieten zu sichern“, findet Holm. Was auf der | |
Veddel fehle, seien günstige Mieten und vernünftig bezahlte Arbeitsplätze, | |
nicht Kunst- und Kultureinrichtungen. | |
Adnan Softic ist sich seiner Rolle als Stadtteil-aufwertender Künstler | |
bewusst. „Ich bin nicht gegen Aufwertung“, sagt er. „Das wäre auch falsc… | |
Ich wünsche den jetzigen BewohnerInnen Aufwertung.“ In den zwei Jahren des | |
Stipendiums hat er zwei Theaterstücke und eine Performance mit | |
Veddel-BewohnerInnen inszeniert, eine Ausstellung kuratiert, einen Film mit | |
Kindern gedreht und ein Buch geschrieben. Bei allen Projekten geht es um | |
Migration. | |
Ob die Veddel dadurch attraktiver geworden ist? „Es gibt auf jeden Fall | |
noch viel zu tun“, sagt Softic. Hauptsächlich fehle es an Geld. Aber er | |
sieht die Elbinsel als Viertel der Zukunft: im Hinblick auf die Überwindung | |
nationaler Strukturen. Von den rund 5.000 BewohnerInnen haben 70 Prozent | |
einen Migrationshintergrund, unter den Kindern und Jugendlichen sind es | |
laut Statistikamt Nord sogar 90 Prozent. „Das Verhältnis von Mehrheit und | |
Minderheit ist umgedreht“, sagt Softic. „Die nationale Erzählung | |
funktioniert hier nicht.“ Das sei es, was ihm an der Veddel so gefalle: | |
„Migration ist Naturzustand.“ | |
23 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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