# taz.de -- "Made auf Veddel": Mode aus dem Problemquartier | |
> Im Rahmen der Bauausstellung in Hamburg arbeiten Frauen aus der lange | |
> vernachlässigten Nachbarschaft an Designer-Stücken. | |
Bild: Werden nicht reich, aber gewinnen trotzdem: Zübeyde Bildir (v. l.), Seng… | |
HAMBURG taz | Der türkische Teekessel blubbert vor sich hin. Hin und wieder | |
stößt er eine Art wütendes Zischen in den kleinen, lang gezogenen Raum. | |
Hell und freundlich ist es hier. An den Wänden viele Schaukästen, darin | |
Tannenbaumkugeln mit gehäkelten Netzbezügen. Es gibt ein paar Arbeitsplätze | |
mit Nähmaschinen. Überall Wolle und verschiedene Stoffe. | |
Zübeyde Bildir, Nesrin Kaya und Sengül Ceritlioglu haben sich am Vormittag | |
getroffen, um gemeinsam zu arbeiten: zu stricken und zu häkeln. Die | |
34-jährige Ceritlioglu muss noch einen Schal für einen Kunden | |
fertigbekommen und holt sich dafür Rat bei ihren zwei älteren Kolleginnen. | |
Bei einem Tässchen Tee besprechen sie ihre Pläne für den Tag. | |
Seit dreieinhalb Jahren treffen sich die Frauen regelmäßig in dem Atelier | |
an der Veddeler Brückenstraße, gleich südlich der Hamburger Elbbrücken. Sie | |
stricken und häkeln für „Made auf Veddel“, ein Modeprojekt, das 2008 die | |
Designerin Sibilla Pavenstedt ins Leben gerufen hat. | |
Ihr Grundgedanke war es, Migrantinnen von der Elbinsel handwerklich | |
auszubilden, ihnen einen Weg ins selbstständige Arbeiten zu ermöglichen. | |
Inspiriert hatte Pavenstedt ein Aufruf der Internationalen Bauausstellung | |
(IBA), die in diesem Jahr im benachbarten Wilhelmsburg stattfindet. | |
Der Stadtteil Hamburg-Veddel erstreckt sich über drei Elbinseln, von denen | |
eine verwirrenderweise auch so heißt: Veddel. Der Migrantenanteil beträgt | |
rund 70 Prozent, fast jeder dritte der Einwohner hier bezieht Leistungen | |
nach Hartz IV. | |
Lange als Problemstadtteil verschrien, ist das Quartier mittlerweile ein | |
Schauplatz der Gentrifizierung: Vor ein paar Jahren begann die Stadt, | |
gezielt Studierende hier anzusiedeln, auch mancher Kreative verirrte sich | |
in die Vorkriegs-Rotklinkeranlagen zwischen Hafen und Autobahn. | |
„Zu Beginn war das Modeprojekt als eine Art Hilfe zur Selbsthilfe | |
angedacht“, sagt Pavenstedt. Dann sei ihr bewusst geworden, über welche | |
handwerklichen Talente die Frauen verfügen – und auch welche kommerziellen | |
Möglichkeiten sich daraus ergeben. „Ich dachte immer, stricken und häkeln | |
könne doch jeder“, sagt Ceritlioglu. | |
Sie selbst habe es von ihrer Großmutter und Mutter gelernt und nie als | |
etwas Besonderes angesehen. Pavenstedt sieht das anders: „Die Frauen | |
stellen schon seit Generationen Couture her.“ Die Designerin war sich | |
sicher, dass sich Abnehmer finden lassen würden für die in mühevoller | |
Handarbeit gefertigten Stücke. | |
Sibilla Pavenstedt selbst ist in Bremen aufgewachsen, ihre Mutter | |
Italienerin. „Schon als Kind habe ich ihre Sicht auf Deutschland | |
kennengelernt. So hatte ich immer ein besonderes Verständnis für Menschen, | |
die von außerhalb kamen.“ In der Schule schon habe sie Migranten | |
Deutschunterricht gegeben, erzählt die 47-Jährige. | |
„Made auf Veddel“ begreift sie vor allem auch als ein Integrationsprojekt: | |
Neben der handwerklichen Ausbildung werden die Migrantinnen auch in Deutsch | |
unterrichtet. „Sie sollen später in der Lage sein, Aufträge von Kunden | |
persönlich entgegenzunehmen“, sagt Pavenstedt, „und mit ihnen zu | |
verhandeln.“ | |
Zwölf Frauen nehmen inzwischen am Projekt teil. Das Atelier an der | |
Brückenstraße leiten sie in Eigenregie. Dabei steht es ihnen frei, wann sie | |
ihrer Arbeit nachgehen. Vieles können sie auch mit nach Hause nehmen. | |
Bildir, Ceritlioglu und Kaya genießen diese Freiheiten. Es sei schön, sagen | |
sie, „wie wir unsere Arbeit in unser Familienleben integrieren können“. | |
Die 40-jährige Zübeyde Bildir ist vor rund 20 Jahren aus der Türkei nach | |
Deutschland gekommen und auf die Veddel gezogen. Die gelernte Schneiderin | |
ist inzwischen Witwe und hat zwei Kinder. Für „Made auf Veddel“ strickt und | |
häkelt sie. Bildirs Deutsch ist noch immer gebrochen, wenn ihr bestimmte | |
Wörter nicht einfallen wollen, ringt sie mit den Händen. Oft springt | |
Ceritlioglu dann für sie ein mit der passenden Vokabel. | |
Die 34-Jährige selbst wurde als Tochter türkischer Migranten in | |
Hamburg-Harburg geboren. Ihre Kinder seien sehr stolz auf sie und ihre | |
Arbeit, sagt Bildir: „Sie haben in ihrer Schule erzählt, dass ihre Mama mit | |
einer Modedesignerin zusammenarbeitet und auch schon bei Modeschauen | |
aufgetreten ist.“ | |
Ganz autonom geht es in dem Atelier dann aber doch nicht zu – schließlich | |
muss „Made auf Veddel“ auch finanziert werden. Kurz nach Beginn bekam das | |
Modeprojekt rund 20.000 Euro Zuschuss von der IBA. Heute lebt es einerseits | |
von Spenden, zum anderen vom Verkauf der gefertigten Produkte. Pavenstedt | |
unterstützt die Frauen so gut sie kann. Die Designerin überlässt den | |
Veddelerinnen und deren Kunden kostenlos eigene Entwürfe, lässt auch schon | |
mal Kontakte spielen. | |
„Ich will, dass die Frauen für ihre Arbeit fair bezahlt werden“, sagt | |
Pavenstedt. „Daher kommen nur Auftraggeber aus der Luxusbranche in Frage.“ | |
Die nämlich seien auch bereit, einen Stundenlohn von bis zu acht Euro | |
brutto zu zahlen. Auf den Einwand, dass diese Bezahlung ja von Luxus | |
meilenweit entfernt sei, weist Pavenstedt darauf hin, dass ungelernte | |
Kräfte in der Modebranche einfach nicht mehr verlangen könnten. Die | |
Veddeler Frauen kämen im Monat immerhin auf bis zu 1.000 Euro. | |
Regelmäßig entführt Pavenstedt sie auf wohltätige Modenschauen, in eine | |
High-Fashion-Welt, die mit dem kleinen Atelier und dem gemütlichen | |
Teetrinken so gar nichts gemeinsam hat. So auch an diesem Freitagabend, dem | |
Auftakt der Veranstaltung „24 Stunden IBA“ in einem alten Hochbunker im | |
Stadtteil Wilhelmsburg. Gekonnt posiert Pavenstedt beim Sektempfang vor der | |
Sponsorenwand, hält eine kleine, die Geldbeutel lockernde Ansprache. Dann | |
fordert sie ihr Publikum auf, sie in den zweiten Stock des Bunkers zu | |
begleiten. | |
Auf einer abgesperrten Fläche hat sich ein Orchester aufgebaut, die Frauen | |
von der Veddel sitzen daneben, mit Strickutensilien auf dem Schoß. Dann | |
setzen die Musiker zu einer dramatischen Sinfonie an, die Frauen beginnen | |
zu stricken. Nachdem die letzten Töne des Liedes verklungen sind, | |
verschwinden Musiker und Frauen aus dem Sichtfeld des Publikums. | |
Es wird Zeit für die Mode: Models tragen Teile aus der „Made auf | |
Veddel“-Kollektion, aber auch Kleider aus dem Atelier von Sibilla | |
Pavenstedt selbst. Im Hintergrund blitzt hin und wieder der Schriftzug | |
„Integration by Sibilla Pavenstedt“ auf, eine Videoprojektion. Zum | |
Abschluss treten die Frauen von der Veddel noch einmal zusammen mit der | |
Designerin vor ihr Publikum. Den reichlich ertönenden Applaus nimmt Sengül | |
Ceritlioglu gelassen: Es sei schließlich nicht ihre erste Modenschau vor | |
prominentem Publikum. | |
Dass Sibilla Pavenstedt die Frauen aus der Veddeler Brückenstraße bei | |
solchen Schauen persönlich auftreten lässt, hat einen Grund: Sie möchte | |
denen, die die Kleidungsstücke gefertigt haben, ein Gesicht geben. „Das | |
Wichtige an dem Projekt ist, dass die Frauen aus der Anonymität | |
heraustreten“, sagt sie. Zusätzlich sei an jedem Kleidungsstück ein Etikett | |
befestigt, auf dem der Name der Frau steht, die es gefertigt hat. | |
„Wir wollen zeigen, dass es sich nicht um irgendeine Frau mit Kopftuch | |
handelt. Sie hat ein Leben, eine Geschichte eine Identität“, sagt | |
Pavenstedt. Diese Identität könne auch gerne in Stadtteile wie Eimsbüttel | |
oder Winterhude transportiert werden, weit weg von der Veddel, dorthin, wo | |
die Sachen verkauft werden. | |
Mit der Resonanz auf ihr Projekt ist Pavenstedt zufrieden. Sie hat etwas | |
Nachhaltiges schaffen wollen und zeigt sich sicher, dass „Made auf Veddel“ | |
auch nach Ende der IBA weitergehen wird. „Wir haben schon 20 qualifizierte | |
Frauen auf der Warteliste stehen, doch fehlen uns die finanziellen Mittel | |
und auch die Räumlichkeiten, um alle aufzunehmen.“ | |
2 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Katharina Gipp | |
## TAGS | |
Hamburg | |
Theater | |
Internationale Bauausstellung | |
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