# taz.de -- Björn Bicker über Theater vor Ort: „Das ist doch viel komplizie… | |
> Das Schauspielhaus geht auf die Hamburger Elbinsel Veddel – ein langer | |
> vernachlässigter Stadtteil, in dem eine alte Welt stirbt und eine neue, | |
> unübersichtliche entsteht. | |
Bild: "Ganz unterschiedliche Leute": Probe für Björn Bickers Stück "Die Inse… | |
taz: Herr Bicker, Mit dem Projekt „New Hamburg“ will das Hamburger | |
Schauspielhaus die Stadt der Zukunft auf der Veddel bauen. Sind | |
Theaterleute die besseren Stadtentwickler? | |
Björn Bicker: Die Veddel ist in ihrer Vielfalt schon die Stadt der Zukunft, | |
die muss man gar nicht mehr bauen. Theater kann eine Ressource zur | |
Verfügung stellen, die die Einrichtungen de facto hier leider nicht haben, | |
sie haben nicht die Leute und das Geld für solche Projekte. Aber damit ist | |
es natürlich nicht getan. Was Theater kann, ist, sich andere Wege der | |
Begegnung auszudenken, jenseits der erprobten Pfade. Mit einem anderen | |
Zugang, aber gemeinsam mit den Leuten, die sowieso schon hier arbeiten. | |
Wie haben Sie und die Veddel zueinander gefunden? | |
Die evangelische Gemeinde auf der Veddel ist eine sehr kleine, weil es | |
mittlerweile wenig evangelische Christen gibt und es ist der Wunsch der | |
Gemeinde, den Raum dem Stadtteil zur Verfügung zu stellen und ihn für Leute | |
aller Religionen zu öffnen. Dabei helfen wir mit. | |
Was tun Sie konkret? | |
Wir sind mit Recherche- und Vernetzungsarbeit seit eineinhalb Jahren hier, | |
die ersten Projekte arbeiten seit einem Jahr, zum Beispiel das Welcome’s | |
Höft. Es gibt hier eine Flüchtlingsunterkunft an der Hafenbahn, 500 Meter | |
vom Zentrum der Veddel entfernt. Es gab Versuche der islamischen und der | |
evangelischen Gemeinde und von „Pro Quartier“, das miteinander zu | |
vernetzen, was nicht so einfach war. Dann haben wir gesagt: Da können wir | |
mithelfen. | |
Der Sozialarbeiter wird an dieser Stelle möglicherweise sagen, dass man als | |
Theatermensch eine weitere Barriere mitbringt, die eines | |
bildungsbürgerlichen Hintergrunds und wenig Erfahrung mit Sozialarbeit. | |
Von wem reden Sie gerade? | |
Von Ihnen als Theatermensch. | |
Wer ist denn der Theatermensch? | |
Sie als Regisseur, der Dramaturg und seine Mitarbeiter. | |
Das ist doch viel komplizierter. Wir, also Malte Jelden, Michael Graessner | |
und ich arbeiten seit vielen Jahren an solchen Projekten, wir sind geübt in | |
solchen Prozessen und haben viel Kontakt mit Menschen, die eine andere | |
Sozialisation haben als wir selbst. Da sehe ich kein Problem. Außerdem geht | |
es um Begegnung. Wir versuchen, Situationen herzustellen, in denen eine | |
möglichst gleichberechtigte Begegnung stattfinden kann. | |
Wie sehen die aus? | |
Es gibt ganz klassische theatrale Projekte, für die wir Ensembles bilden, | |
die sich aus verschiedenen Communitys zusammensetzen oder so etwas wie das | |
Café-Projekt. Es gibt ein großes Bedürfnis der Leute nach einem Ort, wo man | |
sich begegnen kann, wo sich nicht nur einzelne Communitys treffen. Jetzt | |
haben wir versucht, mit BewohnerInnen ein Café zu gründen, in einem | |
Prozess, bei dem die Leute selber gestalten. Oder es gibt im Stadtteil ein | |
Eltern-Kind-Zentrum, zu dem auch Mütter aus der Flüchtlingsunterkunft | |
eingeladen sind – da geht es darum, dass sich die Leute kennenlernen. | |
Der klassische Theatergänger ist dann nicht mit von der Partie. | |
Wenn die Ressourcen einer Hochkultur-Einrichtung solch eine Arbeit möglich | |
machen, kommen immer diese Fragen – müssen sie ja auch. Normalerweise | |
stehen die Mittel, die eine Einrichtung wie das Schauspielhaus hat, einem | |
ganz kleinen Teil der Bevölkerung zur Verfügung, zwei, drei Prozent. Jetzt | |
kann man die Frage stellen: Könnte man diese Produktionsmittel einmal | |
anderen Leuten zur Verfügung stellen – darum geht es bei einem solchen | |
Projekt auch. Aber es sind ja alle eingeladen. | |
Sie haben jetzt ein paar Mal von den Bedürfnissen der Leute auf der Veddel | |
gesprochen – lassen die sich auf einen Nenner bringen? | |
Das ist sehr unterschiedlich, je nachdem, welcher Community die Leute | |
angehören. Ich glaube, dass es genau das ist, was man lernen muss: Diese | |
Bedürfnisse lassen sich nicht allgemein formulieren. Es gibt das Bedürfnis | |
der muslimischen Gemeinde, die eine größere Moschee braucht, in der sie | |
alle Leute unterbringen kann. Das Bedürfnis von jungen Müttern, die keinen | |
Kinderarzt auf der Veddel haben. Es gibt den Fußballtrainer, der zweimal | |
pro Woche für seine Jungs kocht und einen größeren Raum dazu braucht. Und | |
es gibt tatsächlich ein großes Bedürfnis der Menschen, sich zu begegnen. | |
Was wird hinterher Maßstab für Sie sein, ob das Projekt gelungen ist? | |
Da gibt es viele Perspektiven. Als wir im Mai das große Fest auf der Veddel | |
gemacht haben, da gab es einen Moment von Gelingen. Da haben der Imam, der | |
Pastor der evangelischen Gemeinde und der der Pfingstlergemeinde das | |
Projekt gemeinsam gesegnet und sehr viele Leuten der verschiedensten | |
Communitys sind zusammengekommen. Oder: Gerade proben wir das Stück „Die | |
Insel“, das ich geschrieben habe, mit einem Ensemble von zwölf Darstellern, | |
die hier auf der Veddel leben und Schauspielern aus dem Schauspielhaus. Das | |
sind muslimische Männer, afrikanischstämmige Frauen, deutschstämmige Leute, | |
ganz unterschiedlich. Die begegnen sich im Kirchenraum, in dem geprobt | |
wird, freunden sich an, und werden eine neue Gruppe. Das verändert | |
natürlich einen Stadtteil, denn sie begegnen sich anschließend auf der | |
Straße auf eine komplett andere Weise. | |
Ich stelle mir die Ausgangssituation nicht ganz einfach vor: Die | |
muslimische Gemeinde platzt aus allen Nähten, die evangelische schrumpft | |
immer weiter. | |
Es ist schade, dass Sie jetzt nicht hier vor Ort sind. Sonst würde ich Sie | |
in die Kirche führen und die Frage wäre durch den Raum beantwortet. Es gibt | |
keine Kirchenbänke mehr, es liegt ein Teppich darin, es gibt Schuhregale | |
und einen großen Leuchter. Der erste Anschein ist: Das ist eine Moschee. | |
Aber hinten ist noch der große Jesus und der Altar – eigentlich vermischen | |
sich die religiösen Bilder. Für die Kirche ist die Frage: Welche | |
Vorstellung von Vielheit kann ich aus meinem Glauben entwickeln? Welche | |
Verhältnisse entwickle ich zu anderen Religionen – und wie offen oder | |
geschlossen sind meine Räume? Wie verhalte ich mich als Minderheit? | |
Und wie offen sind die Räume? | |
Da gibt es Ängste, Leute, die sagen: „Macht keine Moschee daraus“, andere, | |
gerade auch von muslimischer Seite, die sagen: „Kann doch nicht sein, dass | |
es keinen Pastor mehr hier gibt“, die einen starken Partner wollen. Und | |
wieder andere, die sich freuen würden, wenn eine Moschee daraus würde. Die | |
Gesellschaft ist insgesamt in einem Aushandlungsprozess und ich finde es | |
wichtig, dass wir ihn mit Freude betreiben. Es ist auch schön, sich zu | |
begegnen und sich auseinanderzusetzen. | |
Was ist das Schöne daran? | |
Weil man Menschen kennenlernt. Man verbindet sich und kann gemeinsam | |
darüber nachdenken, wie dieses New Hamburg aussehen soll, in dem wir | |
gemeinsam leben: Wie sollen sich Vermieter verhalten? Wie soll eine Schule | |
ohne Rassismus funktionieren? Die Dinge anzugehen und sie zu lösen, statt | |
nur in Angstbildern zu verharren. | |
bis 25. Oktober an diversen Orten. Programm: [1][www.new-hamburg.de] | |
4 Oct 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.new-hamburg.de | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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