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# taz.de -- Das Theater geht in die Kirche: Die Kunst der Begegnung
> Durch sieben Münchner Gebetsräume ist das Projekt „Urban Prayers“ der
> Münchner Kammerspiele gezogen. Für eine Botschaft von der Vielfalt.
Bild: Die Schauspieler der Kammerspiele lesen „Urban Prayers“ in der Mehmet…
Gegenüber den Machtlfinger Höfen im Münchner Stadtteil Obersendling bekommt
ein hässliches Haus festlichen Besuch. Die togolesische Moschee wird gerade
eingeweiht – und gesellt sich damit zu sechs weiteren
Religionsgemeinschaften, die in dem vierstöckigen Gebäude zwischen
Tanzschulen und Bordellen ihrem Glauben nachgehen. Hier beten unter
anderem: afghanische Muslime, irakische Schiiten (mit Fußball-Leinwand im
Gebetsraum), herrlich gastfreundliche Sikhs und eine erst zwei Jahre junge
christliche Freikirche.
Dort empfängt Pastor Joe in einem lilafarbenen Raum und deutet am
Whiteboard auf die Verzweigungen seines Glaubenssystems: vom persönlichen
Erweckungserlebnis bis zur unbedingten Notwendigkeit, zu missionieren. Für
das innere Kopfschütteln, das sich in diesem Moment einstellt, kann der
Anlass für den Besuch nichts: das durch sieben Gebetsräume wandernde
Projekt „Urban Prayers“, das zuvor ins Haus auf der anderen Straßenseite
eingeladen hatte.
Eine große Ökumene saß dort auf dem Boden, um zwischen Gospel und Sikhgebet
einem Text zu lauschen, den der Kammerspiele-Exdramaturg Björn Bicker aus
unzähligen Gesprächen mit Münchner Gläubigen kondensierte. Inszeniert hat
das Arrangement, in dem Wiebke Puls, Cigdem Teke, Stefan Merki, Steven
Scharf und Edmund Telgenkämper nebeneinander sitzend mehr lesen als
spielen, der Intendant der Kammerspiele selbst. Und näher ist Johan Simons
seinem Ideal des für alle Bevölkerungsgruppen offenen Stadttheaters noch
nie gekommen.
## Gemeinschaft werden
Bickers Text beschwört eine heterogene Gemeinschaft, die die Frage nach
ihrer Eigenart an die Zuschauer zurückgibt: „Was glaubt ihr denn, wer wir
sind“, „wo wir stören“, „wo wir euch begegnen wollen?“ Chorisch, jed…
in emotionsbereinigtem Stakkato von der folgenden abgesetzt, beginnt der
Text. Mal pocht einer, die Tonhöhe leicht variierend, auf Individualität.
Dann zersplittert der Chor in (namenlose) Einzelstimmen, Meinungspingpongs
und Widersprüche.
Vorwitz stiehlt sich hinein und Humor („wir führen euch herum“ – „wir
nicht“ – „wir auch nicht“). Es ist von Moscheen mit bayerischen
Zwiebeltürmen und von freundlichen Verfassungsschützern die Rede, die
Moslems vor Bomben warnen. Von dem „Homoding“, das „gar nicht geht“, und
von Toleranz gegenüber „eurer Toleranz“. Der hoch konzentrierte Text ist
mit so feiner Musikalität umgesetzt, dass er ein äquivalentes, aber
dezidiert nichtpathetisches Gegengewicht zu den christlichen
Unterbrechergesängen des Theaterchors bildet, den Christoph Homberger mit
fast komischer Inbrunst anführt.
## Beten im Schichtbetrieb
Bicker, der den Text vorab allen am Projekt Beteiligten zu lesen gab, hat
sich klug vom Theologischen ferngehalten, das sofort die Unterschiede
betonen und Abgrenzung provozieren würde. Stattdessen hat er gebündelt, wie
die Gläubigen Gemeinschaft definieren und sich selbst in ihrer Position zur
Stadt. München als city of god, als urbanes Mosaik von Glaubensfacetten und
-ritualen, die es, obwohl gern in vielerlei Weise an die Peripherie
gedrängt, anzuschauen lohnt – das ist die Botschaft des Stadtprojekts.
Dessen Wanderung durch jüdische, muslimische, adventistische,
griechisch-orthodoxe und katholische Gotteshäuser sowie ein sehr
pragmatisches evangelisches, in dem auch kongolesische, koreanische und
äthiopische Gemeinden „im Schichtbetrieb“ beten, hat so manchen tief
bewegten Menschen entlassen, der von alleine nie die Schwelle zum
Unbekannten überwunden hätte.
## Theater als Türöffner
Das Theater als Türöffner, hier hat es funktioniert. Und zwar nach allen
Seiten. Viele Religionsgemeinschaften haben erstmals ihre Räume für die
Kunst aufgemacht (und sich mit eigenen Beiträgen eingemischt) – manche
diskutierend, erst eine höhere Stelle konsultierend oder angesteckt vom
vorangegangenen Besuch in einem anderen Gotteshaus.
Und was es da alles gibt, darüber war selbst der studierte Theologe Björn
Bicker erstaunt: zum Beispiel die jüngste monotheistische und zutiefst
demokratische Religion der Bahai, zu der – schöne bunte Welt! – eine junge
Chinesin in Österreich fand. Sie ist eine von 40, die am Wochenende in
einem neunstündigen Redenmarathon auftreten, und spricht zum Thema
Gerechtigkeit. Die zweitägige „Urban Prayers Convention“ lässt die
„Stadtprediger“ zum Abschluss ihrer Wanderung ins Theater ein, wo am
Sonntag nach Performances, Debatten und Musik gemeinsam mit dem Münchner
Muslimrat zum Fastenbrechen eingeladen wird.
## Vollständiges Programm unter
11 Jul 2013
## AUTOREN
Sabine Leucht
## TAGS
Theater
München
Ausbeutung
Theater
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