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# taz.de -- Theaterregisseur Björn Bicker über den Boxer Johann Trollmann: "U…
> Regisseur Björn Bicker über den sinto-deutschen Boxer Johann Trollmann.
> Bicker hat aus Trollmanns Biographie ein Theaterprojekt entwickelt, das
> die Geschichte der Sinti in Hannover vom Nationalsozialismus bis heute
> thematisiert.
Bild: Trollmanns Kampf: Das Theaterstück soll jugendlichen Sinti ein Forum bie…
taz: Herr Bicker, was hat Sie an der Geschichte von Johann Trollmann
interessiert, als das Staatstheater Hannover Sie um Ihre Mitarbeit gebeten
hat?
Björn Bicker: Ich habe erstmal gemerkt, dass ich sehr wenig über Sinti und
deren Geschichte weiß. Das hat mich angespitzt, weil mir klar wurde, was
für eine krasse Lücke das ist. Und dann ist diese Trollmann-Geschichte
natürlich bewegend. Da ist dieses große Bild, nachdem ihm die Nazis 1933
die deutsche Profimeisterschaft im Halbschwergewicht wegen "undeutschen
Boxens" aberkannt haben. Da hat er sich im nächsten Kampf die Haare
blondiert und den Körper geweißt. Und dann hat er tatsächlich mit seiner
Tänzerei und dem modernen beweglichen Stil aufgehört und versucht
"deutschen Faustkampf zu zeigen", wie er von ihm gefordert wurde. Dabei hat
er natürlich extrem die Fresse voll bekommen. Ein sehr ambivalenter
Widerstandsakt.
Wie haben Sie die Geschichte denn recherchiert?
Zuerst haben wir Kontakt zu seiner Familie aufgenommen, vor allem zu seinem
Großneffen Manuel Trollmann, der auch eine Homepage über seinen Onkel
betreibt. Dann habe ich natürlich die Biografie "Leg dich, Zigeuner" von
Roger Repplinger intensiv studiert. Fulminant war die Begegnung mit Hans
Firzlaff, ohne den die Geschichte Trollmanns in Vergessenheit geraten wäre.
Er hat uns erzählt, wie sein Vater zu ihm als Kind gesagt hat: "Box mal wie
der Trollmann." Das hat ihn sein Leben lang nicht losgelassen und er hat
sehr viel Material zusammengetragen.
Was war für Sie als Autor die Leitidee bei der Umsetzung dieses Stoffs?
Es war klar, dass wir diese Geschichte nur mit Sinti zusammen erzählen
können. Marc Prätsch, der Regisseur, und ich wollten parallel zu dem
historischen Stoff etwas über die Lebensrealität der Sinti heute erzählen.
Aber es ist gar nicht so einfach, mit den Leuten zusammenzukommen und
Vertrauen zu finden. Es gibt da verständlicherweise eine große Skepsis. Sie
haben oft erlebt, dass sich Leute für ihr Leben interessieren, sie
ausforschen, das auf den Markt tragen und für ihre Zwecke missbrauchen.
Wie haben Sie das denn trotzdem geschafft?
Über tausend Umwege sind wir in Hildesheim auf der Münchewiese gelandet, wo
zahlreiche Sinti leben. Das ist ihr alter Platz, wo früher ihre Wagen und
Baracken standen, und heute eben Häuser. Da haben wir Kontakt zu einer
Gruppe junger Sinti bekommen, die in einer so genannten
"Befähigungsmaßname" von Caritas und Arbeitsagentur waren. Wir haben uns
getroffen und kennengelernt. Ich habe Spielszenen geschrieben und
Interviews bearbeitet, die wir gemeinsam weiterentwickelt haben. Neben drei
Profi-Schauspielern treten acht Laiendarsteller sowie die Musiker Kussi
Weiss und Dotschy Reinhardt auf.
Wie verknüpfen Sie denn im Stück die Trollmann-Geschichte und die aktuelle
Lebensrealität junger Sinti?
Wir inszenieren das als eine Radioendung über berühmte Sinti, in der an dem
Abend eben Johann Trollmann das Thema ist. Die Darsteller versetzen sich in
die Geschichte und kommen über die Motive zu ihrem eigenen Leben. Eine
Darstellerin spielt zum Beispiel die Mutter von Trollmann und erzählt dann,
wie sie selbst versucht, ihre Kinder zu erziehen.
Haben die Jugendlichen, mit denen sie zusammenarbeiten, heute noch eine
ausgeprägte Identität und Gruppenzusammengehörigkeit als Sinti?
Klar haben sie die, aber sie ist extrem geprägt durch die lange Geschichte
von Verfolgung und Stigmatisierung, die nach dem Völkermord an den Sinti in
der Bundesrepublik nahtlos weiterging. Es ist den Darstellern, die bei uns
mitmachen, sehr wichtig zu erzählen, was den Alten passiert ist. Und was
ihnen heute noch täglich passiert, wenn beispielsweise die Chefin zu den
anderen Auszubildenden sagt: "Schließt eure Spinde ab, es arbeitet jetzt
eine Zigeunerin bei uns." Die Jüngeren fangen aber an, Selbstbewusstsein zu
entwickeln und zu sagen: Wir sind stolz, Sinti zu sein und wollen das auch
nicht mehr verstecken.
Kann so ein Projekt wie Ihres dazu beitragen, dieses Selbstbewusstsein zu
unterstützen?
Das kann man nur hoffen. Aber die eigene Geschichte öffentlich zu machen,
dazu gehört ja schon eine Menge Mut. Und das findet ja nicht in einer
Nische, sondern in einem kulturellen Zentrum statt. Es ist nicht üblich,
dass die Belange der Sinti an so zentraler Stelle verhandelt werden.
Sie sprachen von anfänglichem Misstrauen der Sinti. Gab es denn in der
Zusammenarbeit auch Momente, wo die Welten schmerzhaft aufeinander geprallt
sind?
Oh ja. Als die Darsteller meine ersten Texte vorlasen, wurde aus guter
Laune plötzlich eine bedrückte Stille. Unwissend wie ich war, hatte ich
sämtliche Tabus verletzt die man verletzen kann und Wörter benutzt, die
Sinti nicht aussprechen.
Ihre Darsteller haben Sie in Hildesheim gefunden. Tauchen die Spuren, die
Johann Trollmann in Hannover hinterlassen hat, in ihrem Stück auf?
Die sind immer präsent. Der Ballhof, wo wir das Stück spielen, ist ja um
die Ecke von der Straße, in der Trollmann gewohnt hat. Und der zweite
Spielort, die Kreuzkirche, in die wir im zweiten Teil umziehen, ist nur
einen Steinwurf entfernt.
Die Stadt Hannover hat die Straße, in der er aufgewachsen ist, vor einigen
Jahren nach Johann Trollmann benannt. Haben Sie den Eindruck, dass die
Stadt dieses Erbe auch sonst angenommen hat?
Als wir die Kreuzkirche als Spielort haben wollten, musste ich das Projekt
vor dem Kirchenvorstand vorstellen, da hat der Ex-Bürgermeister Schmalstieg
einen flammenden Appell dafür gehalten, sich weiter mit diesem Kapitel zu
beschäftigen.
Ihr Stück heißt im Untertitel auf Romanes "Mer Zikrales". Was heißt das auf
Deutsch?
Wir zeigen es.
Wird auf der Bühne geboxt?
Nicht wirklich. 1 : 1-Realismus wird vermieden.
Sie sagten, die Sinti hätten oft die Erfahrung gemacht, dass sich Leute für
ihre Geschichte interessieren, sie zu Markte tragen und dann wieder weg
sind. Wird das in diesem Fall anders sein?
Das wäre schön. Jetzt sind wir an dem Punkt, an dem man zusammen mit dem
Theater nachdenken kann, wie das Projekt weiterentwickelt werden kann.
Premiere: 30. 4. um 19.30 Uhr im Ballhof Eins in Hannover
28 Apr 2010
## AUTOREN
Ralf Lorenzen
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