# taz.de -- Stadtentwicklung in Hamburg: „Wir haben die Leute geschützt“ | |
> Saskia Sassen war Kuratoriumsmitglied der Internationalen Bauausstellung | |
> in Hamburg. Die Veränderung im Stadtteil Wilhelmsburg habe mit | |
> Gentrifizierung nichts zu tun, sagt sie. | |
Bild: Die meisten Hamburger, sagt Saskia Sassen, seien noch nie hier gewesen: W… | |
taz: „Eine Stadtplanung, die kein ideologisches Ziel hat, gleicht einem | |
Schneider, der Maßanzüge macht, ohne zu wissen, wer sie tragen soll“, hat | |
der Schriftsteller Max Frisch gesagt. Welches ideologische Ziel hatte denn | |
die Internationale Bauausstellung in Hamburg (IBA), Frau Sassen? | |
Saskia Sassen: Die „Ideologie“ der IBA in Frischs Sinne – nicht im | |
klassischen Sinne des Wortes – ist Aufwertung ohne Gentrifizierung. Und die | |
Idee, die Biosphäre in den städtischen Raum zu bringen, damit sie von sich | |
aus das machen kann, was wir jetzt nur mit in Fabriken hergestellten | |
Chemikalien erreichen. | |
Zeigt die IBA denn nicht vor allem, wie sich ein „Problemstadtteil“ | |
aufwerten lässt? | |
Ich würde diese Sprache nicht benutzen. Ich bin erst dazu gekommen, als das | |
Kuratorium bereits ein Jahr mit der Arbeit begonnen hatte, war bei der | |
ursprünglichen Planung also nicht dabei. Die Sprache der Aufwertung – es | |
besser zu machen, ist natürlich ein Teil aller IBA-Projekte, sonst hätte | |
die Regierung vielleicht aufgehört, sie zu finanzieren. Aber das ist nicht | |
das Gleiche wie Gentrifizierung. Ein erklärtes Ziel war, sicherzustellen, | |
dass die ansässigen Bewohner nicht vertrieben werden und dass sie von der | |
IBA direkt oder indirekt profitieren. | |
Gibt es noch alternative Modelle zu einer Stadtentwicklung durch | |
Aufwertung? | |
Immer wenn es einen Eingriff gibt, in einer so schicken Stadt wie Hamburg, | |
ist Gentrifizierung leicht eine Hauptkonsequenz. Das war für das Kuratorium | |
ein anerkanntes Thema. Wir haben sehr viel Energie eingesetzt, um die Leute | |
zu schützen, die in Wilhelmsburg wohnen. Glauben Sie mir: Ich habe | |
Gentrifizierung in ihrer vollen Brutalität in New York gesehen – wenn | |
jemand denkt, dass Wilhelmsburg gentrifiziert wurde, hat er nicht viel von | |
der Welt gesehen. Ich forsche zu Bauern und Landarbeitern, die von ihrem | |
Land geworfen wurden, damit Unternehmen es nutzen können. Das ist auch eine | |
Form von Gentrifizierung. Die Welt ist überzogen von brutalen | |
Vertreibungen. Die IBA sollte als ein komplexes Vorhaben untersucht werden, | |
das ziemlich verschieden ist zu Gentrifizierung. | |
Was genau hat die IBA denn anders gemacht? | |
Es gab da sehr heruntergekomme Mietwohnungen und wir haben den Leuten | |
gesagt, wir werden alles renovieren, neue Bäder, Küchen und kleine Balkone | |
bauen und mehr Platz schaffen, dafür müsstet ihr aber ausziehen – und | |
später könnt ihr wieder einziehen. Die Entscheidung war freiwillig. Man | |
kann sich vorstellen, wie die Reaktionen waren: Am Anfang wollten die | |
meisten das Angebot nicht annehmen, weil sie dachten, wir wir ziehen sie | |
über den Tisch. | |
Sie sprechen vom sogenannten „Weltquartier“, einer Siedlung mit | |
Mehrfamilienhäusern. Wie viele der dortigen Bewohner haben schließlich | |
mitgemacht? | |
Einige mutige Seelen haben uns vertraut. Das waren etwa 40 Prozent der | |
Einwohner. Wir haben garantiert, dass die Miete nur ein paar symbolische | |
Cent pro Quadratmeter steigt. Wir haben einen Wettbewerb gemacht, der auf | |
die armen Familien ausgerichtet war. Die Wohnungen sollten nicht schick | |
werden, damit sie sich damit identifizieren können. Dann haben weitere 20 | |
Prozent der Bewohner gesagt, dass sie das auch wollen. Einige haben sich | |
schon fast aus einer politischen Haltung heraus geweigert – und jetzt | |
bedauern sie das, wie wir gehört haben. Weil sie nun realisiert haben, dass | |
sie eine Chance verpasst haben. | |
Haben Sie auf die Proteste reagiert? | |
Es gibt junge Leute aus der Anti-Gentrifizierungsbewegung, die sagen: Immer | |
wenn etwas aufgewertet wird, führt das zur Gentrifizierung. Das ist schon | |
eine Tendenz, das würde ich auch sagen. Aber nicht alle Aufwertungen müssen | |
Gentrifizierung sein. Die IBA hat sehr hart gearbeitet, um die Vertreibung | |
der ansässigen Bewohner mit niedrigem Einkommen zu vermeiden. | |
Heiner Baumgarten, Chef der parallel im selben Stadtviertel ausgerichteten | |
Internationalen Gartenschau, hat kürzlich in der Zeitung Die Welt | |
eingeräumt: Die Gentrifizierung war gewollt. | |
Die Gartenschau ist ein ganz anderes Projekt. Sie bringt Leute von überall | |
her – die nicht die Ärmsten sein können. Das Klientel ist sehr verschieden | |
zur IBA. Es hilft nicht, beide Projekte zu generalisieren. Natürlich sind | |
die meisten Hamburger, so zeigen die verfügbaren Statistiken, noch nie auf | |
der Elbinsel gewesen, sie sprechen darüber in sehr groben Kategorien. | |
Der Stadtsoziologe Andrej Holm hat bei einem Besuch in Wilhelmsburg gesagt, | |
IBA-Geschäftsführer Uli Hellweg wisse eigentlich, wie das geht, Aufwertung | |
ohne Verdrängung: aus seiner Zeit bei der Bauausstellung 1984 in Berlin, | |
die den Schwerpunkt behutsame Stadterneuerung hatte. Allerdings gebe ihm | |
heute niemand mehr Geld für sowas. | |
Ich sehe das anders. Herr Hellweg hat sich unglaublich für das Recht der | |
Bewohner engagiert. Ich habe selten einen Planer mit einem solchen Einsatz | |
erlebt: Er steckte endlose Stunden in Verhandlungen und Gespräche – wenn | |
jeder gegen das Projekt ist: die Bewohner, die Hamburger, die nie da waren, | |
die Politiker … Von außen ist es leicht zu sagen: Ah, das ist | |
Gentrifizierung. Ideologie macht es einfach zu sagen: Es war vielleicht ein | |
vergifteter Müllhaufen, aber wenigstens war er nicht gentrifiziert. Eine | |
solche Position ist faul, sie ist zu einfach. Wer meine Bücher liest, weiß, | |
dass ich Vereinfachungen nicht mag. Die massive Gentrifizierung, die man | |
heute in der Welt sieht, ist einfach: Da werden die Bewohner, die Bauern | |
oder andere Betroffene einfach rausgeworfen. So war die IBA nicht. | |
Einige Vorhaben konnten Sie am Ende nicht durchsetzen. | |
Es gab ein bestimmtes Gebiet, in dem es uns erlaubt war, unsere Projekte zu | |
machen. Wir wollten zum Beispiel mehr Parks machen, aber die Leute von der | |
Gartenschau haben es uns nicht erlaubt. Und der Hafen ist sehr mächtig, es | |
gibt eine starke Bewegung in der Stadt, die sagt, dass der Hafen viele | |
Flächen mit Containern besetzen soll. Auch hatten wir in Hamburg mit einem | |
Regierungswechsel zu tun und mit einer Wirtschaftskrise, die uns gebremst | |
hat. Die Politiker glaubten am Anfang nicht an die IBA, aber dann haben sie | |
gesehen, dass wir einiges auf die Beine gestellt haben. Es war eine | |
Herkules-Aufgabe: wenig Geld, politischer Widerstand und jener der | |
Bewohner, jahrelange Verhandlungen. Das hat Zeit gekostet und am Ende | |
musste die Insel ein bisschen dafür bezahlen: Weniger war getan, als hätte | |
getan werden können. Aber das meiste haben wir geschafft. | |
Inzwischen sind die steigenden Mieten in Wilhelmsburg ein großes Thema. Ist | |
nicht genau das eingetreten, was die Kritiker befürchtet haben? | |
Ein Punkt sind die Experimental-Häuser der IBA: Ich weiß nicht, ob viele | |
der alten Bewohner bereit wären, in das Wasser- oder das Algenhaus | |
einzuziehen. Aber warum? Muss es Gentrifizierung sein, wenn man ein kleines | |
experimentelles Haus hat, das die Biosphäre nutzt? Auch dass die | |
Stadtentwicklungsbehörde (BSU) nun nach Wilhelmsburg zieht, kann | |
gentrifizieren. Aber es bringt auch Jobs in den Stadtteil – und eine | |
Mischung von Menschen und Arbeitskulturen. | |
Die viel beschworene „soziale Mischung“ also. Ist die Idee, dass Leute mit | |
Geld es schon richten werden, nicht allmählich überholt? | |
Ich bin mir nicht sicher, wer gesagt hat, Leute mit Geld sollen es richten. | |
Ich habe es nicht gesagt und ich habe es nie von Leuten der IBA gehört. | |
Lassen Sie uns wieder zur Realität kommen: Ich sehe an den Statistiken, | |
dass viele der Angestellten der BSU keine Gentrifizierer sind. Die haben | |
bescheidene Einkommen. Auch das Putzpersonal, die Restaurant-Angestellten, | |
die Elektriker und alle anderen, die mit den neuen Gebäuden kommen, haben | |
bescheidene Einkommen. Viele von denen wollen nicht unbedingt auf der | |
Elbinsel wohnen. | |
28 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Lena Kaiser | |
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