# taz.de -- Zwischen den Wahrheiten: Der manipulierte Blick | |
> Der Hamburger Künstler Adnan Softić untersucht in seinen Kurzfilmen die | |
> Kluft zwischen der Realität und dem, was die Zuschauer für die Realität | |
> halten | |
Bild: Sozialisiert in Sarajevo, künstlerisch tätig in Hamburg: Der Filmemache… | |
HAMBURG taz | Adnan Softić sitzt im leuchtblauen Grobstrickpullover am | |
Holztisch seiner Atelierwohnung in Hamburg Veddel, die der Filmkünstler | |
jüngst mit seiner Familie im Rahmen eines zweijährigen Atelier-Stipendiums | |
bezogen hat. Er schenkt Granatapfelsaft in zwei Gläser und redet freundlich | |
distinguiert mit einem sanften Singsang über Toleranz. Nicht die Art von | |
Toleranz, die einfach zu praktizieren ist, weil es um Dinge geht, die | |
einfach zu tolerieren sind. Softić spricht über die Art von Toleranz, die | |
bedeutet, Menschen oder ihre Taten trotz persönlicher Abscheu zu billigen. | |
„Das ist eine Tugend für mich“, sagt Softić. „Dadurch wird eine Komplex… | |
zugelassen. Man mag sich nicht, aber man mag, dass man sich gegenseitig | |
toleriert.“ | |
Eine besondere und großartige Stadt voll Komplexität und dieser Art von | |
Toleranz ist für ihn Sarajevo. Dort wurde er 1975 geboren, dort tauchte er | |
als Teenager in die kulturelle Szene ein, machte Musik, wurde kulturell | |
vorgefertigt, wie er sagt, ehe er 1992 zu seiner Schwester nach Hamburg | |
floh. Eltern und Freunde musste er in den Wirren des Bosnienkrieges | |
zurücklassen. | |
Vier Jahre bestand weder Kontakt noch Aussicht auf ein Wiedersehen. In | |
Hamburg studierte er an der Hochschule für bildende Künste, die er im Jahr | |
2004 nicht nur mit dem Diplom, sondern auch mit dem Preis für das beste | |
Diplom der Hochschule abschloss. Es folgten Stipendien in Bern und Hamburg. | |
Der Schwerpunkt seines Werkes liegt auf Experimental- und Spielfilmen sowie | |
multimedialen Installationen und Performances. Ausschnitte seiner Arbeiten | |
sind auf seiner Website [1][kinolom.com] zu sehen. Ferner ist kürzlich der | |
Katalog „On Site“ im Hamburger Textem Verlag erschienen. | |
Wie seine Geburtsstadt Sarajevo sind auch die Werke von Softić komplex. | |
Seine Filme dauern oft nur wenige Minuten und verschränken dokumentarische | |
und fiktive Anteile. Es gibt teilweise überraschenden Wendungen, manchmal | |
begegnen sich geschichtliche Ereignisse verschiedener Jahrzehnte. „Ich | |
wollte nicht die Rolle einnehmen, dem gemütlichen westlichen | |
Kunstkonsumenten aus erster Hand aus der Hölle zu berichten“, sagt Softić. | |
Er versucht einen indirekteren Weg, Zuschauer mit der Unfassbarkeit des | |
Bildes zu konfrontieren. Der Künstler wählt hierfür das Medium Film, weil | |
es extrem zeitbezogen ist. „Zeiten lassen sich im Film gut darstellen und | |
durcheinanderbringen. Ich möchte die Komplexität der Realität in Erfahrung | |
bringen.“ | |
So vermischt etwa sein Film „Der Körper ist mein Tempel“ den Charme eines | |
knatternden Super 8 Film Formats mit jungen Männern in den trostlosen | |
Kriegsruinen Sarajevos, die mit Mauersteinen Bodybuilding betreiben. Auch | |
Ende der 1990er wurde normalerweise nicht mehr mit Super 8 gefilmt. Das | |
verleiht dem Film etwas Surreales. | |
Und dann ist da der Film „Ground Control“ über Softić Eltern in einem | |
sommerlichen Datscha-Idyll unter wucherndem Wein, der im Jahr 1999, vier | |
Jahre nach Ende des Bosnienkrieges, gedreht wurde. Ein mittelaltes Ehepaar. | |
Er in Badehose, sie im Bikini, sie umsorgt ihn. Schnitt. Softić selbst ist | |
zu sehen, rauchenderweise, als aufstrebender Kunststudent. Vor seinem | |
Computer sitzend spricht er über seinen Vater und die schwierige Beziehung | |
zu ihm. Sein Vater sei ein ehemaliger Richter und und sei schuldhaft | |
verwickelt in die unrechtmäßige Verurteilung islamischer Schriftsteller | |
Anfang der 1980er. Jetzt verdränge er seine Schuld. | |
Auf einem Filmfestival in Sarajevo zeigt Softić diesen Film. Ein Zuschauer | |
spricht ihn an. Er persönlich sei sich nicht sicher gewesen, ob die | |
Filmhandlung wahr oder frei erfunden gewesen sei. Er sei jedoch in | |
Begleitung eines ehemaligen Geheimagenten im Kino gewesen, der sich genau | |
an Richter Softić erinnert hätte. Beweis genug. | |
Die Sache ist nur die: Einen Richter Softić hat es nie gegeben. Die | |
baufällige Datscha ist keine baufällige Datscha, sondern ein | |
Ferienhaus-Rohbau am Meer. Vater Softić spielt zwar Vater Softić, war aber | |
im wahren Leben an der Fakultät für Forstwirtschaft tätig. | |
Wahrscheinlich hatte der ehemalige Geheimagent mit dem guten Gedächtnis | |
nicht einmal gelogen, sondern verfügte lediglich über eine manipulierte | |
Wahrnehmung. Genau dieses Phänomen ist ein zweites, immer wiederkehrendes | |
Thema in den Filmen des Adnan Softić. Er möchte neben Komplexität eine | |
Kluft aufzeigen, eine Kluft zwischen Realität und wahrgenommener Realität. | |
Die führt unweigerlich zu seinem neuesten Filmprojekt „Skopje 2014“. Der | |
Arbeitstitel des Werkes deckt sich mit dem Namen jenes 500 Millionen | |
Euro-Großbauprojekts der mazedonischen Hauptstadt. Häufig wird das | |
Prestige-Projekt als „Geschichts-Disneyland“ kritisiert. Seit einigen | |
Jahren schießen in Skopje trotz klammer Staatskassen opulente, | |
Zahnpasta-weiße Säulenbauten aus dem Boden. Hochhaushohe Wasserfontänen | |
leuchten in allen Farben des Regenbogens. | |
In diesem Skopje soll der neue Film des Bosniers spielen, das Drehbuch ist | |
schon fertig. Seit Jahrzehnten herrscht Streit zwischen Griechenland und | |
Mazedonien. Griechenland besteht auf die alleinigen Rechte an dem Namen | |
„Mazedonien“. Die Griechen sehen sich als Erben der antiken Makedonier. So | |
hat Griechenland von seinem Veto-Recht Gebrauch gemacht und einen | |
Nato-Beitritt der Mazedonier verhindert. | |
„Die Aggression von Griechenland hat mich besonders hellhörig gemacht“, | |
sagt Softić. „Die Wiege Europas beginnt zu schaukeln. Die Mazedonier machen | |
das jetzt meiner Meinung nach aus Trotz. Bei meinem ersten Besuch in Skopje | |
war mir alles vertraut. Ja, die haben die Codes, was alt und historisch | |
sein soll, gut gelernt. Kunsthistorisch ist es Chaos. Aber es funktioniert. | |
Internationale Touristen finden es toll, wie viel Geschichte Skopje | |
hergibt, obwohl überall Baukräne herumstehen.“ | |
Softić wird an dem Film in den hellen Räumen seines Hamburger Ateliers | |
weiterarbeiten. Es ist die Arbeit an der nächsten Kluft. | |
## Adnan Softić: On Site, Textem Verlag, Hamburg 2014, 64 S., 8 Euro | |
29 Jan 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://kinolom.com/ | |
## AUTOREN | |
Doris Brandt | |
## TAGS | |
Hamburg | |
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