| # taz.de -- Orte zum Leben: „Der Schlüssel: eine eigene Wohnung“ | |
| > Bei der Architektur-Biennale in Venedig präsentiert das Bremer Büro | |
| > Feldschnieders + Kister temporäre Unterkünfte: Gelungene Konzepte, in der | |
| > Praxis bewährt | |
| Bild: Hübsch rot in Bremen Grohn: Die neu arrangierten Container haben etwas H… | |
| taz: Herr Kister, Herr Feldschnieders, Containersiedlungen für Geflüchtete | |
| haben den Ruf, Notlösungen einer überforderten Politik zu sein. Warum haben | |
| sie trotzdem welche gebaut – und behaupten, das sei menschenwürdig und | |
| nachhaltig? | |
| Stefan Feldschnieders: Wir wurden von der Bremer Sozialsenatorin Mitte 2013 | |
| beauftragt, möglichst schnell möglichst viele Unterkünfte für Flüchtlinge | |
| erstellen. Am besten möglichst günstig. Das war die Vorgabe. Wir wollten | |
| für eine schnelle Unterbringung aber nicht einfach nur überdachte Betten | |
| hinstellen, kein neues Lager, kein Fremdenfeindlichkeit provozierendes | |
| Ghetto. Sondern einen Wohntypus schaffen, keinen Sonderunterbringungsort. | |
| So verzichteten wir auf Gemeinschaftsküche und Sammelduschen, um wirklich | |
| eigenständige Wohnungen zu realisieren: Das Wichtigste bei der | |
| Flüchtlingsunterbringung ist unserer Ansicht nach, Küche, Bad und Zimmer | |
| als eigenen, in sich abgeschlossenen Lebensbereich zur Verfügung zu | |
| stellen. | |
| Und das geht nur in Containern? | |
| Feldchnieders: Nein, aber Holzbauweise hätte beispielsweise zur Folge | |
| gehabt, dass wir uns laut Gesetzgebung an den Standards eines Passivhauses | |
| hätten orientieren müssen, das wäre zu teuer und langwierig geworden. | |
| Deswegen haben wir Containermodule zu Siedlungen komponiert. Die waren in | |
| 16 Monaten geliefert und aufgebaut. Das ist eine Geschwindigkeit, die mit | |
| konventionellen Baumethoden nicht umsetzbar ist. | |
| Ausgemusterte Seecontainer? | |
| Feldschnieders: Nein, die werden extra für uns in Tschechien gebaut und | |
| sind innen kaum zu unterscheiden von gemauerten Wohnungen. Aber sie haben | |
| den Vorteil, über die Straße bewegt werden, also umziehen zu können. Die | |
| Abmessungen sind etwas variabel, es sind 20, 30, 40 Fuß lange Container, in | |
| der Höhe und Breite bis drei Meter. Und komplett eigenständige Gebäude, die | |
| zwar viel Stahl und Blech beinhalten, allerdings bauphysikalisch der | |
| Energieeinsparverordnung entsprechen. Sie sind also richtig isoliert, haben | |
| Schallschutz und ein Lüftungssystem. | |
| Was ist bei anderen Containerdörfern falsch gelaufen? | |
| Feldschnieders: Wie in den Boxen der Massenunterkünfte fehlte eine | |
| Grundlage des Wohnens, nämlich die Möglichkeit, sich zurückziehen zu | |
| können. Was für die Integration wichtig ist: Die gelingt nur, wenn in | |
| sicheren Rückzugsräumen auch Privatheit gelebt werden kann. Nur das gibt | |
| auch den vielen Traumatisierten unter den Geflüchteten die Chance, wieder | |
| zu genesen. Und Privatheit entsteht nur dann, wenn man eine eigene Haustür | |
| hat. Eine eigene Wohnung: Das war die Logik und der Schlüssel zum Erfolg | |
| unserer Idee. | |
| Und dann mussten die Wohnungen nur noch in den richtigen, nämlich einen | |
| lebendigen Kontext gebracht werden? | |
| Tobias Kister: Genau, wir wollten Lebensquartiere entstehen lassen – und | |
| haben anfangs für maximal 32 Menschen Ein- und Zwei-Zimmer-Wohncontainer | |
| zweigeschossig um eine Freifläche herum arrangiert. So entstehen große | |
| Hofhäuser, wie sie die Geflüchteten auch aus der Region kennen, aus der sie | |
| kommen. Sie können in den Anlagen nun ihre Aktivitäten von der kleinen, | |
| ganz privaten Zone der Wohnung, der familiären Partnerschaft, in die | |
| halböffentliche Zone des Atriums ausdehnen. Das ist ein von den Containern | |
| flankierter und geschützter Marktplatz, sozusagen der orientalische Hof für | |
| alle Bewohner der kleinen Siedlung – und nur für sie, uneinsehbar von | |
| außen. Diese Abstufung von Privatheit sorgt für große Ruhe in den Anlagen, | |
| fördert Gemeinschaft und lässt vielleicht auch eher den Mut wachsen, sich | |
| in der Öffentlichkeit der Stadt zu wagen. | |
| Feldschnieders: Bis 50 Bewohner haben unsere neueren Hofhäuser inzwischen, | |
| das ist die Grenze, damit Nachbarschaft noch funktioniert – und die halten | |
| wir ein. | |
| Funktioniert diese Wohnform als Heimat? | |
| Kister: Auf alle Fälle. Ein gutes Indiz: Von den Betreibern AWO und Innere | |
| Mission haben wir gehört, dass bisher keinmal wegen Vandalismus und Randale | |
| eingeschritten werden musste. Im Gegenteil: Wer die Anlage verlässt, die ja | |
| eine Durchgangsstation ist, so hören wir häufig, sehnt sich meist wieder | |
| zurück, weil er sich in der eigenen Stadtwohnung eher verloren fühlt, die | |
| Zusammengehörigkeit vermisst. Bei Umzügen fällt auf, dass meist keine | |
| Reinigungskräfte beauftragt werden müssen, um den Container wieder | |
| bewohnbar zu machen. Die Akzeptanz und Identifikation mit den Hofhäusern | |
| ist so hoch, dass pfleglich damit umgegangen wird. So dass alles auch in 20 | |
| Jahren noch benutzbar ist. So lange sind unsere Anlagen sicherlich | |
| lebenstauglich. | |
| Aber ihr Betrieb ist erst mal nur für fünf Jahre genehmigt, weil die Areale | |
| gar nicht als Baugrund ausgewiesen sind. | |
| Kister: Es wäre doch bedauerlich, wenn die ganzen zusätzlichen | |
| Investitionen in die Erschließung des Geländes, die Ver- und Entsorgung, | |
| die Park- und Spielplätze, dann einfach verfielen und die Container | |
| verschrottet würden. | |
| Können diese auch anderweitig genutzt werden? | |
| Kister: Ja, als Studenten- oder betreute Seniorenwohnanlage beispielsweise. | |
| Oder für Singlehaushalte. Es wird bereits versucht, die Bewohnerstruktur zu | |
| mischen, Studierende oder Rentner mit einziehen zu lassen. | |
| Jeder Deutsche bewohnt heute durchschnittlich 45 Quadratmeter – mehr als | |
| doppelt so viel wie nach dem 2. Weltkrieg. Was stellen Sie zur Verfügung? | |
| Kister: 24 bis 27 Quadratmeter in den Ein-Raum-Kleinstwohnungen, die für | |
| zwei Bewohner ausgelegt sind. Es funktionierte aber auch schon, dass dort | |
| eine vierköpfige Familie wohnte. | |
| Durch die Abschottung werden die Geflüchteten kaum wahrgenommen. | |
| Feldschnieders: Wir haben erlebt, dass Leute mit Pseudo-Geschenken in | |
| dieses neue Idyll gekommen sind, nur um sich mal umzuschauen. Für viele | |
| signalisieren die Container aber auch: Das ist hier nur temporär. Das | |
| beruhigt viele. | |
| Aber Sie wollen ja gerade nicht nur kurzfristig unterbringen, sondern einen | |
| Ort schaffen. | |
| Feldschnieders: Genau. Weil die Städte keine ausreichenden Ressourcen für | |
| Wohnbauflächen haben, sind die Liegenschaften, auf denen wir die Anlage | |
| platzieren müssen, Rand- und Problemlagen. Sie bieten wenig | |
| Integrationsmöglichkeiten und kaum Anbindung ans Leben der Stadt. Auf | |
| diesen Industriebrachen, in den Gewerbegebieten, auf den | |
| Sporterweiterungsflächen und Grünflächen ist sonst einfach nicht viel los. | |
| Also mussten wir unseren eigenen Ort mit unseren eigenen Elementen | |
| definieren und haben introvertierte Nischen geschaffen. Es gibt immer zwei | |
| Container, die als Gemeinschaftsräume ausgebaut wurden – für | |
| Sprachunterricht, Kinderbetreuung, Begegnungen, Feierlichkeiten … | |
| Gibt es auch eine Moschee? | |
| Feldschnieder: Noch nicht, aber das wäre eine reizvolle Herausforderung. | |
| Werden die Räume für unterschiedliche Nationalitäten unterschiedlich | |
| ausgestaltet? | |
| Feldschnieder: Nein. | |
| Trotz der bunten Farbgebung: Die Ästhetik scheint ganz der Funktionalität | |
| untergeordnet zu sein. | |
| Kister: Ja, wir hätten die Containeroptik mit einer Zusatzfassade | |
| unkenntlich machen und alles in den städtebaulichen Kontext integrieren | |
| können, aber dafür war kein Geld da. Wir haben aber die Container stets mit | |
| einem Sekundärdach überbaut und auch die Laubengänge als Balkonersatz | |
| überdacht, um einen gewissen Zusammenhalt herzustellen. | |
| Wie viele Anlagen stehen bereits? | |
| Kister: Sechs in Hannover, drei in Bremen, eine weitere, erstmals aus Holz, | |
| ist im Bau, bald entstehen auch die ersten in Hamburg. | |
| Wie verhalten sich die Kosten etwa zur Unterbringung in leeren Fabriken, | |
| Kasernen oder Leichtbauhallen? | |
| Feldschnieders: Wir sind teurer. 1.300 Euro brutto pro Quadratmeter | |
| Grundrissfläche kosten unsere Anlagen derzeit, das liegt aber nur leicht | |
| über den Erstellungskosten im sozialen Wohnungsbau. Leider steigen aber | |
| unsere Kosten. | |
| Warum? | |
| Feldschnieders: Unser Erfolg hat die Nachfrage nach den Containern | |
| explosionsartig steigen lassen – schon wurden sie teurer. Unsere Idee ist | |
| ja auch nicht patentiert oder sonstwie geschützt, sie ist auf dem Markt, | |
| kann geklaut werden. Das passiert auch, wir forschen da aber nicht | |
| hinterher und klagen auch nicht. | |
| Was hoffen sie von zukünftiger Flüchtlingsarchitektur? | |
| Kister: Das die Ressourcen dafür bald ausschließlich in nachhaltigen | |
| Schlichtwohnungsbau, also dringend benötigten günstigen, kleinteiligen | |
| Wohnraum investiert werden – und nicht mehr in Übergangslösungen. In | |
| Deutschland fehlen hunderttausende Wohnungen. Aber es gilt, dabei auf die | |
| Integrationsverträglichkeit zu achten: Wenn man, wie in Hamburg, 4.000 | |
| Menschen in ein neues Quartier steckt, wird das sehr schwierig. Wir | |
| wünschen übersichtliche Größen und Durchmischung. Das ist das Resümee | |
| unserer Arbeit. | |
| Ihre Hofhäuser werden jetzt auf der Architekturbiennale in Venedig | |
| vorgestellt: im Rahmen der Ausstellung „Making Heimat. Germany, arrival | |
| country“. | |
| Feldschnieders: Ja, unser Thema. Und wir sind stolz, weil wir nicht für ein | |
| Projekt in Planung, sondern für das Funktionieren eines realisierten | |
| Projekts eingeladen wurden. Das Deutsche Architekturmuseum – als Kurator – | |
| hat Beispiele zum „Bauen für Flüchtlinge und Migranten“ auf einer Datenba… | |
| gesammelt und online gestellt: www.makingheimat.de – gerade Entscheider aus | |
| Politik und Verwaltung sollen sich informieren können. Den | |
| Biennale-Besuchern werden die Beispiele, auch unseres, in überdimensionalen | |
| Büchern präsentiert, die im Deutschen Pavillon ausliegen. Wie der gestaltet | |
| ist, wurde uns aber noch nicht verraten. | |
| 21 May 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Fischer | |
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