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# taz.de -- Wohnungsbau in Berlin: Bezahlbarer Wohnraum? Hier nicht!
> Der Stadtentwicklungssenator will die Zahl der neu gebauten
> Sozialwohnungen auf 5.000 im Jahr verdoppeln. Doch die bisherige
> Förderung greift nicht.
Bild: Auch am Mauerpark wird gebaut
Als Zirkusdirektor würde sich Andreas Geisel gut machen. Leicht gebräunt,
mit Bauchansatz im dunklen Anzug, steht der Stadtentwicklungssenator von
der SPD am Montagabend in der Kleinen Arena des Tempodrom. Auf den Stufen
im Rund sitzen mehrere Hundert Menschen, die über die wachsende Stadt
diskutieren wollen. Und tatsächlich hat Geisel eine Neuigkeit mitgebracht,
die er vor den roten Samtvorhängen verkündet: Es müssten nicht nur
insgesamt mehr Wohnungen gebaut werden, auch die Zahl der neuen
Sozialwohnungen müsse sich verdoppeln. „Wir brauchen 2018 mindestens 5.000
Sozialwohnungen“, ruft er ins Mikrofon. Derzeit fördert der Senat den Bau
von 2.500 neuen Sozialwohnungen pro Jahr.
Nur noch rund 135.000 der insgesamt 1,9 Millionen Wohnungen in Berlin sind
Sozialwohnungen. „Wir sind stolz darauf, dass Menschen aller
Einkommensgruppen überall in Berlin wohnen können“, sagt der Senator. Die
neuen Sozialwohnungen dürften deshalb nicht nur am Stadtrand entstehen,
mahnt er. „Diese Mischung können wir nur bewahren, wenn wir auch in der
Mitte Sozialwohnungen bauen.“
Hintergrund sind das Wachstum der Stadt und die steigenden Mieten. Im
Vergleich zu 2011 habe Berlin 220.000 Einwohner mehr, sagt Geisel. „Eine
Stadt wie Erfurt ist zu uns gekommen. Und eine Stadt wie Bochum stößt bald
noch dazu.“ Es sei realistisch, dass Berlin in den nächsten zehn Jahren an
die 4-Millionen-Marke komme. Deshalb sagt er: „Wir müssen bauen, bauen,
bauen.“
Gastredner und Soziologe Heinz Bude verdeutlicht, warum Berlin
Sozialwohnungen bitter nötig hätte. Glatzköpfig, in hellrosa Hemd und mit
eckiger Brille zeichnet er ein bedenkliches Bild der deutschen
Gesellschaft. „Das große Megathema der nächsten 20 Jahre ist die
Ungleichheit“, sagt er.
Schon jetzt gebe es im Dienstleistungsbereich ein neues Proletariat.
Paketzusteller und Reinigungskräfte arbeiteten viel, verdienten wenig und
hätten keinerlei Aufstiegschancen, erklärt Bude. Gleichzeitig sei die
Mittelklasse dabei, sich zu spalten. Viele hätten Angst, ihre Miete nicht
mehr zahlen zu können. „Die Ungleichheit ist die eigentliche
Herausforderung der Stadt der Zukunft.“
Wenn mit Neubauten vor allem Luxuswohnungen entstehen, hilft das wenig. Der
Senat hat deshalb im vergangenen Jahr ein neues Programm der sozialen
Wohnungsbauförderung aufgelegt. Zunächst wurden 1.000 Wohnungen gefördert,
die zu einem Preis von 6,50 Euro pro Quadratmeter plus Nebenkosten
vermietet werden sollen. Kritiker bemängeln, dass Rot-Schwarz damit viel zu
spät begonnen habe.
Tatsächlich war im Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU 2011 noch von
keiner Wohnungsbauförderung die Rede. Lediglich die sechs landeseigenen
Wohnungsbaugesellschaften sollten die Möglichkeit bekommen, landeseigene
Grundstücke verbilligt kaufen zu können. Mit seiner Ankündigung, die Zahl
der geförderten Wohnungen von 2.500 im Jahr 2016 und 3.000 im Jahr 2017
noch einmal auf 5.000 zu erhöhen, kommt Bausenator Geisel also tatsächlich
etwas spät.
Außerdem trifft sein Programm bei privaten Investoren nicht gerade auf
Gegenliebe. Das zeigt das Beispiel der Kreuzberger Cuvrybrache: Statt 25
Prozent der Wohnungen als Sozialwohnungen zu bauen, setzt der Investor
jetzt lieber auf Gewerbe. Bauherren verzichten offenbar eher auf eine
Förderung, als sich im Gegenzug zu verpflichten, preiswerte Wohnungen zur
Verfügung zu stellen. In Zeiten niedriger Zinsen ist eine
Wohnungsbauförderung, die auf die Vergabe zinsloser Kredite setzt, wenig
attraktiv. Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften wiederum dürften die
große Zahl von preiswerten Wohnungen, die Geisel vorschwebt, nicht stemmen
können.
Gegen Ende der Veranstaltung im Tempodrom halten mehrere Frauen Schilder
hoch. „Arm, alt, obdachlos?“ steht darauf. Sie selbst gehöre zum neuen, von
Bude beschriebenen Dienstleistungsproletariat, erzählt eine von ihnen. Mit
ihren Freundinnen wolle sie im Alter zusammenleben. „Wir sind
Kreuzbergerinnen und wollen Kreuzbergerinnen bleiben!“, ruft sie. Es gebe
dort aber keine bezahlbaren Wohnungen mehr.
Die bisherige Wohnraumförderung wird das nicht ändern. Der Zirkusdirektor
muss sich noch etwas einfallen lassen. Immerhin sicherte Finanzsenator
Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) zu, den Wunsch des Bausenators bei den
nächsten Haushaltsverhandlungen zu prüfen.
5 Apr 2016
## AUTOREN
Antje Lang-Lendorff
Uwe Rada
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