| # taz.de -- Short-Story-Band von Adam Johnson: Hurrikan und Wasserfolter | |
| > Vom Hologramm bis Hohenschönhausen: Die tragisch-komischen Stories des | |
| > Pulitzer-Preisträgers zeigen die Absurditäten des Alltags. | |
| Bild: Zelle in Hohenschönschausen: Sah es so aus für die Folteropfer der Stas… | |
| Wie lässt es sich mit Leid überhaupt leben, dem fremden, dem eigenen? Wie | |
| kann man nach der Katastrophe weitermachen? Und wenn ja, wie oft? | |
| In Adam Johnsons Shortstorys schwirrt eine Drohne durchs Silicon Valley und | |
| es redet das Hologramm des ermordeten Präsidenten. Wir folgen dem einstigen | |
| Direktor des Stasi-Gefängnisses Hohenschönhausen in die Wasserfolterzelle | |
| und rätseln, ob Sun-Ho wirklich den Absprung schafft mit einem | |
| improvisierten Heißluftballon zurück in seine Heimat Nordkorea. Ja, das ist | |
| die Frage hier bei Johnsons Figuren: Schaffen sie den Absprung noch? | |
| Kriegen sie gerade noch die Kurve? Mister Roses etwa, der als Junge, als | |
| Pfadfinder missbraucht wurde und nun selber pädophil ist. | |
| „With the lights on, she‘s less dangereous“, singt der Ich-Erzähler der | |
| ersten Story „Nirvana“ seiner querschnittsgelähmten Frau. Die hört so ger… | |
| Kurt Cobain, um sich in den Schlaf zu wiegen. Welcher Trost bleibt auch | |
| sonst? Immerhin hat sie dem Mann, dem Erzähler, das Versprechen abgenötigt, | |
| beim Suizid zu helfen, wenn sie nicht mehr kann. Jedenfalls verdreht sie | |
| jetzt die Augen, lächelt aber doch. Denn eigentlich geht die Zeile des | |
| Nirvana-Klassikers ja: „With the lights out, it‚s less dangerous.“ | |
| Autor Adam Johnson selbst, der Pulitzerpreisträger von 2013 und frisch | |
| dekoriert mit dem National Book Award (somit in bester Gesellschaft mit | |
| Susan Sontag und Don DeLillo), schaltet das Licht freilich immer wieder an, | |
| auch dort, wo es wehtut und gefährlich wird und man lieber wegsehen würde. | |
| ## Selbstironie & Kinderpornos | |
| Etwa in der Story „Dark Meadow“: Dort lernen wir Mister Roses kennen. Der | |
| Name tauchte im Buch schon vorher auf – als in „Interessant!“ | |
| selbstironisch davon die Rede war, dass Adam, der begriffsstutzigste Typ, | |
| der jemals den Pulitzer bekam, seiner krebskranken Frau eine Figur geklaut | |
| hat, um sie dann selbst zu verwenden. Mister Roses ist Computer-Hacker und | |
| besonders beliebt bei Kunden mit Kinderpornos auf dem Rechner. Für 300 | |
| Dollar stellt Mister Roses nämlich keine unliebsamen Fragen. Dabei weiß er, | |
| so erfahren wir, sehr genau, wie man alle Leute mit solchen Dateien orten | |
| könnte. | |
| Die Polizei ist scharf drauf, diesen digitalen Code von Roses zu erfahren. | |
| Roses wurde viele Jahre früher von seinem Skipper auf dem Segelboot | |
| missbraucht, in einem dunklen Raum auf der Wäsche der anderen Jungs. „Dark | |
| Meadow“ nannte der Skipper ihn. Inzwischen steht Dark Meadow selbst auf die | |
| beiden Nachbarsmädchen, die sich als Bärchen und als Tiger verkleiden. Als | |
| deren Mutter lange fort bleibt, wird Roses dennoch, so sieht es aus, den | |
| Mädchen kein Leid tun, sondern in die Rosenbüsche onanieren. | |
| Der reale Gefängnisdirektor des Stasi-Folter-Gefängnisses Hohenschönhausen | |
| war Siegfried Rataizick. Von 1963 bis 1989. Ein völlig Unbelehrbarer, nach | |
| wie vor. Adam Johnson hat, offensichtlich angelehnt an den realen | |
| Rataizick, eine Figur entworfen namens Hans Bäcker. Für die Story „Mein | |
| Freund George Orwell und ich“. Übrigens die einzige Story im Band, die den | |
| Zusatz „Eine Geschichte“ explizit mit im Titel trägt. | |
| ## Scheiß YouTube-Hit | |
| Hans Bäcker wird zum YouTube-Hit, nachdem er, mit seinem Hund Gassi gehend, | |
| in eine Schulführung der Gedenkstätte platzt. Ein Mädchen filmt ihn, als | |
| er, die Hundekacke in einen sauberen Beutel schiebend, seine Sicht auf die | |
| Historie präsentiert: dass das ja keine Unschuldigen gewesen seien, die | |
| Inhaftieren; dass niemals gefoltert worden sei. Der Leiter der Gedenkstätte | |
| bietet Bäcker später an, mit einer Art Google Glasses sein eigenes Video | |
| auf dem Gelände zu drehen. Da schließt ihn eine ehemalige Insassin, als sie | |
| sein Schönreden nicht mehr aushält, in die Wasserzelle. | |
| Bäcker: „Ich bin nicht überrascht, als mich der erste eisige Strahl | |
| Rostwasser trifft. […] Wie gefrorene Backsteine und kalter Mörtel, so fühlt | |
| sich das Wasser an, und doch ist es nicht unbedingt unangenehm. Es ist | |
| irgendwie unentbehrlich, vertraut, wie das Gefängnis selbst.“ | |
| Man kommt bei Johnson den Figuren immer nah. Indem er das Absurde aufzeigt | |
| im Auge des Hurrikans. Das richtige Leben im falschen. Das Witzige im | |
| Witzlosen. Ja, „Katrina“ hat New Orleans verwüstet, aber UPS liefert | |
| tadellos Pakete. Bloß UPS-Fahrer Nonc, der lässt schließlich herzzerreißend | |
| seinen Sohn Geronimo zurück bei einer Sozialarbeiterin, um den Neustart zu | |
| wagen – wird ihm dieser Neustart gelingen? | |
| Einfach noch mal alles auf Reboot, nachdem ein Teil der eigenen Welt | |
| unterging. Bei manchen von Johnsons Figuren mag man daran glauben. Aber | |
| einen Ort werden sie so schnell nicht erreichen – den, an dem das Leid wie | |
| ausgepustet ist: Nirvana. | |
| 22 Feb 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Hochgesand | |
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