# taz.de -- Flüchtlinge in Berlin: Hilfe weit unter null | |
> Vor dem berüchtigten Lageso warten Hunderte in der Kälte. Heizungen in | |
> Zelten fallen aus. Nur die zuständige Verwaltung will kein Chaos sehen. | |
Bild: Eine Mutter wärmt ihr Kind in einem Zelt vor dem Lageso. | |
BERLIN taz | Sechs beheizbare Zelte stehen auf dem Gelände des Landesamts | |
für Gesundheit und Soziales (Lageso). Eins für jeden Grund, aus dem | |
Flüchtlinge zum Lageso in der Turmstraße in Berlin-Moabit kommen müssen. Am | |
Eingang ist das Zelt für Neuangekommene, die auf den Bus warten, der sie im | |
Laufe des Tages zu einer Notunterkunft bringen wird. | |
Rund 50 Menschen sitzen hier am Montagmorgen. Drinnen drängen sich Eltern | |
mit ihren Kindern, um das Ende eines gelben Schlauches, durch den das Zelt | |
beheizt wird. Ein leichter, warmer Luftstrom ist zu spüren, mehr nicht. Der | |
Rest des Zeltes bleibt bei den aktuellen Minusgraden kalt. | |
Es ist voll hier am ersten Öffnungstag nach der Weihnachtspause. In zwei | |
Zelten auf dem Hauptgelände werden Flüchtlinge nach der Länge ihrer | |
Wartezeit sortiert: Im ersten bekommen alle, die schon lange warten, ein | |
blaues Armband mit einem Termin für das Amt. Damit dürfen sie am nächsten | |
Tag im zweiten Zelt weiter warten bis ein Sachbearbeiter Zeit hat. | |
In diesen beiden großen Wartezelten sei in der Nacht die Heizung | |
ausgefallen, berichtet Christiane Beckmann von der Unterstützerinitiative | |
„Moabit hilft“. Sie habe darauf den zuständigen Leiter beim Landesweiten | |
Koordinierungsstab informiert. „Es ging dann hin und her.“ Gleich nebenan | |
gibt es zwei alte Hörsäle. Die hätte man öffnen können. Gegen 23 Uhr | |
durften alle in ein beheiztes Zelt umziehen, das eigentlich dem Catering | |
vorbehalten ist. „Warum man die Flüchtlinge nicht gleich in die Hörsäle | |
gelassen hat, verstehe ich nicht“, sagt Beckmann. Es bleibt kompliziert am | |
Lageso. So wie schon seit dem Sommer. | |
Berlins Sozialsenator Mario Czaja (CDU) verspricht am Montagmorgen, die | |
Situation am Lageso zu verbessern. „Unser Ziel ist, dass wir all | |
diejenigen, die neu nach Berlin ankommen, gleich am ersten Tag registrieren | |
können“, sagt er im ZDF. Die Flüchtlinge an der Turmstraße warten | |
allerdings gar nicht mehr auf ihre Registrierung. Die wird inzwischen in | |
einer Außenstelle des Lageso in der Bundesallee erledigt. Da aber kann | |
bisher kein Geld ausgezahlt werden. Wer Bares braucht oder eine Erlaubnis | |
weiter in einer Unterkunft bleiben zu dürfen oder einen Krankenschein, muss | |
wieder an die Turmstraße. | |
Daher kommen gerade zu Monats- oder Quartalsbeginn besonders viele. Doch | |
die Behörde an der Turmstraße muss nicht nur die in der Bundesallee | |
registrierten Flüchtlinge mit Geld und Krankenscheinen versorgen, sie muss | |
außerdem viele so genannte Altfälle abarbeiten. Über Monate wurden | |
Flüchtlinge immer wieder vertröstet, da die Mitarbeiter es nicht schafften, | |
die Anliegen der eigens einbestellten Flüchtlinge zu bearbeiten. | |
## Mehr als zwei Monate gewartet | |
Die mit den blauen Armbändern sollen nun bevorzugt und zügig drankommen. So | |
wie Ali und Achmed aus Pakistan, die seit dem 28. Oktober immer wieder | |
vertröstet werden. Sie haben nun einen Termin für Dienstag, aber weil sie | |
nicht glauben, dass es diesmal klappt, wollen sie ab fünf Uhr morgens | |
anstehen. | |
Im hintersten Zelt warten Flüchtlinge, die die Kosten für ihre Unterkunft | |
neu bewilligt bekommen müssen oder eine neue Unterkunft benötigen. Es gibt | |
eine Reihe für Männer und eine für Frauen. In der Männerschlange stehen | |
knapp hundert Flüchtlinge dicht gedrängt zwischen Polizeigittern. Zwei | |
Sicherheitsmitarbeiter versuchen, die Menschen zu ordnen. Die Heizung ist | |
kaputt, die Zeltplanen durch die Drängelei aufgegangen. | |
„Das Zelt war heute Morgen um fünf Uhr schon voll“, sagt Bilal. Er kommt | |
aus dem Libanon, die Bewilligung für seinen Hostelplatz ist abgelaufen. | |
„Wenn ich heute nicht dran komme, weiß ich nicht, wohin“, sagt er. | |
Die Sprecherin des Lageso sagt, dass Flüchtlinge für eine | |
Unterkunftsverlängerung gar nicht mehr zum Lageso kommen müssten. Die | |
Hostels könnten dies per Mail erledigen. Doch bei den Flüchtlingen ist dies | |
noch nicht angekommen. Auch eine Hostelbesitzerin, die nicht namentlich | |
genannt werden möchte, hat davon nichts gehört. „Zudem löst das nur einen | |
Teil des Problems, denn die Menschen bekommen dann ja auch kein Geld. Bei | |
mir im Hostel wohnen zurzeit Familien, die seit Mitte Dezember kein Geld | |
ausgezahlt bekommen haben, nun koche ich für alle, um meine Bewohner zu | |
ernähren.“ | |
„Katastrophale Zustände“ sehe er hier nicht, sagt Sascha Langenbach. Der | |
Sprecher der zuständigen Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales steht | |
gerade im Essenszelt vor dem Lageso. „Niemand muss hier in der Kälte | |
warten“, sagt er. | |
Etwa eine halbe Stunde später bildet sich eine Schlange. Die | |
Sicherheitsdienstmitarbeiter lassen nur noch Familien im Zelt warten. „But | |
it’s cold“, klagt ein junger Mann. Die Security schickt ungerührt alle | |
raus. Am Vormittag sei bereits ein Flüchtling mit blaugefrorenen Zehen | |
behandelt worden, berichtet die Helferin Christiane Beckmann. | |
4 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Uta Schleiermacher | |
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