# taz.de -- Internationaler Strafgerichtshof ICC: Was kann das Weltgericht? | |
> Das internationale Gericht ICC hat über 1.000 Mitarbeiter. 2016 wird sich | |
> zeigen, ob es mehr sein kann als ein Tribunal für afrikanische Warlords. | |
Bild: ICC in Den Haag: schick – aber womöglich ohne ausreichende Kompetenzen. | |
BRÜSSEL taz | Für den Internationalen Strafgerichtshof wird 2016 das Jahr | |
der Wahrheit. Er ist kurz vor Weihnachten endlich in ein eigenes Gebäude in | |
Den Haag eingezogen, nachdem er bisher in den Räumlichkeiten des | |
UN-Jugoslawien-Tribunals gastiert hatte. Sechs miteinander verbundene Türme | |
mit Platz für 1.200 Mitarbeiter, Gesamtkosten 204 Millionen Euro – endlich | |
sieht das Weltgericht auch wie eines aus. Und 2016 wird das Jahr ganz neuer | |
politischer Herausforderungen werden. | |
Erstmals beginnt am 28. Januar ein ICC-Prozess gegen ein inhaftiertes | |
ehemaliges Staatsoberhaupt: Laurent Gbagbo, Expräsident der Elfenbeinküste, | |
der sich 2011 mit Gewalt gegen seine Abwahl gewehrt hatte. Der 70-Jährige, | |
dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit an Muslimen und Bewohnern aus dem | |
oppositionellen Norden seines Landes vorgeworfen werden, sei physisch | |
durchaus verhandlungsfähig, heißt es. Man müsse höchstens etwas öfter | |
Verhandlungspausen einlegen. | |
Schon vorher, am 18. Januar, steht zum ersten Mal ein islamistischer | |
Dschihadist im Den Haag vor Gericht. Gegen Ahmad al-Mahdi al-Faqih von der | |
islamistischen Gruppe „Ansar Dine“ aus Mali beginnt das Vorverfahren, in | |
dem entschieden wird, ob die Anklage gegen ihn wegen Kriegsverbrechen in | |
Timbuktu zugelassen wird. | |
Es geht um gezielte Zerstörung religiöser und historischer Stätten und | |
Kulturgüter wie der Sidi-Yahia-Moschee und neun berühmter Mausoleen in der | |
als Weltkulturerbe anerkannten nordmalischen Stadt zwischen dem 30. Juni | |
und dem 10. Juli 2012. | |
Diese beiden Fälle werden mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen als die schon | |
fast zur Routine gewordenen Verfahren gegen Warlords aus der Demokratischen | |
Republik Kongo. Nach mehreren Verhandlungsjahren dürfte dieses Jahr das | |
Urteil über Kongos ehemaligen Vizepräsidenten Jean-Pierre Bemba wegen | |
Verbrechen seiner Truppen in der Zentralafrikanischen Republik Ende 2002 | |
gefällt werden. | |
Der Bemba-Prozess ist von erheblicher politischer Bedeutung: 2006 hatte | |
Bemba noch 42 Prozent der Stimmen bekommen, als er bei Kongos ersten freien | |
Wahlen gegen Präsident Joseph Kabila antrat, und Ende 2016 stehen wieder | |
Wahlen im Kongo an, bei denen Kabila laut Verfassung nicht mehr antreten | |
darf. Bembas Anhänger hoffen auf einen Freispruch und eine triumphale | |
Rückkehr ihres Helden in die kongolesische Politik. | |
## Staaten verweigern Kooperation | |
Das Gericht wird auch selber Politik machen. Der ICC muss sich überlegen, | |
wie er mit der zunehmenden Kooperationsverweigerung afrikanischer Staaten | |
umgeht. Südafrika ließ Ende Mai 2015 Sudans Präsidenten Omar al-Bashir | |
unbehelligt ausreisen, obwohl ein Gericht in Pretoria die Vollstreckung des | |
gegen ihn vorliegenden ICC-Haftbefehls angeordnet hatte. Es könnte sein, | |
dass sich der UN-Sicherheitsrat damit befassen muss. | |
Das ist zwar auch schon mit dem Tschad, Malawi und der DR Kongo geschehen, | |
die alle Bashir hatten ein- und ausreisen lassen, und der Sicherheitsrat | |
hat noch nie Konsequenzen gezogen. Aber je öfter so etwas vorkommt, desto | |
mehr muss sich das Weltgericht fragen, ob es überhaupt noch Rückendeckung | |
bei anderen internationalen Institutionen hat. | |
Hilfreich wäre, wenn der ICC dem immer wieder geäußerten Vorwurf | |
entgegentreten würde, nur Afrikaner anzuklagen. Auch was das angeht, könnte | |
2016 ein wichtiges Jahr werden. Chefanklägerin Fatou Bensouda will die | |
Genehmigung einholen, förmliche Ermittlungen zu Georgien aufzunehmen. Im | |
Oktober 2015 hatte sie festgestellt, es gebe Grund zu der Annahme, dass | |
dort während des Krieges mit Russland um Südossetien im August 2008 | |
Verbrechen verübt worden seien, für die der ICC zuständig sei. | |
## Invasion, Besetzung, Annexion | |
Schließlich soll Ende 2016 die Erweiterung des Rom-Statuts um den | |
Straftatbestand des Angriffskrieges in Kraft treten. Dies war im Jahr 2010 | |
auf einer Sitzung der ICC-Mitgliedstaaten in Kampala beschlossen worden, | |
tritt aber erst in Kraft, wenn es zwei Drittel der Mitgliedsstaaten | |
ratifiziert haben und 30 von ihnen die Zuständigkeit des Weltgerichts dafür | |
anerkennen. Bis Ende 2015 waren das bereits 20 Staaten, darunter seit 2013 | |
Deutschland. | |
Wenn die nötige Anzahl bis zur nächsten Generalversammlung der | |
ICC-Mitglieder zusammenkommt, werden ab 2017 die Planung, Vorbereitung, | |
Auslösung oder Begehung von Invasion, Besetzung oder Annexion durch Gewalt | |
oder Blockaden strafbar im Sinne des ICC. Dann steht das Weltgericht vor | |
wahrlich spannenden Zeiten. | |
4 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Francois Misser | |
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