| # taz.de -- Neue Grundverordnung zum Datenschutz: Die Jagd nach dem Datenschatz | |
| > Nach langen Verhandlungen einigt sich die EU auf neue Datenschutzregeln. | |
| > Doch vorbei ist die Lobbyschlacht noch lange nicht. | |
| Bild: Daten sind wertvoller als Gold. | |
| Der junge Mann ist verzweifelt. Er will seiner Freundin Blumen schicken, | |
| darf das aber nicht, weil er damit ihre Daten weitergeben würde. Und da | |
| muss sie zustimmen. | |
| Die Szene stammt aus einem Trickfilm, der auf die Fedma, die europäische | |
| Vereinigung für Direktmarketing, zurückzuführen ist. Der Clip soll Stimmung | |
| machen für Big Data, verdreht allerdings derart plump die geplante | |
| Rechtslage, dass er eines der absurderen Beispiele aus der Lobbyarbeit um | |
| die Verhandlungen zur Datenschutzgrundverordnung ist, die diese Woche zu | |
| Ende gegangen sind. | |
| Mit der Einigung von EU-Parlament, Rat und Kommission findet auch die | |
| aufwändige Lobbykampagne einen Abschluss. Eine Kampagne, in der Konzerne | |
| wie Amazon und Ebay, die US-Handelskammer oder die Fedma nicht nur mit | |
| freundlicherweise zur Verfügung gestellten Formulierungsvorschlägen | |
| kämpften, mit E-Mails und Einladungen. Sondern Thinktanks und | |
| Anwaltskanzleien beauftragten, die Studien und Papiere auf den Markt | |
| brachten, aber nicht verrieten, wer sie eigentlich beauftragt hat. Denn am | |
| Ende musste die Antwort auf die Frage stehen, wer von der neuen Verordnung | |
| eigentlich profitiert: die Menschen? Oder die Unternehmen? | |
| Die aktuellen EU-Regeln zum Schutz von persönlichen Daten wurden vor 20 | |
| Jahren beschlossen. Facebook gab es damals genauso wenig wie YouTube, und | |
| selbst der Google-Vorläufer BackRub wurde erst ein Jahr später geboren. | |
| 1995, als die EU ihre Datenschutzrichtlinie beschloss, lernten sich die | |
| späteren Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin gerade in Stanford | |
| kennen. | |
| Ein Werbenetzwerk, das Nutzer über verschiedenste Webseiten hinweg | |
| verfolgt, das damit Daten unter anderem aus E-Mail-, Suchmaschinen- und | |
| Kartendiensten kombiniert und das alles von demselben Unternehmen, das | |
| gerade an selbstfahrenden Autos arbeitet – Science Fiction. Mehr noch: | |
| jenseits der Vorstellungskraft. | |
| ## Wertvoller als Gold | |
| Heute landet Google – je nach Ranking – unter den Top 3 bis Top 10 der | |
| weltweit mächtigsten Unternehmen. Was zeigt, dass persönliche Daten, dass | |
| Nutzerprofile längst viel wertvoller sind als Gold. Und so war von Anfang | |
| an klar: Wer es schafft, auf die neuen Datenschutzregeln Einfluss zu | |
| nehmen, der wird sein Geschäftsmodell für den europäischen Markt sichern. | |
| Nicht nur IT-Unternehmen. Genauso Anbieter von Kundenkarten, | |
| Adressverkäufer oder die Schufa. | |
| „Als ich meine Position für das Parlament ausgearbeitet habe, wurde ich | |
| rund um die Uhr belagert“, erzählt Jan Philipp Albrecht, grüner | |
| Europaabgeordneter und Berichterstatter für die Verordnung. Innerhalb von | |
| 14 Monaten verzeichnet sein Kalender fast 300 Treffen mit | |
| Interessenvertretern. Von „Kriegsmodus“ spricht Albrechts Mitarbeiter Ralf | |
| Bendrath in der Dokumentation „Democracy – Im Rausch der Daten“, die den | |
| Entstehungsprozess der Verordnung begleitet. | |
| Dubiose Kanzleien, Trickfilme, 4.000 Änderungsanträge, darunter ein guter | |
| Teil von der Industrie platziert – kann da überhaupt etwas bei rauskommen, | |
| das am Ende die Privatsphäre der Verbraucher schützt? | |
| Joe McNamee leitet die Bürgerrechtsorganisation European Digital Rights. Er | |
| hat in den vergangenen Tagen die 209 Seiten durchforstet auf der Suche nach | |
| einer Antwort auf die Frage: Wem wird die neue Verordnung eher gerecht – | |
| den Interessen der Verbraucher oder denen der Unternehmen? | |
| ## Die Sache mit dem Profiling | |
| Wenn McNamee von den Verhandlungen erzählt, spricht er von einer | |
| „Lobbyschlacht“, und angesicht dessen sei das Ergebniss gar nicht schlecht. | |
| Von einem EU-weit einheitlichen Datenschutzniveau könne zwar angesichts | |
| zahlreicherer Ausnahmen nicht mehr wirklich die Rede sein. Aber | |
| privatsphärefreundliche Standardeinstellungen bei Diensten wie Facebook, | |
| das sei ein Fortschritt. Genauso wie die Pflicht, Verbraucher zu | |
| informieren, wenn ein Unternehmen gehackt wurde und dabei persönliche Daten | |
| von Kunden betroffen waren. Natürlich, das wäre alles noch strikter und | |
| eindeutiger gegangen, aber immerhin. Nur diese Sache mit dem Profiling. | |
| Profiling, das ist das Zusammenführen von persönlichen Daten aus | |
| unterschiedlichen Quellen. Es hat in der neuen Verordnung zwar einen | |
| eigenen Artikel bekommen. Dennoch kritisiert McNamee die neue Regelung: | |
| „Das Profiling“, sagt er „das wurde weit unterschätzt.“ | |
| Denn mithilfe von Algorithmen werden aus vorhandenen Daten immer neue | |
| generiert, zusammengeführt und daraus wiederum neue Schlüsse gezogen. Zum | |
| Beispiel: Ein Nutzer gibt bei Google Krankheitssymptome in die Suchmaske, | |
| der Konzern schließt auf chronische Rückenschmerzen. Kombiniert mit den | |
| Daten aus der Fitness-App – Ernährung, Schlaf, Bewegung – ergibt sich schon | |
| ein recht präzises Bild und vermutlich auch eine Ursache für die Schmerzen. | |
| Und die Verarbeitung von Gesundheitsdaten, nicht nur von zurückgelegten | |
| Kilometern und geschlafenen Stunden, sondern auch von Herzfrequenz, | |
| Blutdruck oder Blutzucker, die fängt gerade erst an. | |
| ## Vertrauen in Datenumwelt | |
| „Eine Firma wie Facebook oder Google kann Ihnen sagen, wo Sie vor sechs | |
| Monaten waren und wie Sie sich dabei gefühlt haben – auch wenn Sie selbst | |
| das vermutlich gar nicht mehr wissen“, sagt McNamee. Nutzer müssten hier | |
| die Möglichkeit haben, einzugreifen, Daten zu löschen oder zu korrigieren. | |
| Mit pauschalen Einverständniserklärungen sei es nicht getan, schließlich | |
| wüssten die Unternehmen meist selbst nicht, was sie in einem Jahr mit den | |
| Nutzerdaten anstellen werden, was Technik und Algorithmen dann hergeben. | |
| Wie solle man da wirksam einwilligen? | |
| „Die Unternehmen haben noch nicht verstanden, dass Vertrauen in die | |
| Datenumwelt wichtig sein wird“, glaubt McNamee. EU-Berichterstatter | |
| Albrecht sagt: Was sie mit persönlichen Daten machen oder nicht machen | |
| dürfen, sei für die Konzerne wichtiger als das Steuerrecht. | |
| Die Lobbyistenanfragen, sagt Albrecht, seien mit der Einigung diese Woche | |
| etwas zurückgegangen. Doch er rechnet damit, dass die Strukturen bleiben. | |
| Verhältnismäßig junge IT-Unternehmen aus den USA, die schon in Washington | |
| mit millionenschweren Lobbykampagnen und aggressiven Strategien auffielen, | |
| hätten diese nun nach Europa getragen. Und wenn sich die entsprechenden | |
| Akteure hier einmal etabliert hätten, würden sie nicht einfach wieder | |
| verschwinden. | |
| Zumal noch ein paar weitere Verhandlungen anstehen, die für datengierige | |
| Konzerne Ungemach bedeuten könnten. Das neue Safe-Harbor-Abkommen zum | |
| Beispiel. Oder die E-Privacy-Richtlinie. | |
| Es ist noch nicht vorbei. | |
| 19 Dec 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Svenja Bergt | |
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