Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Islamismus in Brüssel-Molenbeek: „Drehkreuz der Dschihadisten“
> In Molenbeek ist die soziale Lage schlecht. Über 40 Prozent der jungen
> Leute sind arbeitslos. Ein idealer Nährboden für Islamisten.
Bild: Belgische Spezialkräfte stürmen nach den Anschlägen in Paris mehrere W…
BRÜSSEL taz | Es ist kein No-go-Viertel wie manche Vorstadt in Paris. Aber
es herrscht auch nicht die bunte Multikulti-Atmosphäre wie in vielen
Brüsseler Stadtteilen. Dabei ist Molenbeek nur einen Steinwurf von der auch
bei Touristen beliebten Place Sainte-Catherine entfernt.
Ein kurzer Weg durch die Altstadt, ein paar Schritte auf der Brücke über
den Kanal, schon ist man in Belgiens bekanntestem Problemviertel. Früher
schlug hier das industrielle Herz der Hauptstadt. Heute gilt Molenbeek als
„Drehkreuz der Dschihadisten“, wie die belgische Tageszeitung Le Soir
titelt.
Zu sehen ist davon nichts. Wären da nicht die vielen Fernsehteams, die auf
die Festnahme des Hauptverdächtigen Abdelhamid Abaaoud lauern, böte
Molenbeek ein ebenso tristes wie ruhiges Bild. Geschlossene Geschäfte,
verhängte Fenster, ein paar neugierige Halbstarke – aber nichts, was auf
eine „Zeitbombe“ hinweist.
Doch genau dazu hat sich Molenbeek entwickelt, sagt die belgische
Islamexpertin Corinne Torrekens. Allerdings nicht wegen der Einwohner, die
zu einem Großteil einen Migrationshintergrund haben und aus Marokko oder
der Türkei stammen. Das Problem seien vielmehr die miserablen
sozioökonomischen Rahmenbedingungen.
## Salafistischer Einfluss immer noch spürbar
Mit einer Arbeitslosenquote von fast 30 Prozent, bei unter 25-jährigen
sogar über 40 Prozent, und hohen Schulabbrecherzahlen bietet die 95.000
Einwohner starke Gemeinde im Westen Brüssels vor allem jungen Menschen kaum
Perspektiven. Die Hoffnungslosigkeit sei ein idealer Nährboden für radikale
Islamisten, so Torrekens.
Ähnliches lässt sich zwar auch von anderen Vierteln und Städten in Belgien
sagen, etwa von Vilvoorde oder Verviers, wo erst im Januar eine mutmaßliche
Terrorzelle ausgehoben wurde. Viele ehemalige Industriestandorte sind zu
sozialen Brennpunkten geworden. In Molenbeek kommen jedoch noch lokale
Besonderheiten hinzu.
Da ist einmal die Rolle des radikalen Islamismus saudi-arabischer Prägung,
des Salafismus. Sie geht auf die 70er Jahre zurück, als Belgien den Saudis
die Gründung von Moscheen und die Betreuung islamischer Gemeinden
anvertraute. Seit den 90ern versucht die Regierung zwar, den salafistischen
Einfluss zurückzudrängen, doch in Molenbeek ist er immer noch spürbar.
Vor allem das Islamische Zentrum in der Rue de Manchester gilt als Hochburg
radikaler Islamisten. Hier ging der Mörder des afghanischen Nationalhelden
und Taliban-Gegners Massoud ein und aus. Auch ein Drahtzieher des
Terroranschlags in Madrid von 2004 frequentierte diese Moschee.
## Schwache Ausrede aus Belgien
Saudi-Arabien gilt bis heute als heimlicher Unterstützer des „Islamischen
Staats“, der die Terroranschläge in Paris organisiert haben will. Insofern
ist es kein Wunder, dass sich belgische oder französische IS-Anhänger in
Molenbeek besonders wohlfühlen – bis heute gibt es dort offenbar sichere
Verstecke und willige Unterstützer.
Anders können sich die belgischen Behörden nicht erklären, dass fast alle
Terroristen der letzten Jahre mit dem Brüsseler Problemviertel in
Verbindung gebracht wurden. So etwa Mehdi Nemmouche, den Hauptverdächtigen
für den Mordanschlag auf das Brüsseler Jüdische Museum im Mai 2014.
Auch der Angreifer auf den Thalys von Amsterdam nach Paris im August dieses
Jahres, Ayoub El Khazzani, war in Molenbeek bei seiner Schwester
untergekommen, bevor er in Brüssel den Schnellzug bestieg. Nun soll auch
noch Abdelhamid Abaaoud, ein berüchtigter Sohn Molenbeeks, in die Attentate
von Paris verwickelt sein.
„Sie kommen nicht alle von hier, und meistens sind sie nur auf der
Durchreise“, verteidigte Bürgermeisterin Françoise Schepmans ihren
Stadtteil. Das Viertel sei nun einmal dicht besiedelt und lasse sich nur
schwer kontrollieren. Doch das ist eine schwache Ausrede. Denn auch die
belgische Politik hat versagt.
## Politikversagen auf allen Ebenen
Vor allem Schepmans Amtsvorgänger Philippe Moureaux steht in der Kritik. Er
soll mit den Islamisten gekungelt und die Polizei bei Ermittlungen
behindert haben, heißt es in Brüssel. In einem Interview drehte der
Sozialist den Spieß um und behauptete, dass sich die Lage erst seit seinem
Abgang 2012 verschärft habe.
Die besten Ermittler und kompetentesten Sozialarbeiter seien aus
politischen Gründen abgezogen worden, so Moureaux im Soir. Fest steht, dass
es um die Prävention nicht gut steht in Molenbeek. Polizei und Streetworker
klagen über Personalmangel und zu knappe Finanzmittel, viele Helfer sind am
Ende ihrer Kräfte.
Politikversagen gibt es aber auch auf der föderalen und der europäischen
Ebene. Der Kompetenzwirrwar im belgischen Föderalismus macht es Übeltätern
leicht, zu verschwinden. Polizei und Justiz sind überlastet, nicht zuletzt
wegen der von der EU verordneten Kürzungen im belgischen Staatsbudget.
Doch die EU-Kommission kümmert sich nicht um die Probleme in ihrem
Vorgarten. Kommissionschef Jean-Claude Juncker ordnete zwar eine
Gedenkminute für die Opfer von Paris an. Auf die Frage, ob die vom Terror
betroffenen Länder auf Nachsicht beim Budgetdefizit hoffen dürfen, gab er
keine Antwort.
16 Nov 2015
## AUTOREN
Eric Bonse
## TAGS
Schwerpunkt Islamistischer Terror
Paris
Belgien
Terror-Zellen
Terror
„Islamischer Staat“ (IS)
„Islamischer Staat“ (IS)
Islamismus
Schwerpunkt Syrien
Europäische Union
Belgien
„Islamischer Staat“ (IS)
Islamismus
USA
Molenbeek
Schwerpunkt Frankreich
Geheimdienst
Schwerpunkt Islamistischer Terror
Schwerpunkt Islamistischer Terror
Schwerpunkt Islamistischer Terror
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Islamistischer Terror
## ARTIKEL ZUM THEMA
Anschlag auf Jüdisches Museum in Brüssel: Problematischer Prozessauftakt
Beim Anschlag auf das Museum in Brüssel waren 2014 vier Menschen gestorben.
Nun stehen die beiden mutmaßlichen Attentäter vor Gericht.
EU verhandelt mit der Türkei über Beitritt: Eine sehr pragmatische Politik
Dank der türkischen Hilfe bei der Abschottung gegen Flüchtlinge geht es mit
den Beitrittsverhandlungen voran. Zwei neue Kapitel wurden jetzt eröffnet.
Befreiungsbewegung der Westsahara: Juristischer Sieg für die Polisario
1975 besetzte Marokko die Westsahara. Nun hat der Europäische Gerichtshof
deshalb das Handelsabkommen der EU mit Marokko annuliert.
Ausnahmezustand in Brüssel: Ich habe also doch Angst
Seit ein paar Wochen wohnt unsere Autorin in Brüssel, nicht weit entfernt
von Molenbeek. Dort war sie auf Partys. Jetzt ist vieles anders.
Razzien nach Pariser Anschlägen: Neun Festnahmen in Brüssel
In Brüssel wurden Verdächtige im Zusammenhang mit den Pariser Attentaten
inhaftiert. Regierungschef Michel weist derweil Kritik an den
Sicherheitsbehörden zurück.
Anti-Terror-Einsatz in Paris: Zweiter Anschlag verhindert
Die überwältigte Gruppe aus Saint-Denis soll zu Terror-Aktionen bereit
gewesen sein. Der Drahtzieher des ersten Anschlags war nicht unter den
Festgenommenen.
Grenze zu Syrien: Türkei macht dicht
Um die Einreise von Kämpfern des IS aus Syrien zu stoppen, wollen die USA
der Türkei helfen, die letzten Kilometer offener Grenze zu schließen.
Abdelhamid Abaaoud: Der Junge aus Molenbeek
Die französische Polizei sucht in Paris derzeit den mutmaßlichen
Drahtzieher der Pariser Attentate. Wer ist der 28-jährige Belgier?
Nach den Terroranschlägen in Paris: Fünf Festnahmen bei Aachen
In Aachen wurden fünf Personen festgenommen, die mit den Anschlägen in
Paris zu tun haben könnten. Belgien gibt die Namen verhafteter
Terrorverdächtiger bekannt.
Deutschland und Terror: Glück, mehr nicht
Bisher blieb Deutschland von schweren Attentaten verschont. Weil die
Dienste besser oder weil die Islamisten friedlicher sind? Nichts davon.
Nach Terroranschlägen in Paris: Frankreich beantragt Hilfe bei EU
Frankreich bittet die europäischen Partner um militärische Unterstützung.
Die Polizei sucht weiter nach Mittätern. Das Militär griff die IS-Hochburg
Rakka an.
Nach den Anschlägen in Paris: Hollande gibt sich martialisch
Frankreichs Präsident will den Luftkrieg gegen den IS ausweiten. Zwei
Männer stehen unter dringendem Tatverdacht. Dschihadisten drohen mit neuer
Gewalt.
Nach den Anschlägen in Paris: Zwei Explosionen in Molenbeek
Die französische Polizei fahndet nach Verdächtigen. Insgesamt gab es mehr
als 150 Durchsuchungen im Land. In Belgien sucht man nach Salah Abdeslam.
Untersuchung der Anschläge von Paris: Belgien, immer wieder Belgien
Ein Teil der Attentäter kam wohl aus Brüssel. Auch ein Franzose, der in
Syrien gewesen ist, gilt als Täter. Eine weitere Spur führt nach
Griechenland.
Ermittlungen nach den Anschlägen: Sieben Festnahmen in Belgien
Nach den Terroranschlägen in Paris hat die Polizei in Belgien insgesamt
sieben Verdächtige festgenommen. Dazu wurde in Frankreich ein Tatfahrzeug
gefunden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.