# taz.de -- Wirtschaftsethiker über VW-Skandal: „Verbraucher in den Aufsicht… | |
> Ulrich Thielemann plädiert für mehr Demokratie in der | |
> Unternehmensverfassung: Umweltschützer und Kunden sollen Kontrolle | |
> ausüben. | |
Bild: Ob man aus dem Teufelchen ein Engelchen machen kann? | |
taz: Herr Thielemann, Volkswagen hat Kunden und Bürger mit falschen Abgas- | |
und Verbrauchswerten betrogen. Ähnliche Skandale deuten darauf hin, dass | |
kriminelles Vorgehen gängige Unternehmenspolitik ist. Was kann man gegen | |
diese Firmenkultur tun? | |
Ulrich Thielemann: Viele Manager verhalten sich heute radikaler als ihre | |
Vorgänger. Um die Gewinne zu steigern, kalkulieren sie auch Rechtsrisiken | |
ein. Die Geschichte der Korruptions- und Betrugsskandale etwa bei Siemens, | |
der Deutschen Bank und Volkswagen zeigt, dass es nicht um Einzelfälle geht. | |
Die politische Frage lautet: Wie können neben der Rentabilität auch andere | |
gesellschaftliche Interessen in den Unternehmen zum Tragen kommen? Das geht | |
nur durch staatliche Regulierung. | |
Die interne Kontrolle des VW-Konzerns hat nicht funktioniert. Wie lässt sie | |
sich verbessern? | |
Ein Weg wäre, die Unternehmensverfassung insgesamt offener und | |
pluralistischer zu gestalten. Gegenwärtig sitzen in den Aufsichtsräten | |
deutscher Aktiengesellschaften die Eigentümer und die Gewerkschaften als | |
Vertreter der Beschäftigten – wobei Erstere das entscheidende Votum haben. | |
Diese Konstellation reicht nicht mehr: Diejenigen gesellschaftlichen | |
Gruppen, die von den Handlungen des Unternehmens betroffen sind, sollten | |
ebenfalls an der Mitbestimmung teilhaben. Beispielsweise könnten | |
Verbraucher- und Umweltschützer Sitze in den Aufsichtsräten erhalten. Das | |
würde es einer Firma wie VW erschweren, ökologische Aspekte und die | |
Interessen der Kunden zu ignorieren. | |
Damit würde man die Rechte der Eigentümer einschränken. | |
Im einseitigen Interesse der Aktionäre und Kapitalbesitzer setzen sich | |
Firmen heute häufig über den gesellschaftlichen Konsens hinweg. Dieser | |
besteht beispielsweise darin, das Klima zu schützen. VW verkaufte trotzdem | |
Fahrzeuge, die systematisch die Grenzwerte verletzen. Wenn die Politik | |
etwas gegen diesen Gesetzesbruch tun will, muss sie zu Konsequenzen bereit | |
sein und beispielsweise das Aktiengesetz ändern. Die Demokratisierung des | |
Wirtschaftens könnte helfen, die Unternehmen wieder in die Gesellschaft | |
einzubinden. Es geht darum, das Gewinninteresse zu entthronen und zu | |
relativieren. | |
Im VW-Aufsichtsrat sitzen Vertreter des Staates und der Arbeitnehmer. Wieso | |
üben sie keine Kontrolle aus? | |
Die Interessen der Kontrollierten und der Kontrolleure, von Vorstand und | |
Aufsichtsrat stimmen weitgehend überein. Alle fanden es gut, dass | |
Volkswagen der größte Autokonzern der Welt werden sollte. Die Betrügereien | |
waren offenbar ein Mittel, um das große Ziel zu erreichen. Diese | |
verhängnisvolle Interessenidentität muss man aufbrechen. | |
Welche weiteren Maßnahmen halten Sie für nötig? | |
Man sollte auch hierzulande ein Unternehmensstrafrecht einführen. Die | |
Eigentümer müssen merken, dass es an ihren Geldbeutel geht. Der Anteil der | |
erfolgsabhängigen Gehaltsbestandteile bei Managern muss sinken, damit diese | |
sich nicht einseitig an der Rendite orientieren. Man könnte darüber | |
nachdenken, eine Mindesthaltedauer für Aktien einzuführen, damit nicht | |
gierige Kurzfrist-Investoren die Unternehmen unter Druck setzen. Außerdem | |
wäre es gut, die Lehrpläne im Wirtschaftsstudium zu ändern, sodass | |
Eigeninteressenmaximierung nicht mehr diskussionslos als Höchstform | |
rationalen Handelns vermittelt wird. | |
9 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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