# taz.de -- Abgasbetrug bei VW: Das Auto, dein Baby | |
> Wie verkauft Volkswagen in Zeiten der Abgaskrise eigentlich seine fetten | |
> SUVs? Ein Besuch im Autohaus. | |
Bild: „Wir wollen was Schönes“, sagt sie, er will es „groß und kantig�… | |
Wir wohnen am Stadtrand, halb schon auf dem Land; wir sind viel unterwegs, | |
unser Kombi ist uns zu klein geworden. Hinten die Kinder, vorne wir, das | |
Gepäck, das Musikinstrument, wir brauchen den Platz. „Und wir wollen was | |
Schönes“, sagt sie, bequem einsteigen, höher sitzen, den Überblick haben. | |
Der Verkäufer versteht uns sofort, das Adjektiv „schön“ macht es ihm | |
leicht, auf uns anzuspringen. Er sagt es nicht, gibt uns aber das Gefühl, | |
dass wir hier genau richtig sind. | |
Wir stehen vor unserem Wunschauto. Einem VW Touareg. Breitbeinig, bullig, | |
von der Attitüde her eher sportlich-durchtrainierter Überperformer als | |
grober Muckibudentyp. Also keinesfalls sympathisch, aber in seiner | |
Massivität elegant. Einer aus dem Segment SUV, geländetaugliche | |
Großraumwagen, die niemand braucht, die aber die höchsten Zuwachsraten | |
haben bei Neuzulassungen. | |
Die US-Umweltbehörde EPA wirft Volkswagen vor, Abgaswerte auch bei den | |
großen Autos manipuliert zu haben. Porsche Cayenne, Audi Q5 – und eben der | |
Touareg. Wir wollen herausfinden, wie VW in diesen Zeiten Autos verkauft. | |
Ist denen das irgendwie unangenehm, drucksen sie herum, sprechen sie den | |
Skandal offensiv an? Weil wir das bei der Pressestelle des Konzerns kaum | |
herausbekommen werden, verwandeln wir uns in ein Ehepaar – die von der | |
Grones. Zwei Kinder im Alter von zwei und sechs Jahren, moderner Lifestyle, | |
in Kreisen zu Hause, in denen Autos groß sind und etwas hermachen. Geld? | |
Haben wir. | |
Wir melden uns telefonisch an in einem Berliner VW-Autohaus – „Wir haben | |
Interesse an einem Touareg“ –, schon für den Tag darauf bekommen wir einen | |
Termin. Ist das womöglich das erste Anzeichen für die | |
Postabgasskandalkrise, niemand will mehr dicke Dreckschleudern kaufen? Der | |
Showroom ist ein etwas in die Jahre gekommenen Glasbau, der die Ware Auto | |
präsentiert wie der Zoohändler seine Fische im zu vollen Aquarium. Zwischen | |
Polos, Golfs und Passats – the German Mittelklassewagen in Reinform – | |
stehen auch zwei Touaregs. | |
Wir werden nicht sehnlichst erwartet. Ein Mann im dunkelblauen | |
Arbeitskittel feudelt die Wagen mit einem roten Staubfänger ab, hinter | |
einem Tresen telefonieren Frauen mit weißen Blusen, ein Schild weist den | |
Weg zur Werkstatt, in Einzelbüros sitzen Männer, deren Job es ist, Neuwagen | |
zu verkaufen. Blaue Hemden, gestreifte Krawatten. Wo ist Herr Meister – so | |
nennen wir ihn hier? Mit ihm sind wir verabredet. Er telefoniert gerade, | |
dann ist er ganz bei uns. | |
Meister trägt Grau, der Touareg ist tiefschwarz – „Pianolackoptik“ –, | |
Meister lässt die Heckklappe aufschwingen, fährt Sitze nach vorn, weist auf | |
die Sonderausstattung „Chrome & Style“ hin mit Zierleisten an den Fenstern, | |
silberglänzenden Schwellen und dem extradicken Auspuff. | |
Sie bringt ihre Jacke weg, er läuft um das Auto herum, zweifelt, eigentlich | |
mag er kantige Wagen. „Groß und kantig“, sagt er. Meister macht seinen | |
Sache gut, sofort erkennt er in ihm den, der im Auto seine Abenteuerlust | |
ausleben will: „Ich mag es, wenn er schön bullig ist. Der hier steht jetzt | |
auf Standardniveau, aber im Sportmodus kann er bis auf 30 Zentimeter | |
Bodenfreiheit angehoben werden.“ Im VW-Werbespot brettert der Wagen durch | |
eine Kraterlandschaft, wir haben meist Asphalt unter uns. Aber cool wär’s | |
schon, oder? | |
Es geht um solche Sachen: Aussehen, Gefühl, das Auto als Objekt. Herr | |
Meister klärt uns über die Vorzüge der belüftbaren Lederbezüge auf, zeigt | |
uns die Verschalung der Vordersitze, „kein billiger Kunststoff, sehr | |
hochwertig“ und für uns perfekt: Die Kinder sitzen da oft mit matschigen | |
Gummistiefeln, der Kunststoff ist schön pflegeleicht. Wobei: Die | |
Beinfreiheit ist eh riesig da hinten. | |
Von Abgaswerten keine Rede. Die müssen wir wohl selbst ansprechen. | |
Inzwischen sitzen wir im Touareg, schwarzes Leder, Edelholzdekor | |
„Engineered Ebony“, auch sehr dunkel. Meister erklärt uns, wie man die | |
Sitze einstellt, wie man die Sitzwangen anpasst, „damit man in der Kurve | |
nicht aus dem Sitz fliegt“. Sie surrt in die richtige Position, er testet | |
die Lendenwirbelstützen. Fast wie Massage. | |
Jetzt wäre der Moment, die Maschine anzulassen und sich am Gebrumm des V6 | |
TDI-Motors zu erfreuen. 262 PS, aber mit „BlueMotion Technology“, irgendwie | |
umweltfreundlicher, im VW-O‑Ton heißt das so: „angepasstes Motormanagement | |
mit modifizierter Software“, wobei das natürlich anders gemeint ist, als | |
man gerade denken könnte. | |
Also, Herr Meister, sagt sie. „Autokauf ist ja Vertrauenssache. Mercedes, | |
unser bisheriges Auto, scheint ja nicht verdächtig zu sein, was die | |
Abgaswerte angeht. Ist der Touareg sauber?“ Meister beugt sich durchs | |
offene Fenster der Fahrertür zu uns, seine Stimme legt er ein paar Lagen | |
tiefer, als hätte er dafür einen Drehschalter. Jetzt also sonor: „Bisher | |
sind das ja nur Vermutungen aus den USA, es ist nichts bewiesen.“ Und kann | |
es Zufall sein, dass ein anderer großer Hersteller am Tag, als die | |
Manipulation bei Volkswagen bekannt wurde, 200.000 Autos in die Werkstatt | |
zurückgerufen habe? | |
Aha, Verschwörung. Die USA wollen uns was Böses und andere haben auch Dreck | |
am Stecken. „Aber wenn bei kleineren Motoren getrickst wurde, warum dann | |
nicht gerade auch bei den großen?“, fragt er. Behauptungen aus den USA, | |
Meister sagt es noch einmal. Und versichert uns zugleich, dass Volkswagen | |
im Fall des Falles durch Software-Nachhilfe dafür sorgen werde, dass wir | |
das Auto bekommen, das wir bestellt haben. Also nachträglich. Wir: „Uns ist | |
das schon wichtig, einerseits die Kinder in der Waldkita haben, | |
andererseits mit einer Dreckschleuder rumfahren? Das geht nicht.“ | |
Meister bleibt souverän. Wir sollten uns keine Sorgen machen, er wisse von | |
Kunden, wie zufrieden die seien. Einer pendele von Berlin nach | |
Westdeutschland, Verbrauchswerte stets um die acht Liter. Spitzenwerte. Die | |
Abgasfrage seien bei den Kunden kein Thema mehr, längst nicht mehr. | |
## Der besondere Moment | |
Wir spielen mit. „Den Wagen, so wie er hier steht, könnten wir sofort | |
mitnehmen?“ Meister sagt ja. Aber was, wenn wir Sonderwünsche haben? Sie | |
will ihn cremefarben, das Soundsystem könnte stärker sein. Das Besondere | |
bei VW sei, dass ein solches Oberklasseauto erst zusammengebaut werde, wenn | |
der Kunde bestellt hat. | |
In zwölf Wochen wird der Touareg in Bratislava angefertigt, verpackt, wie | |
Meister sagt, das Finish erfolgt in Dresden. Räder anschrauben, | |
aufpolieren. „Und dann können Sie den Wagen in der Gläsernen Manufaktur | |
entgegennehmen. Das ist noch mal ein ganz besonderer Moment.“ Das Auto, | |
dein Baby. | |
Dresden ist der Ort der VW-Exklusivität, Krethi und Plethi müssen ins Werk | |
nach Wolfsburg, dort werden 700 Autos tagtäglich an Kunden übergeben, in | |
Dresden nur vier. „Dann könnten wir einen Ausflug machen nach Dresden“, | |
sagen wir. „Schöne Altstadt“, sagt Meister. Er wirkt zufrieden. Dieser | |
Oktober war sein bester, hat er vorhin gesagt. Und der November habe auch | |
sehr gut angefangen. | |
17 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Felix Zimmermann | |
Viktoria Morasch | |
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