# taz.de -- Prozessauftakt in Luxemburg: Mitbestimmung auf dem Prüfstand | |
> Bei international agierenden deutschen Konzernen wählen nur | |
> Inlandsbeschäftigte den Aufsichtsrat. Der EuGH urteilt, ob das | |
> diskriminierend ist. | |
Bild: Ein TUI-Aktionär gibt vor, ein Herz für Beschäftigte in den Niederlass… | |
FREIBURG taz | Die Gewerkschaften bangen um die Mitbestimmung in deutschen | |
Unternehmen. Am Dienstag verhandelt der Europäische Gerichtshof (EuGH) in | |
Luxemburg die Frage, ob das deutsche Mitbestimmungsgesetz gegen EU-Recht | |
verstößt. | |
Konkret geht es um den Tourismus-Konzern TUI. Er hat rund 10.000 | |
Beschäftigte in Deutschland und weitere 40.000 Beschäftigte im EU-Ausland. | |
Doch bei der Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sind nur die | |
Inlandsbeschäftigten wahlberechtigt. Gegen diese Ungleichbehandlung hat der | |
deutsche Bankmanager Konrad Erzberger geklagt, der privat einige TUI-Aktien | |
besitzt. Er hat beantragt, dass im TUI-Aufsichtsrat nur noch | |
Arbeitgeber-Vertreter sitzen sollen, weil die Wahl der | |
Beschäftigten-Vertreter gegen EU-Recht verstoße. | |
Das Berliner Kammergericht, das einem Oberlandesgericht entspricht, hält | |
einen Verstoß für „möglich“. Das deutsche Mitbestimmungsgesetz könnte e… | |
Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit darstellen. Im Ergebnis | |
könnten die Arbeitnehmervertreter „einseitig“ die Interessen der | |
Inlandsbeschäftigten im Blick haben. Außerdem könnte die Freizügigkeit von | |
Arbeitnehmern, die in den TUI-Aufsichtsrat gewählt wurden, beeinträchtigt | |
sein. Denn sie würden ihren Posten verlieren, sobald sie in eine | |
TUI-Niederlassung im Ausland wechseln. Das Kammergericht hat den Fall | |
deshalb im Oktober 2015 an den EuGH verwiesen. | |
Die Gewerkschaften können keine Diskriminierung erkennen. Deutsches Recht | |
gelte nun mal nur im Inland. In den ausländischen TUI-Standorten gebe es | |
auch kein deutsches Kündigungs- und Streikrecht. Die Bundesregierung will | |
zusammen mit Österreich die geltende Rechtslage verteidigen. Die | |
EU-Kommission dagegen unterstützt die Argumentation des Klägers Erzberger. | |
Das Verfahren betrifft Hunderte deutscher Unternehmen. Bei 635 Firmen (mit | |
mehr als 2.000 Beschäftigten) stellen die Arbeitnehmer im Aufsichtsrat | |
genauso viel Vertreter wie die Eigentümer. Bei weiteren 1.500 Unternehmen | |
(mit 500 bis 2.000 Beschäftigten) sind ein Drittel der Kontrolleure | |
Arbeitnehmer.Das Urteil wird wohl erst in der zweiten Jahreshälfte | |
verkündet. | |
Sollte der EuGH am Ende das deutsche Gesetz beanstanden, wäre das aber wohl | |
nicht das Ende der Mitbestimmung. Der Bundestag müsste dann das Gesetz | |
ändern und den Beschäftigten im EU-Ausland ebenfalls ein Wahlrecht | |
einräumen. Wenn die dortigen Mitarbeiter mitzählen, könnte dies sogar dazu | |
führen, dass mehr deutsche Unternehmen mitbestimmungspflichtig werden. Dies | |
würde auch erklären, warum die Arbeitgeber bisher gemeinsam mit den | |
Gewerkschaften den Status quo verteidigen. | |
24 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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