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# taz.de -- „Neue Rechte“ radikalisiert Pegida: Die Anheizer
> Seit Jahren träumten Rechtsintellektuelle von einer „Volksbewegung“. Mit
> Pegida sehen sie sich am Ziel. Fast. Jetzt soll der nächste Schritt
> erfolgen.
Bild: Anführer einer Volksbewegung? Pegida-Mitgründer Lutz Bachmann in Dresden
BERLIN taz | Es ist stockdunkel, nur die Straßenlaternen bescheinen die
Köpfe der wieder rund 10.000 Gekommenen. Vor ihnen steht am Montagabend
Lutz Bachmann, der Pegida-Anführer. Es ist Woche eins nach dem einjährigen
Jubiläum der von ihm mit ins Leben gerufenen Anti-Asyl-Bewegung. Und
Bachmann erneuert seine Kampfansage: „Wir bleiben, um zu siegen. Und wir
werden siegen!“ Die Menge johlt, schwenkt Deutschlandfahnen. Dann skandiert
sie: „Widerstand, Widerstand“.
Die Szene dürfte Götz Kubitschek gefallen haben. Der 45-Jährige hatte schon
drei Wochen zuvor auf Bachmanns Bühne gesprochen. Von einer Bewegung wie
Pegida träumt er seit Jahren. Nun sieht er sich am Ziel. Fast.
Man darf Kubitschek als Vordenker von Pegida bezeichnen. Seit Jahren ist er
einer der Köpfe der „Neuen Rechten“, eines Zirkels Rechtsintellektueller.
Von seinem Rittergut in Schnellroda in Sachsen-Anhalt aus gibt er das
Debattenblatt Sezession heraus. Dort ist der Sitz des „Instituts für
Staatspolitik“, der Denkfabrik der Szene, mitgegründet von Kubitschek.
## Das Schaudern vor dem „großen Austausch“
Es sind fast nur Männer, die hierzulande die „Neue Rechte“ bilden. Dieter
Stein etwa, der Junge-Freiheit-Herausgeber. Felix Menzel, der
Burschenschaftler. Oder Erik Lehnert, der Philosoph. Die „Neue Rechte“
eint, dass sie zwar NS-Nostalgie ablehnt – genauso aber Pluralität, die
multikulturelle Gesellschaft oder Feminismus. Und momentan eint sie: der
Kampf gegen Flüchtlinge. Die „orchestrierte Massenüberflutung“, wie es do…
heißt, der „große Austausch“.
Pegida ist für Leute wie Kubitschek eine Genugtuung: Ihre Theorie verlässt
den Salon, wird von den „Unverbildeten“, wie sie sagen, auf die Straße
getragen: der Beginn einer „Volksbewegung“. Geht es nach ihnen, ist Pegida
nur der erste Schritt. Nun soll der zweite folgen: offener Widerstand, das
Anfachen einer „konservativen Revolution“.
Als Götz Kubitschek Anfang Oktober auf der Pegida-Bühne stand, rief er: „Es
ist gut, dass es jetzt kracht.“ Der Flüchtlingszuzug sei eine „Katastrophe
epochaler Dimension“. Nun sei es „unsere Pflicht, Widerstand zu leisten“.
Kubitschek nannte den Bau von Grenzzäunen „auf eigene Faust“, das
Blockieren von Grenzübergängen. Selten wurde die Pegida-Menge so
aufgeputscht. Und sie applaudierte.
## Die Radikalisierung ist gewollt
Kubitschek ist mit seinen Appellen nicht allein. „Es reicht nicht mehr aus,
wenn wir unsere Wut herausbrüllen“, schreibt auch Menzel, der
Burschenschaftler. „Spätestens in zehn Jahren müssen wir die Macht in
Deutschland übernommen haben.“ Und Jürgen Elsässer, ein Neuzugang im
neurechten Lager, rief Bundeswehrsoldaten auf, Merkel den Befehl zu
verweigern: „Besetzt die Grenzstationen, schließt alle möglichen Übergänge
vor allem von Süden! Wartet nicht auf Befehle von oben!“ Die
Radikalisierung, die die Politik in diesen Tagen Pegida vorwirft – sie ist
genau das Ziel von Kubitscheks Leuten.
Und die Bewegung hat schon ein neues Ziel. Mit einer Menschenkette soll in
einer Woche, am 8. November, der Grenzübergang im bayrischen Schirnding
blockiert werden. Ausgerechnet einen Tag vor dem 9. November, dem Datum des
deutschen Mauerfalls von 1989. Die Organisatoren sprechen von einem
„historischen Ereignis“, von einem Zeichen, „dass wir eine sichtbare Gren…
zurückhaben wollen“. Als Redner mit dabei: Kubitschek und Elsässer.
Elsässer, ein früherer Junge Welt-Autor und Linksaußen, driftete schon vor
Jahren nach rechts, getragen von seinem Anti-Amerikanismus. Der 58-Jährige
tritt schlichter auf als Kubitschek, vulgärer: Deutschland sei in
„tödlicher Gefahr“, durch „Kulturbereicherer mit Hormonstau“. Und Merk…
regiere, „als sei sie in der Wolfsschanze“.
## Mit dem „Widerstandsplan“ gegen das „Merkel-Regime“
Unlängst präsentierte Elsässer gar einen eigenen „Widerstandsplan“. „D…
Merkel-Regime muss fallen“, heißt es darin. „Der zivile Ungehorsam ist das
entscheidende Element.“ Als Flüchtlingsgegner bereits Anfang Oktober im
sächsischen Sebnitz die Grenze blockierten, oder jüngst im Chemnitzer
Stadtteil Einsiedel eine Asylunterkunft, nannte Elsässer dies
„vorbildlich“: Dort sei man „den Schritt gegangen vom Protest zum
Widerstand“.
Elsässers Worte finden inzwischen ein breiteres Publikum. Sein rechtes
Magazin Compact liegt nach eigenen Angaben bei einer Auflage von 55.000
Stück. Als Compact aufrief, Merkel wegen Hochverrats anzugehen, folgten 400
Anzeigen. Und zu einem Kongress des Magazins in Berlin kamen jüngst 1.000
Zuhörer.
Auch dort stand Kubitschek an Elsässers Seite. Beide lobten vor allem einen
Shootingstar aus ihrem Bund: Björn Höcke, AfD-Chef von Thüringen, ein
früherer Geschichtslehrer, 43 Jahre alt. Der stand erst am Mittwoch wieder
auf dem Domplatz in Erfurt, auf seiner inzwischen sechsten Kundgebung gegen
das „Asylchaos“ und warf vor mehr als 4.000 Zuhörern Angela Merkel
„politischen Amoklauf“ vor. „Wir müssen diese politischen Irrläufer
stoppen!“
## Die AfD-Kundgebungen, eine „Stadteroberungsstrategie“
Inzwischen folgen andere AfD-Verbände Höckes Vorbild und gehen in
Magdeburg, Dresden oder Rostock auf die Straße, am Samstag sollen Berlin,
Hamburg und Passau folgen. Kubitschek lobt die „Stadteroberungsstrategie“.
Diese mache den Anti-Asyl-Widerstand „spürbar, physisch, jenseits der
Eintrittsspielregeln der etablierten Politik“.
Noch im Frühjahr wollte Kubitschek selbst in die AfD eintreten. Die
Bundesspitze lehnte ab: Zu radikal schien der Mann, dessen Institut auch
NPD-Leute besucht haben sollen. Die Zeiten haben sich geändert, innerhalb
weniger Monate. Ende November lädt Kubitscheks Institut zu einem Kongress
über den „Ansturm auf Europa“, ein Gipfeltreffen der Anti-Asyl-Strategen.
Einer der Referenten: Björn Höcke.
Kubitschek und Höcke kennen sich seit Jahren. In seinen Reden warnt auch
der AfD-Mann vor einer „Auflösung Deutschlands“, wirft der Regierung
„Gesellschaftsexperimente“ vor und hofft auf eine „Erneuerungsbewegung“…
ist genau das Vokabular der „Neuen Rechten“.
## Pegida hat die Signale gehört
Und auch Höcke verschärft den Ton. Das „deutsche Volk“ müsse „endlich …
seinem Dämmerzustand erwachen“, rief er auf einer seiner Kundgebungen. Was
das heißt, haben seine geistigen Brüder bereits weitergedacht. „Wenn wir
alles richtig machen“, heißt es auf Kubitscheks Internetblog, sei „in der
näheren Zukunft ein deutscher Maidan- oder Tahrirplatz möglich“. Darauf
setzt auch Jürgen Elsässer: „Wenn 500.000 den Bundestag belagern, hat
Merkel fertig.“
Bei Pegida ist der Aufruf zur Tat angekommen. Am Montag trat dort als
letzter Redner Siegfried Däbritz auf, ein Pegida-Mann der ersten Stunde und
Vertrauter Bachmanns. Es gehe bald „um das nackte Überleben“, rief er. Nur
geschlossene Grenzen könnten jetzt noch helfen. Dann wandte sich Däbritz
direkt an seine Zuhörer: „Wer hilft beim Grenzbau mit?“ Die Menge reagierte
wie gewünscht. „Wir helfen mit, wir helfen mit“, schallte es.
30 Oct 2015
## AUTOREN
Konrad Litschko
Andreas Speit
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