# taz.de -- ARD-Chef über das Potenzial des Senders: „Wir können gutes Fern… | |
> Bald geht Lutz Marmors Amtszeit zu Ende. Am Montag stellt sich der | |
> ARD-Vorsitzende Fragen des Publikums. Ein Gespräch über Glaubwürdigkeit | |
> und Geld. | |
Bild: Normalerweise wechselt der ARD-Vorsitz alle zwei Jahre. Lutz Marmor war d… | |
taz.am wochenende: Herr Marmor, am Montag stellen Sie und WDR-Intendant Tom | |
Buhrow sich im „ARDcheck“ den Fragen der Zuschauerinnen und Zuschauer. | |
Haben Sie gar keine Angst, dass der Moderationsprofi Buhrow Sie an die Wand | |
spielt? | |
Lutz Marmor: Wir kennen uns gut und schätzen uns. Wir werden das | |
untereinander schon regeln. | |
Dass der ARD-Vorsitzende und dessen Stellvertreter mit dem Publikum über | |
das Programm reden, war vor zehn Jahren kaum denkbar. Wieso machen Sie das? | |
Ich glaube, es gibt heute ein stärkeres Bedürfnis nach Transparenz. Sowohl | |
die Zuschauer als auch wir selbst fordern das ein, deswegen habe ich das in | |
meiner Zeit als ARD-Vorsitzender vorangetrieben. Wir haben zum Beispiel den | |
ersten Produzentenbericht veröffentlicht, Zahlen und Fakten zur ARD ins | |
Internet gestellt, und zur „Tagesschau“ gibt es einen Blog für Debatten aus | |
der Redaktion. | |
Der „Tagesschau“-Blog bekam während der Russland-Ukraine-Krise große | |
Aufmerksamkeit. Für ihre Berichterstattung dazu wurde die ARD stark | |
kritisiert. Haben Sie einseitig antirussisch berichtet? | |
Es gab sicherlich ganz am Anfang Dinge, die wir heute anders sehen. Der | |
Begriff „einseitig“ suggeriert aber die Absicht, Fakten falsch | |
darzustellen. Die hatten und haben wir nicht. Natürlich sind wir abhängig | |
von unseren Quellen, die nun mal oft westlich sind. Aber es gab auch | |
Vorwürfe, die völlig haltlos waren, zum Beispiel, dass unsere | |
Korrespondentin Golineh Atai Fakten erfunden hätte. | |
Was sind denn die „Dinge“, die Sie heute anders berichten würden? | |
Auf dem Maidan gab es, als der Konflikt anfing, eine zu enge Betrachtung | |
der Vorkommnisse. Auch in der Politik. Aber insgesamt haben wir gut | |
berichtet, vor allem, wenn man sich die gesamte Bandbreite der Formate | |
anschaut, die die ARD anbietet. | |
Was ist mit den Bildern von einem Hubschrauberabsturz aus Syrien, den die | |
„Tagesschau“ als Bilder aus der Ukraine verkauft hat? Oder mit dem Bild von | |
einer russischen Panzerkolonne, die der WDR als aktuell betitelt hat, die | |
aber eigentlich aus dem Jahr 2008 stammen? | |
Noch mal: Es ist nicht unser Vorsatz, unsere Zuschauer zu täuschen. Aber | |
Fehler passieren, auch wenn wir unsere Teams, die zum Beispiel für die | |
„Tagesschau“ oder für Talkshows Informationen und Bilder aus sozialen | |
Netzwerken checken, mittlerweile verstärkt haben. Wichtig ist, dass wir | |
Fehler korrigieren und aus ihnen lernen. | |
Hat die ARD auch Schuld daran, dass das Vertrauen in die Medien sinkt? | |
Die Mehrheit der Leute vertraut unserer Berichterstattung. Umfragen zeigen | |
uns, dass rund 70 Prozent der Deutschen das Erste für glaubwürdig halten. | |
Diese Zahl ist seit Jahren konstant. | |
Bleiben 30 Prozent, die die ARD nicht für glaubwürdig halten. | |
Ja, und deren Bedenken müssen wir ernst nehmen. Aber die Vorstellung, die | |
Medien hätten sich verabredet, um eine bestimmte Weltsicht nach vorne zu | |
bringen, ist durch nichts gedeckt. Wir dürfen uns von solchen | |
Verschwörungstheorien nicht verrückt machen lassen. | |
Aber die ARD hat auch Vertrauen verspielt, zum Beispiel mit den | |
manipulierten Ergebnissen in Rankingshows. | |
Da wollen wir mal nicht alles über einen Kamm scheren. Auf meine Initiative | |
hin haben wir die Rankingshows überhaupt erst überprüfen lassen. Dass bei | |
dieser Überprüfung Unstimmigkeiten herauskamen, hat mich selbst überrascht | |
und war nicht gut. Aber wir hatten intensive Diskussionen, damit so etwas | |
nicht mehr vorkommt. | |
Die ARD will ab 2017 mehr Geld: 100 Millionen Euro pro Jahr aus den | |
Rundfunkbeiträgen und nochmal knapp 300 Millionen pro Jahr aus den Reserven | |
aus der Gebührenumstellung. Wofür? | |
Das setzt sich aus vielen Posten zusammen. Zum Einen brauchen wir das Geld | |
für Gehalts- und Honorarsteigerungen, als Inflationsausgleich und so | |
weiter. Auch für das Programm kalkulieren wir mehr ein. Für Produktionen | |
wie den „Tatort“ beispielsweise haben wir seit Jahren die gleichen Kosten | |
kalkuliert, künftig wäre es gut, wenn Preissteigerungen berücksichtigt | |
werden könnten. Dazu kommen aber auch technische Umstellungen, die Geld | |
kosten: Das terrestrische digitale Fernsehen wird auf den neuen Standard | |
umgestellt, das sogenannte DVB-T2, Radio wird auf DAB+ umgestellt, und wir | |
sind dabei, unsere Archive zu digitalisieren. | |
Das ZDF hat keinen Mehrbedarf angemeldet. Haushalten die besser? | |
Das ZDF hat ja auch kein Radio. Abgesehen davon hatte das ZDF in den | |
vergangenen Jahren immer höhere Steigerungsraten als die ARD. | |
Im kommenden Jahr soll das Jugendangebot von ARD und ZDF starten. Wieso | |
brauchen Sie das eigentlich, wieso versuchen Sie nicht, mehr junge Leute im | |
Hauptprogramm zu erreichen? | |
Im Hauptprogramm gibt es ja einiges für Junge: „Tatort“, Sport, „Eurovis… | |
Song Contest“. Aber mit dem großen Vollprogramm, das informationsorientiert | |
ist, können wir den spezifischen Interessen der 14- bis 29-Jährigen nicht | |
hinreichend nachkommen. | |
Aber Sie würden nicht auf die Idee kommen, ein extra Angebot für die 60- | |
bis 79-Jährigen zu machen. | |
Nein, die erreichen wir ja sowieso. Abgesehen davon, liegt der | |
Altersdurchschnitt in Deutschland auch über dem der jungen Zielgruppe. Ehe | |
wir also versuchen, Junge mit Inseln im Vollprogramm anzusprechen, bündeln | |
wir das Angebot lieber – und zwar im Netz. | |
Was genau können Sie mit dem Jugendangebot ausprobieren, was die Privaten | |
nicht schon machen? | |
Wir wollen uns mit unserem Informationsanspruch von den Privaten abheben. | |
So etwas wie „Berlin – Tag & Nacht“ [Reality-Soap bei RTL2; d. Red.] wird | |
es bei uns nicht geben. Dafür natürlich Musik, aber auch Beiträge, die zum | |
gesellschaftlichen Diskurs beitragen, aktuell zum Beispiel zum Thema | |
Flüchtlinge – alles mit öffentlich-rechtlicher Handschrift. Deswegen | |
verstehe ich nicht, warum die Privaten sich von dem neuen Angebot bedrängt | |
fühlen. | |
Mit dem Jugendangebot konkurrieren Sie viel direkter mit den | |
Streamingdiensten wie Netflix und Amazon. Können Sie da überhaupt bestehen? | |
Man muss es beobachten. Die Konkurrenz zu diesen Angeboten ist bei Jüngeren | |
sicherlich größer als beim älteren Publikum. Aber: Hier und heute spielen | |
Netflix und Co. noch eine deutlich untergeordnete Rolle. Ich zumindest | |
kenne keine Abozahlen von Netflix in Deutschland und schließe daraus, dass | |
sie noch nicht so weit sind, wie sie gern wären. | |
Warum läuft „Deutschland 83“ bei RTL und nicht bei Ihnen? | |
Gute Ideen können überall laufen. Und wenn das funktioniert, wäre das ja | |
für alle gut: für die Produktionsfirmen, für die Sender, für die | |
Serienkultur. Und wir haben ja auch unsere Formate: beispielsweise | |
„Weissensee“, demnächst läuft „Die Stadt und die Macht“, wir machen m… | |
„Babylon Berlin“ und haben das große Projekt „Charité“. Wir versuchen… | |
also auch einiges, dürfen dabei aber die Tradition der großartigen | |
90-Minuten-Fernsehfilme nicht vergessen. Die unterschätzen wir manchmal | |
selbst. Wir können gutes Fernsehen. | |
Warum brauchen Sie für „Babylon Berlin“ die Hilfe von Sky? | |
Weil es eine sehr teure Serie ist. Das ist eine richtige Kraftanstrengung | |
auf internationalem Niveau. Das wollten wir nicht alleine stemmen. Und | |
außerdem ist es ein Experiment: Warum sollen sich Pay-TV und Free-TV nicht | |
ergänzen? Sky bringt ja zum Beispiel zusätzliche Vermarktungspower ein. | |
Welche Serien gucken Sie denn eigentlich? | |
„Borgen“ fand ich gut. Früher habe ich „Boston Legal“ geguckt. Und von | |
„Weissensee“ werde ich mir demnächst auch die letzte Staffel noch | |
anschauen. Ansonsten guck ich morgens manchmal „Rote Rosen“ im NDR. | |
„Rote Rosen“? Haben Sie kein Netflix-Abo? | |
Nein. Ich hab wenig Zeit, komme meistens erst spät nach Hause, schaue so | |
viele Dinge aus dem eigenen Sender. Aber ich hab auch kein Sky-Abo. Zu | |
Hause sehe ich über digitales Kabel fern, und wenn ich die Sendervielfalt | |
betrachte und dann höre, dass jemand dort abends nichts findet, bin ich | |
verblüfft. | |
Wie realistisch ist das Szenario, dass es 2018, 2020, 2022 und 2024 keine | |
Olympischen Spiele bei ARD und ZDF zu sehen gibt? | |
Ganz ehrlich: Das weiß ich nicht. Wir werden Ende dieses Monats mit | |
Gesprächen mit den Rechteinhabern [dem US-Unternehmen Discovery, d. Red.] | |
beginnen. Die Zuschauer wollen das gern bei uns sehen. Es gibt Hoffnungen. | |
Aber es wäre unseriös , so zu tun, als sei das jetzt schon klar. Das ist es | |
nicht. | |
Wie überfahren waren Sie denn, als Sie hörten, dass Discovery die | |
Olympia-Rechte für diesen langen Zeitraum für fast ganz Europa eingekauft | |
hat? | |
Da war ich sehr überrascht. Es gab für mich dafür keine Vorzeichen. Wir | |
hatten immerhin eine langjährige erfolgreiche Partnerschaft mit dem | |
Internationalen Olympischen Komitee. Nicht nur während der Spiele, sondern | |
auch in den Jahren dazwischen haben wir ja viele olympische Sportarten | |
gezeigt. | |
Genau diese Übertragungen olympischer Sportarten auch abseits der großen | |
Spiele sind nun Ihr größtes Druckmittel: Die kleinen Verbände dürften | |
zittern, dass Sie, sollten Sie die Spiele nicht bekommen, auch das | |
Engagement bei den Randsportarten zurückfahren. | |
Ich möchte die Rechte nicht über Erpressung bekommen. Wir haben ja auch ein | |
Eigeninteresse an den Sportarten: Viele Wintersportarten funktionieren sehr | |
gut bei uns im Programm. Aber es gibt auch welche, die wir nicht unter | |
Quotengesichtspunkten übertragen. Die werden wir prüfen. Doch auch wenn wir | |
uns über die Entscheidung des IOC geärgert haben, müssen wir das nüchtern | |
betrachten. Wir wollen ein vernünftiges Rechtepaket erwerben. Dafür sind | |
wir bereit vergleichbare Preise wie bisher zu zahlen. Aber nicht mehr. | |
Am 31. Dezember endet Ihre Zeit als ARD-Vorsitzender. War ’s schön? | |
Ich fand das toll und hab das gern gemacht. Es war und ist auch eine Ehre. | |
Die ARD ist vielfältig, sie ist manchmal anstrengend, aber sie ist besser | |
als ihr Ruf in manchen Kreisen. | |
Und wie schwer wird es Ihnen fallen, ab 1. Januar 2016 nicht mehr der Chef | |
zu sein? | |
Ich bin ja weiterhin Chef des NDR. Das ist genug Chef. Im Augenblick freue | |
ich mich aber auch darauf, bald wieder etwas mehr Zeit zu haben. Manchmal | |
kommt im Moment sogar das eigene Fernsehen zu kurz. | |
19 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Jürn Kruse | |
Anne Fromm | |
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