| # taz.de -- Neue Chefin des ARD-Hauptstadtstudios: „Wir müssen uns entschleu… | |
| > Tina Hassel leitet jetzt das Hauptstadtstudio der ARD – als erste Frau. | |
| > Ein Gespräch über ihre Pläne, ihre Arbeit als US-Korrespondentin und über | |
| > House of Cards. | |
| Bild: „Was wollen Sie als Frau anders machen?“: Angela Merkel im erstmals v… | |
| taz: Sie sind in einer aufregenden Zeit gekommen: Griechenland, | |
| Flüchtlingskrise, Betreuungsgeld. Hatten Sie sich Ihre Einarbeitung ruhiger | |
| vorgestellt? | |
| Tina Hassel: Es war absehbar, dass der Sommer spannend wird. Viele Themen, | |
| die gerade aktuell sind, habe ich in den vergangenen Monaten auch in den | |
| USA behandelt. Ich bin sehr glücklich, jetzt hier zu sein. Ich habe den | |
| tollsten Job im Ausland für den spannendsten im Inland getauscht – | |
| zumindest für einen Politjunkie. | |
| Also haben Sie nicht das Gefühl, von der großen Politik in den USA jetzt in | |
| die kleine gekommen zu sein? | |
| Ganz im Gegenteil. Die großen, dramatischen Themen spielen zurzeit alle in | |
| Europa oder sie sind transatlantisch: Ukraine, die Schuldenproblematik, | |
| NSA. Ich habe eher das Gefühl, ich komme da hin, wo es gerade spannend ist. | |
| Welchen Stellenwert hatten Sie als deutsche Journalistin in den USA? | |
| Ausländische Medien stehen dort nicht an erster Stelle. Die Amerikaner sind | |
| absolut pragmatisch und fragen vor jedem Interview: Was bringt mir das? Da | |
| musste ich als deutsche Journalistin bei vielen Themen zugeben: Erst einmal | |
| nicht so viel. Da galt es, eher die Kontakte zur zweiten Politikerreihe zu | |
| pflegen. Andererseits: Im Vergleich zu vielen anderen ausländischen Medien | |
| waren wir als Deutsche, gerade von den öffentlich-rechtlichen Medien, sehr | |
| privilegiert – genau wie die BBC. | |
| Wie unterscheidet sich Politikjournalismus in den USA von dem in | |
| Deutschland? | |
| Der gesamte Politikzirkus unterscheidet sich ganz grundlegend. Politik in | |
| den USA ist immer Entertainment. Kandidaten stellen ihr Privatleben und das | |
| ihrer Kontrahenten auf eine Art aus, die auf uns Europäer oft befremdlich | |
| wirkt. Andererseits spielen Charisma dort eine größere Rolle und der | |
| direkte Kontakt zwischen Politikern und Bürgern. Und genau das beeinflusst | |
| auch die Berichterstattung: Sie setzt mehr auf Unterhaltung, weniger auf | |
| Inhalt. | |
| Klingt nach „House of Cards“ … | |
| Absolut. Ich bin Fan der Serie. Natürlich ist das Fiktion, aber mit sehr | |
| viel Wahrheitsgehalt hinsichtlich US-Politik und -Journalismus. | |
| Strippenziehen, inoffizielle Informationskanäle, Machtspiele – da lässt | |
| sich einiges ins reale Leben übertragen. Problematisch an der | |
| Berichterstattung ist aber auch die Struktur der Sender: 70 Prozent des | |
| Kabelmarktes werden von sechs Unternehmen dominiert. Da bleibt nicht viel | |
| übrig von unabhängigem Journalismus. Menschen, die ausschließlich Fox News | |
| oder MSNBC schauen, leben auf verschiedenen Planeten. | |
| Was nehmen Sie aus den USA mit nach Berlin? | |
| Ich nehme mit, wie wichtig Social Media ist. In den USA hat jeder | |
| Journalist und Politiker einen Twitteraccount. Wichtige politische | |
| Entscheidungen werden zuerst dort veröffentlicht, auch von Präsident Obama. | |
| Deswegen arbeiten wir daran, unseren Social-Media-Auftritt zu verbessern. | |
| Zweitens geht es mir darum, wie wir Politikberichterstattung entschleunigen | |
| können. Entschleunigung, dafür mehr Hintergrund, ist ganz wichtig, wenn man | |
| Menschen wieder interessieren will. | |
| Wie kann man Menschen noch für Politik interessieren? | |
| Viele haben das Gefühl, Politik ist ein Raumschiff, das mit ihrem Leben | |
| nichts mehr zu tun hat. Die Sprache, mit der sie behandelt, und die Orte, | |
| an denen sie verhandelt wird, haben kaum Berührungspunkte mit dem Alltag | |
| vieler Leute. Deswegen möchte ich wieder mehr raus ins Leben, auch mal mit | |
| einer ganzen Sendung. Es ist wichtig, zu zeigen, wo die Politik, die in | |
| Berlin gemacht wird, Wirkung zeigt – oder ohnmächtig verpufft. | |
| Mit dem gesunkenen Interesse geht auch gesunkenes Vertrauen einher – | |
| Stichwort „Lügenpresse“. Wie viel haben Sie davon in den USA mitbekommen? | |
| Viel, weil diese Diskussion in den USA auch schnell und reflexartig | |
| geführt wird. Durch die starke Polarisierung in zwei Lager mit jeweils | |
| eigenem Weltbild ist die Bereitschaft extrem gesunken, miteinander zu | |
| diskutieren. Das ist besonders dann zu merken, wenn man in sehr | |
| konservativen oder Tea-Party-nahen Kreisen unterwegs ist. Dort heißt es | |
| oft: „You’re the liberal press – mit euch reden wir nicht, ihr verdreht ja | |
| alles.“ Das ist nicht nur ein Medienproblem, das ist ein Demokratieproblem. | |
| Hat die ARD da auch Fehler gemacht? | |
| Bei uns ist Glaubwürdigkeit ein ganz hohes Gut. Das sehen wir auch immer | |
| wieder in Umfragen. Wenn wir selbstkritisch sein wollten, sollten wir öfter | |
| mal die Geschwindigkeit rausnehmen und Informationen erst dann | |
| veröffentlichen, wenn sie hundertprozentig gesichert sind. Aber das ist | |
| längst erkannt. In Sachen Glaubwürdigkeit können wir daher sehr | |
| selbstbewusst sein. | |
| Sie sind die erste Frau an der Spitze des Hauptstadtstudios. Nervt Sie, | |
| dass das immer noch Thema ist? | |
| Es ist ja richtig, dass es thematisiert wird. Andererseits, wenn Sie mich | |
| fragen: „Was wollen Sie als Frau anders machen?“, muss ich sagen, dass mich | |
| das nicht wirklich interessiert. Ich halte es da mit Hillary Clinton, der | |
| ja auch ständig gesagt wird: „Sie könnten die erste Präsidentin sein.“ | |
| Darauf sie: „Ich will eine gute Präsidentin sein.“ So geht es mir in meiner | |
| Position auch. | |
| 30 Jul 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Anne Fromm | |
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| Barack Obama | |
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