# taz.de -- Flugzeugabsturz und Medien: Das Gebrüll der Affen | |
> Der mediale Rummel um Flug 4U 9525 sorgt für Empörung. Doch ein Unglück | |
> dieser Größenordnung ist eine Wunde, die kollektiv behandelt werden muss. | |
Bild: Und wenn der Panther kommt? Dann brüllen wir. | |
Fällt in China ein Sack Reis um, interessiert das den Menschen wenig. | |
Anders verhält es sich, wenn dieser Sack Reis in der eigenen Küche umkippt. | |
Nähe ist ein wichtiges journalistisches Kriterium. Wem das nicht behagt, | |
der darf sich gerne mit neuseeländischer Kommunalpolitik beschäftigen. | |
Trotzdem wird derzeit in sozialen Netzwerken guten Gewissens darüber | |
geklagt, wie deutsche Medien mit der Katastrophe von Flug 4U 9525 umgehen. | |
Warum eine ARD-Sondersendung zu diesem Thema unbedingt „Brennpunkt“ heißen | |
muss. Warum bei „Maischberger“ die Gäste wilde Vermutungen ventilieren. | |
Geduldig erklärte die taz ihren begriffsstutzigeren LeserInnen auf Seite 1, | |
dass ihre Berichterstattung zu dem Unglück „weder mit überbordendem | |
Nationalismus noch mit internationaler Ignoranz zu tun habe“. | |
In Anlehnung an Sigmund Freud („Der Verlust der Scham ist das erste Zeichen | |
von Schwachsinn“) kommentierte am Mittwoch der ehemalige | |
Titanic-Chefredakteur Leo Fischer: „Der Verlust der Scham ist der Anfang | |
allen Journalismus.“ | |
So ist es, und das hat seinen Grund. Ganze Gesellschaften werden über | |
Erregungen reguliert, verabreicht in Nachrichtenform. Journalismus ist | |
meistenteils eben alles andere als ein Werkzeug zur Weltdeutung. Sondern | |
ein permanent erneuertes Angebot, sich über Fußballergebnisse oder | |
allgemeine Wetterlagen zu erregen. Und je größer die Erregung, desto | |
geringer die Scham. | |
## Schamlos glotzend am Fenster | |
Derzeit kursiert im Internet eine Liste mit „10 Dingen, die wir nach einer | |
Flugzeugkatastrophe nicht sehen/hören/lesen wollen“, darunter „Berichte von | |
der Unfallstelle“ oder „Wilde Ursachenforschung“. Klar wäre es fein, wenn | |
der Mensch nicht der affektgesteuerte Affe wäre, der er nun einmal ist. | |
Weshalb es ihm vielleicht noch möglich ist, das erste auf der Straße | |
vorbeirasende Feuerwehrauto vornehm zu ignorieren. Folgt aber ein ganzer | |
Konvoi, steht er bald ebenso erregt und schamlos glotzend am Fenster wie | |
die Nachbarn. Und deshalb verschlingen die meisten auch genau die „10 | |
Dinge“, die „wir“ alle angeblich „nicht sehen/hören/lesen“ wollen. | |
Was aber wäre denn die Alternative? Eine Kerze anzünden? Einen | |
„R.I.P.“-Tweet absetzen? Ein Unglück dieser Größenordnung ist immer eine | |
Wunde, die kollektiv behandelt und geschlossen werden will. Der Einbruch | |
einer katastrophalen Faktizität in eine Illusion des Wohlgeregelten, die | |
wir tatsächlich alle teilen und nur alle zusammen heilen können. | |
Dazu gehören Rituale wie die Beförderung von Banalitäten wie „Bestürzung�… | |
und „Betroffenheit“ zur staatstragenden „Trauer“ – als könnte ein Pu… | |
auch nur annähernd „nachfühlen“, womit es die Angehörigen der Opfer zu t… | |
haben. | |
## Der schwarze Panther kommt | |
Dazu gehört auch das, was jetzt als „wilde Ursachenforschung“ denunziert | |
wird. Es ist nicht ausgeschlossen, dass vor allem die Hinterbliebenen | |
vermutlich ganz gerne Gewissheit darüber hätten, warum passiert ist, was | |
nicht hätte passieren dürfen. Das ist Sinn und Zweck auch der spekulativen | |
Ursachenforschung durch Luftfahrtexperten. Und darum juckt das spurlose | |
Verschwinden von MH370 über dem Indischen Ozean so sehr, es verweigert bis | |
heute seine Ursache. | |
Die schmutzige Schwester der Ursachenforschung wäre demnach die | |
Wirkungsforschung. Auch dafür gibt es Experten, und die dürfen nicht | |
verschämt sein beim Schütteln der Witwen. Wie fühlt sich das an, eine | |
Schwester zu verlieren? Wie sieht das aus, wenn ein Airbus sich in Konfetti | |
verwandelt? | |
Es könnte sein, dass selbst die niedrigste Form der Berichterstattung im | |
Grunde dem gleichen Zweck dient wie die gewissensrein getwitterte Empörung | |
darüber. Es könnte sein, dass alle Stimmen zusammen nur ein Geheul sind im | |
medialen Innenraum unserer Gesellschaft. Es klingt nicht anders als das | |
erregte Gebrüll von Affen, die merken, dass der schwarze Panther wieder | |
einen der Ihren geholt hat. | |
25 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Arno Frank | |
## TAGS | |
Soziale Netzwerke | |
Medien | |
Flugzeugabsturz | |
Flug 4U-9525 | |
Petition | |
ARD | |
Flug MH370 | |
Amoklauf | |
Flugzeugabsturz | |
Germanwings | |
Germanwings | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Petition der Woche: Offene Fragen an Flug 4U9525 | |
Mehr als zwei Jahre nach dem Absturz des Germanwings-Flugzeugs kämpft Frank | |
Noack weiter für die Aufklärung der Hintergründe. | |
ARD-Chef über das Potenzial des Senders: „Wir können gutes Fernsehen“ | |
Bald geht Lutz Marmors Amtszeit zu Ende. Am Montag stellt sich der | |
ARD-Vorsitzende Fragen des Publikums. Ein Gespräch über Glaubwürdigkeit und | |
Geld. | |
Verschollener Flug MH370: Erstes Wrackteil identifiziert | |
Die Hoffnung, die verschollene Maschine zu finden, hat neue Nahrung | |
erhalten. Auf der Insel La Réunion wird fieberhaft nach neuen Teilen | |
gesucht. | |
Journalistische Ethik und Katastrophen: Es ist furchtbar | |
Der Umgang mit dem Germanwings-Crash ist eine journalistische | |
Herausforderung. An ihr zeigt sich, wie weit der Boulevard zu gehen bereit | |
ist. | |
Fluggesellschaft Germanwings: Katastrophe in harter Zeit | |
Mit ihrer Tochter Germanwings will Lufthansa Billigfliegern Konkurrenz | |
machen. Die Piloten verdienen dort bis zu 20 Prozent weniger. | |
Flugzeugunglück in Frankreich: Bergung wieder aufgenommen | |
Einen Tag nach dem schweren Flugzeugunglück in den französischen Alpen | |
läuft die Bergung der Opfer wieder an. Die Absturzursache ist weiterhin | |
unklar. | |
Kommentar Flugzeugabsturz: Warum uns dieses Unglück nahegeht | |
Ist es nationalistisch, Betroffenheit nach dem Absturz eines deutschen Jets | |
zu zeigen? Nicht unbedingt, es zeigt erst einmal nur: Wir fühlen lokal. |