# taz.de -- Kommentar Flüchtlinge im Westbalkan: Werte verteidigen statt Grenz… | |
> Kroatien und Slowenien versuchen ihr Bestes, um Flüchtlinge kontrolliert | |
> aufzunehmen. Das kann nur mit Hilfe der EU gelingen. | |
Bild: Sie menschenwürdig aufzunehmen ist die Pflicht ganz Europas und nicht nu… | |
24 Stunden brauchte Kroatiens Premier Milanovic, um seine Haltung gegenüber | |
den Flüchtlingen, die sich von der ungarisch-serbischen Grenze auf den Weg | |
in sein Land machen, um 180 Grad zu drehen. Aus christlicher Verantwortung | |
und humanitärer Aufnahmebereitschaft am Mittwoch wurde am Donnerstag die | |
Mitteilung, dass Kroatien erwägt, seine Grenze zu Serbien komplett zu | |
schließen. Bereits die ersten paar Tausend Flüchtlinge würden das Land | |
überfordern, nur noch ein Grenzübergang ist am Freitagmorgen geöffnet. | |
Gleichzeitig kündigt die kroatische Regierung an, die Flüchtlinge weiter | |
„nach Europa“ reisen zu lassen. Dass heißt, dass als nächstes Slowenien m… | |
Tausenden, wenn nicht Zehntausenden Menschen an seiner Grenze konfrontiert | |
ist. | |
Auch in diesem ersten Schengenstaat auf der Westbalkanroute werden die | |
Stimmen laut, die harte Grenzkontrollen fordern. An der Grenze zu Ungarn | |
sind die Kontrollen bereits eingeführt. Der Zugverkehr zwischen Slowenien | |
und Kroatien ist eingestellt. | |
Dabei wollten die beiden Länder doch alles richtig machen. Eng miteinander | |
abgestimmt sollten die Flüchtlinge empfangen werden, wie es einem | |
Mitgliedsstaat der EU würdig ist: rechtskonform, vor allem aber human. | |
Slowenien und Kroatien wollten sich von Ungarn abheben. Sie wollten Europa | |
zeigen, dass sie zum zivilisierten und demokratischen Teil des Kontinents | |
gehören. | |
## Disziplinierung durch Österreich | |
Was es ihnen in den nächsten Tagen jedoch nahezu unmöglich machen wird, | |
dieses Bild aufrechtzuerhalten, sind nicht die Flüchtlinge die an ihren | |
Grenzen stehen. Denn schwerwiegender als deren Ankunft im kroatischen | |
Tovarnik und bald dem slowenischen Lendava war am Donnerstag der Besuch des | |
österreichischen Bundeskanzlers Werner Faymann bei seinen Amtskollegen | |
Milanovic in Zagreb und Cerar in Ljubljana. | |
Die unterkühlten Pressekonferenzen nach den Treffen der Regierungschefs, | |
bei denen außer den vorbereiteten Statements keine weiteren Äußerungen | |
getätigt wurden, machten deutlich, dass dort keine Goodwill-Besuche | |
stattgefunden hatten. Faymann war zu den südlichen Nachbarn geflogen, um | |
sie zu disziplinieren. | |
Dabei ist die paradoxe Pflicht, gleichzeitig die durch Schengen garantierte | |
Freizügigkeit und die Dublin-Regeln umsetzen zu müssen, längst aufgekündigt | |
worden: von Ungarn und nicht zuletzt von Österreich. Auf der einen Seite | |
ist da Ungarn, das bei Röszke entlang eines Stacheldrahtzaunes jedes Ideal | |
des offenen Europa niederknüppelt. Auf der anderen Seite liegt Österreich, | |
das mit seiner von Deutschland gebilligten Durchleitung Zehntausender | |
Flüchtlinge Dublin de facto ausgehebelt hat. | |
Weder die einen noch die anderen werden von der EU dafür gemaßregelt. Das | |
brutale Grenzregime Ungarns wird vom UN-Generalsekretär Ban Ki Moon | |
angeprangert, aber ernsthafte Sanktionen braucht Viktor Orbán, dessen | |
Fidesz wie die deutsche CDU/CSU Mitglied der EVP im Europäischen Parlament | |
ist, anscheinend nicht zu fürchten. | |
## Von Europa verlassen | |
Die Botschaft an Slowenien und Kroatien könnte eindeutiger nicht sein: Die | |
Verteidigung der europäischen Grenzen vor Kriegs- und Armutsflüchtlingen | |
hat höhere Priorität als die Verteidigung zumindest vorgeblich europäischer | |
Werte wie Demokratie, Freizügigkeit und Humanität. Wer sich naiverweise auf | |
letzteres beruft, ist offenbar von Europa verlassen. | |
Von Kroatien und Slowenien kann natürlich erwartet werden, dass sie selbst | |
einer noch deutlich höheren Zahl von Flüchtlingen gewachsen sind, als jetzt | |
vor ihrer Tür stehen. Anfang der 1990er nahm Slowenien mit seinen rund zwei | |
Millionen Einwohnern mindestens 45.000 Kriegsflüchtlinge aus Bosnien auf, | |
Kroatien bot Hunderttausenden Schutz. | |
Was jedoch nicht von diesen beiden, im europäischen Vergleich kleinen | |
Ländern erwartet werden kann, ist, dass sie das politische Versagen der | |
Europäischen Union ausbaden. Was Kroatien und Slowenien jetzt brauchen, ist | |
ein klares Signal aus Europa, dass sie nicht alleine gelassen werden, dass | |
sie mehr sind, als Pufferstaaten an der südöstlichen Peripherie – ein | |
Signal, dass sie sehr viel mehr Europa sind, als das von Stacheldraht | |
umzäunte Ungarn Viktor Orbáns. | |
18 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Daniél Kretschmar | |
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