| # taz.de -- Das Phänomen Viktor Orbán: Fleischgewordenes Abendland | |
| > Der ungarische Premier findet seit über 20 Jahren immer markige Worte – | |
| > populistisch, im Kern völkisch und zutiefst antidemokratisch. | |
| Bild: Der Verfechter des „illiberalen Staates“: Ungarns Premier Viktor Orb�… | |
| Der ungarische Premier Viktor Orbán hat am Mittwoch seinen großen Auftritt | |
| als Gastredner bei der Klausurtagung der bayerischen CSU im oberfränkischen | |
| Kloster Banz. Viele Politiker der großen Koalition in Berlin empfinden die | |
| Einladung Orbáns als politische Provokation. | |
| Jedoch, Horst Seehofer, der bayerische Amtskollege des ungarischen | |
| Ministerpräsidenten, hat keine Berührungsängste. Er weigert sich | |
| ostentativ, das vielsagende Schweigen Angela Merkels zu diesem Vorgang als | |
| Ablehnung einzustufen. | |
| Durch die Anwesenheit Orbáns hofft Seehofer, seine eigenen Vorstellungen | |
| zur Flüchtlingspolitik zu legitimieren und ihnen eine besondere | |
| Anerkennungsaura zu verschaffen. Es mag ja sein, dass Viktor Orbán ein | |
| Garant für Applause an Stammtischen oder in den Reihen pegidageschwängerter | |
| Abendlandsverteidiger ist; in den Augen der demokratisch gesinnten | |
| Zivilgesellschaft ist und bleibt er der Vertreter eine fremdenfeindlichen | |
| Abschottungspolitik, der Bauherr eines Stacheldrahtzauns, der die | |
| europäischen Werte mit Wasserwerfern und Tränengas außer Kraft setzte. | |
| Das war nicht immer so. Im Sommer 1989 erregte Viktor Orbán zum ersten Mal | |
| internationale Aufmerksamkeit und erwarb sich den Status einer Ikone des | |
| osteuropäischen Widerstands gegen das bürokratisch verkrustete | |
| kommunistische System. Als führendes Mitglied des 1988 gegründeten Bundes | |
| junger Demokraten, bekannt unter der Abkürzung Fidesz, hielt Orbán | |
| anlässlich der Umbettungszeremonie von Imre Nagy, jenes Premiers, der nach | |
| der ungarischen Revolution zum Tode verurteilt worden war, eine historische | |
| Rede, die sich auf die Tätigkeit der damaligen Opposition richtungsweisend | |
| wirkte. | |
| ## Leichte Manövriermasse | |
| Der durch die Wende von 1989 eingeleitete, radikale wirtschaftliche und | |
| politische Umbruch produzierte in Ungarn und den anderen osteuropäischen | |
| Ländern nicht nur Freude. Er verursachte auch soziale Frustrationen, | |
| insbesondere in den Reihen jener Bevölkerungsschichten, die ihre | |
| Arbeitsplätze verloren hatten und als benachteiligte des gesellschaftlichen | |
| Umbaus sich leicht in eine Manövriermasse national-populistischer Politiker | |
| und Parteien verwandeln ließen. | |
| Fidesz zündelte bereits in dieser frühen Umbruchsphase mit | |
| nationalistischen Sprüchen. Orbán, als dynamischer, charismatischer und | |
| erfolgversprechender Nachwuchspolitiker bereiste in den 1990-er Jahren die | |
| rumänische Provinz Siebenbürgen und knüpfte enge Kontakte zu Vertretern der | |
| dort lebenden ungarischen Minderheit. | |
| In seinen Ansprachen, die in westlichen Medien eher als harmlose | |
| populistische Stilübungen eingestuft wurden, verkündete Orbán regelmäßig | |
| seine Ansichten bezüglich einer einheitlichen ungarischen Nation. Durch die | |
| territoriale Zerstückelung Groß-Ungarns nach dem Friedensvertrag von | |
| Trianon 1920 verblieben zahlreiche Ungarn auf den Gebieten, die nun zu | |
| Rumänien, der Ukraine, Jugoslawien (Serbien) und der Slowakei gehörten. | |
| ## Nationalismus als politisches Kapital | |
| Die Beschwörung der „Schmach von Trianon” ist heute zum festen Bestandteil | |
| der ungarischen Politik geworden und dient regelmäßig zur Anstachelung | |
| nationalistischer Instinkte im Lande selbst und in den Reihen der | |
| ungarischen Minderheiten in den Nachbarstaaten. Die sichtbaren Folgen | |
| dieser revisionistischen Politik sind zunehmenden Forderungen der | |
| Auslandsungarn nach kultureller Autonomie, was in den jeweiligen | |
| Nachbarstaaten als verdeckte Abspaltungsversuche verurteilt wird. | |
| Aus diesem nationalistisch aufgeheizten Kontext versucht die Mannschaft | |
| Orbáns, die erstmals zwischen 1998 und 2002 und dann erneut seit 2010 das | |
| Land regiert, politisches Kapital zu schlagen. Der Rekurs auf die | |
| Geschichte sowie die symbolträchtige Rehabilitierung kompromittierter | |
| ultrarechter Politiker gehört zum festen Bestandteil der | |
| Weltaunschauungskonzepte von Fidesz. | |
| ## Völkische Blutsgemeinschaft | |
| In der von Orbán verzerrten Lesart der nationalen Geschichte dominiert die | |
| fixe Idee, Ungarn habe die Aufgabe, das christliche Abendland vor einem | |
| expandierenden Islam zu schützen. Den gleichen Anspruch erheben auch | |
| Konkurrenzparteien wie Jobbik und dessen paramilitärisch organisierten | |
| Satelliten, die sich die Bekämpfung der sogenannten „Zigeunerkriminalität” | |
| auf die Fahnen geschrieben haben. In diesem Wettbewerb um die Wählergunst, | |
| in dem Orbán die alten liberalen Ansätze der Fidesz längst vergessen hat, | |
| verschärfte er seine Rhetorik, mit der er auf „Fremdherzige” zielt und, wie | |
| 2012, in einer völkisch angehauchten Rede die Blutsgemeinschaft der Ungarn | |
| beschwört. | |
| Zwei Jahre später geht der Budapester Autokrat, noch einen Schritt weiter | |
| und erklärt seine Vorstellungen vom „illiberalen Staat”. Der Regierungschef | |
| eines Landes, das seit 1999 Mitglied der NATO ist und seit 2004 der EU | |
| angehört, verkündete in seiner euroskeptischen Grundsatzrede, in Ungarn | |
| eine „arbeitsbasierte Gesellschaft” errichten zu wollen. | |
| Die von „Westeuropa akzeptierten Dogmen und Ideologien” werden darin keine | |
| Geltung mehr haben und somit auch nicht mehr den auf ethnischen Grundlagen | |
| basierenden Nationalstaat in Frage stellen.Es ist also anzunehmen, dass | |
| sich Orbán auch bei der CSU in Banz zur Flüchtlingsfrage in der gewohnten | |
| schrillen Tonart äußert. | |
| 22 Sep 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| William Totok | |
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