# taz.de -- Die Wahrheit: Ulf Poschardt und der Refugee Chic | |
> Dass Redakteure bei Springer auf einmal ihr Herz für Flüchtlinge | |
> entdecken, kann verstören. Dabei sitzen dort immer noch genug Gestörte. | |
Bild: Ist die Paranoia zurück? Sieht so aus: Ulf Poschardt. | |
Das waren verstörende Bilder: Spalierstehende applaudierende Jubeldeutsche | |
und aus dem Zug steigende verwirrte Flüchtlinge, die gar nicht verstehen, | |
was das alles soll, weil es ja nicht um sie geht. Thema dieser | |
Veranstaltungen war ganz klar: „Wir Deutschen sind nicht böse. Wir sind | |
sogar ganz dolle lieb.“ | |
Noch verstörender ist, dass das Sarrazin-Vorabdruck-Medium Bild auf einmal | |
sein Herz für Flüchtlinge entdeckt hat und die Aktion „Wir helfen“ starte… | |
Parallel dazu postet aber der Springer-Popintellektuellen-Darsteller Ulf | |
Poschardt auf seiner Facebookseite den Artikel eines Kollegen, in dem | |
dieser kritisiert, dass der Staat „übergriffig“ werde und das „Recht auf | |
Eigentum außer Kraft“ setze, weil in Hamburg und Berlin leerstehende | |
Gewerbeimmobilien und Mietwohnungen für Flüchtlinge „beschlagnahmt“ würd… | |
In NRW habe eine Kommune sogar einer Mieterin wegen Eigenbedarfs gekündigt, | |
um Asylbewerber in der Wohnung unterzubringen. | |
Aber der Artikel nennt weder Zahlen noch nähere Umstände und erwähnt auch | |
nicht, dass für die Immobilien Mietzahlungen geleistet werden. Zu allem | |
Überfluss kommentiert Poschardt den Artikel auch noch mit: „jetzt geht’s | |
los“. Man fragt sich, was meint er? Was geht los? Ist die Paranoia zurück? | |
Muss Poschardt medikamentös neu eingestellt werden? Droht mal wieder der | |
Sozialismus? Selbst wenn man das begrüßte, bliebe es zurzeit vollkommen | |
realitätsfern. | |
Weil man aber als Neoliberaler von Welt auch nicht ganz arschig dastehen | |
möchte, postet Poschardt am selben Tag: „morgen unbedingt DIE WELT kaufen | |
[…] JUERGEN TELLER hat exklusiv für uns die flüchtlingshilfe in moabit | |
besucht. wunderschöne fotos sind dabei entstanden.“ Solange man einen | |
exhippen Modefotografen zu den Flüchtlingen schicken kann, um | |
„wunderschöne“ Fotos zu machen, ist diese ganze Flieherei ja doch noch zu | |
was gut. Vielleicht wird sogar ein neuer Look kreiert: der „Refugee Chic“. | |
Um Missverständnissen vorzubeugen: Jubelnde Kuscheldeutsche und stylishe | |
Fotos von Flüchtlingen sind mir tausendmal lieber als die gewaltbereiten, | |
pöbelnden Gehirnfunktionskritiker, die vor den Asylbewerberheimen | |
herumstehen, weil es ihnen vor der Trinkhalle dann doch irgendwann | |
langweilig wurde. Oder jene, die – weil sie zu feige sind, traumatisierten | |
Kindern live Angst zu machen – das Internet vollschreiben mit Kommentaren, | |
die formal und inhaltlich nur einen Schluss zulassen: dass unser | |
Schulsystem dringend reformiert werden müsste. Selbstverständlich ist es | |
mir auch lieber, wenn Bild hilft statt hetzt. Selbst wenn das nur eine | |
verwirrte Zwischenphase sein dürfte. | |
Ich frage mich nur, was die Deutschen tun, wenn ihnen klar wird, dass es | |
hier um viel mehr geht. Dass man, will man wirklich helfen, grundsätzlich | |
etwas ändern muss. Ein schöner Nebeneffekt wäre, dass Poschardt dann seine | |
Pillen absetzen könnte. Weil sein Wahn und die Realität dann wieder | |
kongruent wären. Momentan sieht es leider nicht danach aus. | |
30 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Hartmut El Kurdi | |
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