Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Jede Schnecke Schwedenschnecke
> Obwohl die ausländerfeindlichen Schwedendemokraten in Umfragen zulegen,
> zeigt sich manch Wikinger multikulti-kompetent.
Bild: Rechtsextreme demonstrieren 2011 gegen den Bau einer Moschee in Göteborg
Könnte mir mal jemand die Festplatte löschen? Da fahre ich in den Urlaub
nach Schweden, zum ersten Mal seit dreißig Jahren, und wie damals denke ich
bei jeder Gelegenheit: „schweden schweden jeden / schweden schweden jeden
berg / schweden nennen jeden berg schwedenberg / schweden nennen jedes
messer schwedenmesser / schweden essen messer“. Und da soll mal einer
sagen, Literatur habe keine Macht.
In diesem Fall hat sie komplett von mir Besitz ergriffen. Oder zumindest
von meinem Kopf. Ich befinde mich in einem Ernst-Jandl-Loop. Und ich dichte
weiter. Plappernd, albern, zwanghaft. Kaufe ich eine Zimtschnecke, denke
ich: schweden nennen jede schnecke schwedenschnecke. Esse ich eine Wurst:
schwedenwurst! Sehe ich einen Hund: schwedenhund …Ich bin besessen. Noch
ein paar Tage, und ich muss mich von der Konkreten Poesie exorzieren
lassen. Gott sei Dank sprechen die Schweden mit mir Englisch. Da schaltet
mein Gehirn kurzzeitig um. Auf Englisch funktioniert Jandl nicht.
Die Schweden nennen übrigens jeden Demokraten Schwedendemokraten. Auch wenn
diese gar keine Demokraten sind. „Sverigedemokraterna“ heißt hier nämlich
eine erschütternd erfolgreiche „rechtspopulistische“ Partei.
„Rechtspopulistisch“ ist in der Regel die feige Umschreibung mancher Medien
für die politische Ausrichtung von rassistischen Klemmfaschos. So wie der
Nazi-Mob vor den Asylbewerberheimen zunächst auch „asylkritisch“ genannt
wurde. Oder Hitler und Goebbels „judenkritisch“. Ach, die beiden hat gar
keiner so genannt? Na, dann …
Wären an diesem „söndag“ Reichstagswahlen, würden die Schwedendemokraten…
Prozent der Stimmen erreichen. Ein Viertel der Bevölkerung im einst so
liberalen, ursozialdemokratischen Volksheim Schweden ist also rassistisch.
Das überrascht. Wobei wir Deutschen uns da nicht aus dem Fenster hängen
sollten. Nicht nur wegen Pegida, Freital und Heidenau. Schon Ende der
Siebziger, lange vor der Wiedervereinigung, berichtete die Shell-Studie,
dass circa 25 Prozent der Deutschen sich wieder einen Führer wünschten, der
mit den Ausländern aufräumt und den Einfluss der Juden zurückdrängt.
In Schweden sah ich allerdings auch Folgendes, auf dem „Malmö Festivalen“,
nachts um eins beim Konzert der schwedischen Reggaeband „Helt off“: Während
mehrere tausend Menschen der Musik lauschten, durchpflügten zwei Handvoll
Roma die Menge und sammelten leere Flaschen ein. Plötzlich nahm ein
trunkener Wikinger eine der Roma-Frauen bei der Hand und forderte sie
pantomimisch zum Tanzen auf. Negativ, wie ich inzwischen gepolt bin,
rechnete ich mit allem: dass der Schwede aufdringlich wird und die Romni
ihm eine ballert. Oder dass ihr Bruder ihm eine ballert. Aber nichts. Die
beiden tanzten nur miteinander und die daneben stehende Romni lachte und
freute sich. Ein Bild wie aus dem Multikulti-Kitsch-Album. Und trotzdem
wahr. Mitten in Schweden, dem Land, wo die Arschlöcher bald die stärkste
Partei sind.
1 Sep 2015
## AUTOREN
Hartmut El Kurdi
## TAGS
Schwedendemokraten
Wahl in Schweden
Rechtsextremismus
Matthias Matussek
Björn Höcke
Flüchtlinge
Flüchtlinge in Niedersachsen
Hipster
Fifa
Wendland
## ARTIKEL ZUM THEMA
Meinungsfreiheit für Nazis in Schweden: Anwesend sein oder nicht?
Weil ein rechter Verlag einen Stand bei der Göteborger Buchmesse bekommt,
wird zum Boykott aufgerufen. Nicht alle machen mit.
Die Wahrheit: Im Fell eines Faultieres
Wo findet Matthias Matussek bloß sein neues Zuhause? Jetzt, da der
Krawallkatholik selbst dem Springer-Verlag zu ultra geworden ist.
Die Wahrheit: Tausend Jahre Björn Höcke
Bei den beiden neuen Kandidaten von „Germany’s Next Top-Goebbels“ zeigt
sich mal wieder: Bildung schützt vor Blödheit nicht.
Die Wahrheit: Ulf Poschardt und der Refugee Chic
Dass Redakteure bei Springer auf einmal ihr Herz für Flüchtlinge entdecken,
kann verstören. Dabei sitzen dort immer noch genug Gestörte.
Ein Orts-Name mit Imageproblem: Das andere Heidenau
Heidenau in Sachsen gilt als Sinnbild für Fremdenhass. Ein gleichnamiger
Ort in Niedersachsen will Flüchtlinge aufnehmen und es anders machen.
Die Wahrheit: Alte Säcke auf neuen Zügen
In einem Café in Hannover sitzt ein Formwandler mit Paarungsabsicht, ein
50-jähriger Hipster, der auf jung macht – das Grauen.
Die Wahrheit: „Mit eisernem Besen!“
Das Wahrheit-Interview: Ein Gespräch mit Hartmut El Kurdi, dem möglichen
Nachfolger des zurückgetretenen Fifa-Präsidenten Sepp Blatter.
Die Wahrheit: Der Time-Tunnel von Meuchefitz
Wer über Pfingsten das erste Mal ins Wendland fährt, kehrt zurück mit
verstörenden Erkenntnissen über das Miteinander der Generationen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.