Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Der Time-Tunnel von Meuchefitz
> Wer über Pfingsten das erste Mal ins Wendland fährt, kehrt zurück mit
> verstörenden Erkenntnissen über das Miteinander der Generationen.
Bild: Auch in der Ecke wird es Veranstaltungen geben: die Elbauen bei Klein Kü…
Obwohl ich voriges Jahr 50 geworden bin, gibt es viele Dinge, die ich noch
nie gemacht habe. Heroin konsumieren zum Beispiel. Das liegt daran, dass
man uns als Jugendlichen damals, Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger
folgende Kausalkette in den Kopf gehämmert hat: Heroin - Bahnhof Zoo -
Anal-/Oralverkehr gegen Geld mit schmuddeligen alten Männern. Und das will
man ja nicht, egal welche sexuelle Orientierung man hat.
Außerdem habe ich noch nie hinter dem Steuer eines Autos gesessen, bin nie
Fallschirm gesprungen, habe noch keinen Menschen getötet, war noch nie im
Bordell, auf Rügen oder Usedom und habe noch nie CDU oder FDP gewählt.
Alles aus mehr oder weniger guten Gründen.
Etwas anderes habe ich ebenfalls noch nie gemacht. Bis letzten Sonntag war
ich noch nie bei der „Kulturellen Landpartie“. Die „Kulturelle Landpartie…
ist eine Art Flächenfestival im Wendland, von Beginn an verbunden mit der
Anti-AKW-Bewegung. Von Himmelfahrt bis Pfingsten öffnen Künstler im ganzen
Wendland ihre Ateliers, drumherum gibt es ein Kulturprogramm von Musik über
Theater bis zu Ökovorträgen. Insgesamt sind über 800 Künstler daran
beteiligt, rund 60.000 Besucher finden den Weg ins Wendland.
In diesem Jahr war ich einer davon. Und was soll ich sagen: Selten so etwas
Interessantes gesehen, wobei ich damit weniger die Kulturdarbietungen meine
- da gab es Gutes und Banales, wie überall.
Richtig interessant aber war es, der andernorts ja nicht mehr wirklich als
Block existierenden alternativen Szene in ihrer ganzen Bandbreite beim
Pfingstbummel zuzusehen. Oder einfach beim Leben.
Neben vielen langweilig gekleideten Mainstreamökos flanierten dort auch die
richtig gut verdienenden 60-jährigen Grünwähler in teuren Wollfilzkleidern.
Sie saßen dann aber mitunter beim Kaffee auf einer Bank mit Altersgenossen,
die es mit dem Aussteigerleben wohl ernster gemeint hatten und dies auch
phänotypisch repräsentierten - mit verfilztem Resthaarkranz, THC-getränkten
Monologen auf den Lippen und noch nicht mal im Ansatz
ministeriumskompatibel gekleidet.
Besonders auffällig waren die Massen von Junghippies mit Pumphosen,
Nasenpiercings und Dreadlocks, manchmal in trauter Eintracht mit ebenso
jungen Anarchopunks, die ja historisch gesehen eigentlich ihre natürlichen
Feinde sein müssten. Sehr pittoresk auch der Gasthof Meuchefitz, der in
seiner Aufmachung und mit den ihn umlagernden jungen Menschen wirkte wie
ein nachgebautes autonomes Jugendzentrum aus einem
Achtzigerjahre-Themenpark.
So recht weiß man nicht, was man von solchen Time-Tunnel-Erfahrungen halten
soll. Einerseits ist es zu begrüßen, dass junge Menschen sich noch etwas
anderes vorstellen können als die Lebenssimulation, die man heute
allerorten so angeboten bekommt, andererseits verstört es, dass ästhetisch
so konsequent auf die Vergangenheit zurückgegriffen wird. Aber solange
keiner von denen „Bots“ hört, ist alles gut. Das tut ihr doch nicht, oder?
27 May 2015
## AUTOREN
Hartmut El Kurdi
## TAGS
Wendland
taz.gazete
Wendland
Wendland
Polizei
Björn Höcke
Hipster
Aufstehen
Christentum
Braunschweig
Eltern
## ARTIKEL ZUM THEMA
Landgang-Initiator über Abspaltung: „Wir wünschen uns Intimität“
Der Landgang „Werk & Kunst“ hat sich als neues Format von der Kulturellen
Landpartie im Wendland abgespalten. Initiator Wolf Kobernuß über die
Gründe.
Kolumne Im Augenblick: Wendländer Spezialitäten
Ich bin ins Wendland zur Kulturellen Landpartie gefahren, um ein bisschen
Spaß zu haben. Aber es ist mehr daraus geworden.
Kulturfestival im Wendland: Yoga im Obstgarten
Die „Kulturelle Landpartie“ im Wendland lockt mit 1.600 Veranstaltungen.
Das Festival geht auf den Protest gegen Atomanlagen und Castortransporte
zurück.
Fragwürdiger Polizeieinsatz im Wendland: Erdoğan grüßt Meuchefitz
In Lüchow-Dannenberg haben 80 schwerbewaffnete Polizist*innen einen Gasthof
gestürmt, um ein prokurdisches Transparent zu entfernen.
Die Wahrheit: Tausend Jahre Björn Höcke
Bei den beiden neuen Kandidaten von „Germany’s Next Top-Goebbels“ zeigt
sich mal wieder: Bildung schützt vor Blödheit nicht.
Die Wahrheit: Jede Schnecke Schwedenschnecke
Obwohl die ausländerfeindlichen Schwedendemokraten in Umfragen zulegen,
zeigt sich manch Wikinger multikulti-kompetent.
Die Wahrheit: Alte Säcke auf neuen Zügen
In einem Café in Hannover sitzt ein Formwandler mit Paarungsabsicht, ein
50-jähriger Hipster, der auf jung macht – das Grauen.
Die Wahrheit: Lob des Sitzenbleibens
Ein neues Phänomen geht um – besonders in der Fernsehwelt: Alle stehen
ständig auf und tun so, als ob sie gaaaaanz, gaaaaanz locker wären.
Die Wahrheit: Bombardiert Flüchtlingsboote!
Warum halbe Sachen machen? Als Reaktion auf die Toten im Mittelmeer sollte
man weiterdenken als die deutsche Journalisten-Elite.
Liebeserklärung an Linden: Warum ich gerne in Hannover lebe
Nach 14 Jahren zog unser Autor von Braunschweig in die niedersächsische
Landeshauptstadt. Zu seiner Überraschung mag er die Stadt.
Die Wahrheit: Meine doppelte Herkunft
Der Name klingt ausländisch. Dann ist die Sache klar. Mutter und Vater
hatten Penis-Vagina-Verkehr. Und das Kind hat jetzt Migration – mit
Hintergrund!
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.