# taz.de -- Die Wahrheit: Meine doppelte Herkunft | |
> Der Name klingt ausländisch. Dann ist die Sache klar. Mutter und Vater | |
> hatten Penis-Vagina-Verkehr. Und das Kind hat jetzt Migration – mit | |
> Hintergrund! | |
Bild: Kunst-Ausländerin: Die Kabarettistin Idil Baydar in ihrer Rolle als Jile… | |
Wenn man in Deutschland lebt und Hartmut El Kurdi heißt, scheint für viele | |
Leute alles klar zu sein: Deutsches Mädel erliegt dem Charme eines zur | |
Fabrikarbeit – oder in der Edel-Variante: zum Medizinstudium mit | |
anschließender Facharztausbildung Gynäkologie – eingereisten Südländers. | |
Und natürlich, wir kennen die Braunaugen, kam es zum ungeschützten | |
Penis-Vagina-Verkehr. Folgen für das Hybridkind: lebenslanger | |
Migrationshintergrund. | |
Nun ist es mir zwar egal, warum jemand wie heißt, und einen | |
Migrationshintergrund finde ich in jedem Fall funky. Aber trotzdem sollte | |
man genau sein. Ich zum Beispiel habe einen Migrationshintergrund, weil | |
einer meiner Elternteile der Not gehorchend damals sein kaputtes, durch | |
einen Krieg zerstörtes Land und damit ein aktuell und potenziell | |
beschissenes Leben verließ, um woanders sein Glück zu suchen. Als astreiner | |
Wirtschaftsflüchtling. Dieser Elternteil war meine deutsche Mutter, und nur | |
zur Erinnerung: Das Land, aus dem sie emigrierte, lag in Schutt und Asche, | |
weil es kurz vorher die halbe Welt ins Unglück gestürzt und es deswegen | |
nicht besser verdient hatte. | |
Meine Mutter kam also aus den Überresten von Nazideutschland, hatte selbst | |
eine arische Erziehung im BDM genossen und wurde trotzdem freundlich im | |
Land des ehemaligen Kriegsgegners England aufgenommen. Sie arbeitete als | |
Haushaltshilfe, nutzte diesen Aufenthalt aber vor allem dazu, sich einen | |
grade zu Ausbildungszwecken in England weilenden jordanischen Offizier zu | |
angeln. Der nahm sie dann mit nach Hause, heiratete sie und an seiner Seite | |
stieg sie vom ungelernten oberhessischen Dorfmädchen zur Diplomatengattin | |
auf. | |
Dass die Ehe im persönlichen Bereich eher unglücklich verlief, ist ein | |
anderes Thema, führte aber dazu, dass meine Mutter re-emigrierte. Also zur | |
Doppelmigrantin wurde. Sie kam mit mir, ihrem jüngsten Kind, im Schlepptau | |
zurück nach Deutschland. | |
Leider hatte sie nun nicht nur einen komischen Nachnamen, sondern auch noch | |
eine unpraktische Staatsangehörigkeit und den entsprechenden Pass, der in | |
den frühen siebziger Jahren als Standardreisedokument der PLO-Terroristen | |
galt. Sie wurde als Einwanderin behandelt und musste regelmäßig ihre | |
Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis erneuern. Und ich habe deswegen in der | |
öffentlichen Wahrnehmung bis heute einen Migrationshintergrund. Stimmt ja | |
auch, nur nicht so, wie die Leute denken. | |
Wahrscheinlich ist es nie so, wie die Leute denken. Selbst die vermeintlich | |
typischen „Gastarbeiter“-Biografien haben alle ihre Eigenheiten. Spätestens | |
als ich – der deutsche Muttersprachler – kurz vor meiner Einbürgerung einen | |
Sprachtest ablegen musste, bei dem ich „Ich möchte gerne Deutscher werden“ | |
auf einen Zettel zu schreiben hatte, kapierte ich, dass die Dinge oft nicht | |
so sind, wie sie aussehen. Und vor allem, dass Menschen, die behaupten, | |
andere Menschen hätten kein Recht, sich irgendwo aufzuhalten, auch nicht | |
die leiseste Ahnung davon haben, wie das Leben funktioniert. | |
24 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Hartmut El Kurdi | |
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