# taz.de -- Leben mit Migrationshintergrund: Ausländerin ist nicht mein Beruf | |
> Mit dem richtigen Migrationshintergrund wird man in Deutschland derzeit | |
> automatisch zur Expertin für Integration. Das nervt. | |
Bild: Kunst-Ausländerin: Die Kabarettistin Idil Baydar in ihrer Rolle als Jile… | |
Die Tetris-Melodie erklingt. Mein Handy klingelt und in der Leitung ist der | |
Chefredakteur eines kleinen Debatten-Magazins. Ich habe bis zum Anruf seit | |
fünf Jahren nicht mehr für ihn gearbeitet, aber er hat noch meine Nummer | |
und einen Auftrag: „Laila, kannst du uns so einen Artikel schreiben, was da | |
eigentlich in Syrien abgeht. Wer kämpft da mit wem, wer ist der IS. Was ist | |
da los?!“ | |
Ich bin verblüfft, das ist eine Riesenaufgabe, und ich bin froh, dass er | |
mir das zutraut. „Hm, es ist schon verdammt schwer, gib mir mal so ein paar | |
Wochen Zeit, dann kann ich recherchieren.“ Meine Antwort wiederum verblüfft | |
ihn: „Wieso brauchst du so lange? Nee, das soll nächste Woche fertig | |
werden. Du kannst doch arabisch, müsstest du denn nicht verstehen, was da | |
abgeht?“ | |
Ich bin eine sogenannte Deutsche mit Migrationshintergrund. Ich habe einen | |
deutschen Pass, aber meine Eltern kommen nicht aus dem Schwarzwald, sondern | |
aus dem Atlasgebirge in Marokko. Eine klassische Gastarbeiter-Geschichte: | |
Mein Vater kam in den 70ern her und hat als Bergmann in der Nähe von Aachen | |
gearbeitet. In den 80er Jahren holte er meine Mutter und meine damals schon | |
geborenen Geschwister nach Deutschland. Ein paar Jahre später kam ich zur | |
Welt. Das macht mich wohl zur Expertin für alle Belange der Migranten in | |
Deutschland und der arabischen Welt. | |
## Ich könnte auch einfach über mich schreiben | |
Als ich mich entschlossen habe, Journalistin zu werden, wollte ich über | |
Dinge schreiben, die mir Spaß machten. Also habe ich geschrieben: über | |
digitale Themen, über Literatur, über Filme. Manchmal habe ich natürlich | |
über Integration geschrieben oder Texte übersetzt, aber das eher selten – | |
aus eigener Entscheidung. Wenn ich wollte, könnte ich viel Geld damit | |
verdienen, wenn ich über muslimische Communities in Deutschland schreiben | |
würde oder über meine Kindheit und Jugend. Ich könnte in Talkshows | |
auftreten, Bücher schreiben, mich darauf spezialisieren. | |
Ich habe den richtigen Hintergrund und den richtigen Namen. Ich könnte | |
überspitzt auf die Schwierigkeiten der Integration eingehen, ich könnte | |
hysterisch den Untergang besingen. Die Zeitungen könnten schön damit | |
werben, dass ich jemand sei, der die unschöne Wahrheit ausspricht und der | |
Feld-Wald-und-Wiese-Rechte auf Facebook würde laut proklamieren: „Siehst | |
du, ich hab’s gewusst. Selbst die Ausländer denken so wie ich.“ Die | |
diskutieren auf Facebook und ich mache Cash. | |
Oder aber ich könnte auch von meinen Erfahrungen mit Rassismus sprechen, | |
von sichtbaren Integrationserfolgen. Der Rechte vom oberen Beispiel würde | |
proklamieren, dass ich ja völlig links-grün-verseucht bin. Ich würde | |
weniger Geld verdienen, aber gerne in Talkshows eingeladen werden – als | |
Antagonistin von AfD und Konsorten. So oder so: Ein ausländischer Name | |
erregt bei gewissen Themen Aufmerksamkeit – ob als Gallionsfigur für | |
Sarrazin oder gegen ihn. | |
## Die Leiden der jungen Berufsausländerin | |
Warum ich das nicht mache? Ich will nicht. Und das ist kein Trotz, der da | |
spricht. Das Problem liegt tiefer. Ich bezweifle einfach meine Eignung zur | |
Migranten-Expertin. Klar, ich habe meine Kindheit mit vielen Marokkanern, | |
Türken und Menschen anderer Nationalitäten verbracht. Dadurch verfüge ich | |
über Erfahrungen, die vielen Gesprächsteilnehmern in dieser Debatte fehlt. | |
Sicher könnte ich an vielen Stellen Neues ergänzen. Aber es blieben nur | |
meine persönlichen Beobachtungen. | |
Ich bin durchaus der Meinung, dass es nötig wäre, andere Perspektiven in | |
die Debatte einzubringen. Gleichzeitig will ich aber nicht, dass es meine | |
ist. Wer hat schon Lust sein gesamtes berufliches Leben auf einem einzigen | |
Thema aufzubauen? Die Quoten-Ausländerin zu sein, die man zur Not immer | |
befragen kann? Also ich nicht. | |
Das wäre anders, hätte ich beispielsweise Islamwissenschaften studiert. | |
Dann hätte ich mich bewusst dafür entschieden, mich mit diesen Themen | |
auseinanderzusetzen. Aber dafür, dass ich aus einer marokkanischen Frau | |
herausgeplumpst bin, kann ich nichts. | |
## Reichen meine persönlichen Erfahrungen aus? | |
Ich habe keine Ahnung von Soziologie, von Migrationsdynamiken. Ich weiß | |
nichts von der Kultur in Syrien, von dem, was vor dem Krieg war, ich muss | |
mich da in alles erst einmal einarbeiten. Und auch über Marokko wüsste | |
jeder Korrespondent in Rabat besser Bescheid als ich – ich war seit | |
Ewigkeiten nicht mehr da und wenn ich da war, blieb ich in der Blase meiner | |
Familie. Es war Urlaub, keine Forschungsreise. Von der Politik weiß ich nur | |
das, was meine Familie erlebt hat. Alles ist persönlich gefärbt und | |
verzerrt. Keine gute Grundlage für den Journalismus, oder? | |
Die Vorstellung, dass ein Mensch mit einem arabischen Migrationshintergrund | |
gleichzeitig Ahnung von der arabischen Welt hat, ist nicht nur falsch, | |
sondern zeugt vor allem von einer heftigen Ignoranz. Muslime, Araber, | |
Syrer: Irgendwie wird alles zusammengepackt, zu einer Begriffs-Bouillasse | |
verrührt und die Journalisten sollen es schön auslöffeln. Man banalisiert | |
die Zusammenhänge und die Komplexitäten der Region. Dabei reicht es eben | |
nicht, Dinge erlebt zu haben. Man muss sie auch lernen, über sie lesen, sie | |
differenzieren können. | |
So musste ich auch dem Herrn vom Magazin darauf hinweisen, dass ich vor dem | |
Krieg nichts über Syrien wusste und ihn erst einmal auf die doch großen | |
Unterschiede zu Marokko hinweisen. Er brummelte unverständlich in mein | |
Handy und legte auf. Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört. | |
Mir ist die Ironie durchaus bewusst, dass ich einen ganzen Artikel lang | |
darüber rede, dass ich nicht über meinen Migrationshintergrund reden will. | |
Aber genauso das ist das Problem. | |
Ich will schon darüber schreiben, aber eben nicht ausschließlich. Ich bin | |
keine Berufsausländerin. Das Einzige, was ich anbieten kann, ist der | |
Versuch, eine neue Perspektive einzubringen. Das mache ich auch, aber nur, | |
wenn ich an anderer Stelle auch über Literatur, über Filme, über | |
Internetphänomene und weiteres berichten kann – und zwar nicht aus dem | |
„arabischen“ Blickwinkel heraus. | |
13 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Laila Oudray | |
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