# taz.de -- Rikscha-Tour zu „Krisenorten“ in Berlin: Wo das Geld verbuddelt… | |
> Die Künstlergruppe MS Schrittmacher erklärt bei ihrer Performance „Places | |
> & Traces“ die Stadt. Eine Rikscha-Fahrt der besonderen Art. | |
Bild: Die Prinzessin auf der Baustelle. | |
Berlin taz | Die Fahrradrikscha startet am Alexanderplatz an der | |
Weltzeituhr. Ich sitze neben einer Kollegin auf rotem Polster, das Dach ist | |
heruntergelassen. Inständig hoffe ich, dass mich niemand erkennt. Ist es | |
nicht ein wenig peinlich, wie eine Touristin herumkutschiert zu werden? | |
Doch die Rikschafahrt ist keine gewöhnliche Sight-Seeing-Tour. Die | |
Performance „Places & Traces“ der Künstlergruppe MS Schrittmacher führt zu | |
acht sogenannten „Krisenorten“. | |
An jeder Station schauen wir uns ein Performancevideo auf einem Tablet an, | |
und unser Rikschafahrer Martin Stiefermann liest einen Text vor. Den | |
Alexanderplatz nehme ich in meinem Alltag als unästhetische | |
Touristenattraktion wahr. Stiefermann erzählt hingegen von der langen | |
Tradition als Demonstrationsort. Schon 1848 kämpften hier Revolutionäre | |
gegen die preußischen Truppen. | |
Im Video zeigt ein Künstler im Kapuzenpulli seinen Protest in | |
minimalistischer Form: Er hält ein Schild mit dem Wort „No“ in die Luft. | |
Unterhaltsam sind vor allem die Reaktionen der Passanten im Video. Einer | |
schießt im Vorbeigehen ein Selfie mit dem No-Mann. | |
Am Roten Rathaus, dem Sitz des Bürgermeisters und des Senats, geht es um | |
den Flughafen BER. Im Video spielt Stiefermann ein Flugzeug und knallt | |
gegen eine Wand. Dann liest er Informationen vor, die kaum zu fassen sind. | |
Die Finanzchefin Heike Fölster habe versehentlich ausgeplappert, dass der | |
Erhalt der Baustelle monatlich zwischen 16 und 35 Millionen Euro koste. | |
## 165 Euro Schulden pro Sekunde | |
Die Texte sind in ihrer Form und Sprache sehr abwechslungsreich. Oft dringt | |
ein zynischer Humor durch. Die Filme produzierte MS Schrittmacher sehr | |
aufwendig, mit zehn TänzerInnen und SchauspielerInnen sowie eigens dafür | |
komponierter Musik, die den ironischen Unterton verstärkt. Die | |
Kameraführung ist dynamisch, Schnitte an unerwarteten Stellen erzeugen | |
einen ungewöhnlichen Rhythmus. | |
Nach einem Stopp an der Staatsoper geht es weiter zum Stadtschloss, das | |
Humboldt-Forum heißen wird, „weil Stadtschloss so wenig nach Demokratie | |
klingt“. Der Clip dazu entstand vor zwei Jahren: Eine Prinzessin lässt sich | |
zwischen Baggern auf den Boden fallen, baut Sandburgen und verbuddelt Geld. | |
Ernsthafter geht es zu, als an einem Mülleimer die Situation der | |
Flaschensammler thematisiert wird. Die Schuldenuhr am Gebäudeeingang des | |
„Bundes der Steuerzahler e. V.“ in der Französischen Straße zeigt am | |
Samstagabend die Zahl 2.062.290.753.000 Euro an. Sie wächst um 165 Euro pro | |
Sekunde. Am Stopp Pariser Platz beschäftigten sich die KünstlerInnen mit | |
dem Statussymbol Schuhe. | |
Nach knapp drei Kilometern und über einer Stunde Fahrt kommen wir am | |
Reichstag an. Mein Blick auf verschiedene Gebäude und Plätze hat sich | |
verändert. Ich verbinde plötzlich konkrete Orte mit gesellschaftlichen | |
Debatten. Das Konzept der „Guided-Rikscha-Video-Tour“, die sich nicht nur | |
an BesucherInnen, sondern vor allem an BerlinerInnen richtet, geht auf. Am | |
Ende fühle ich mich in der Rikscha nicht mehr befangen, sondern wie ein | |
Ehrengast. | |
7 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Julika Bickel | |
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