# taz.de -- Flüchtlingsunterkünfte bundesweit: Zelten in Deutschland | |
> Auf beengtem Raum müssen hunderte Menschen leben. Die Kommunen sind | |
> überfordert, die Geflüchteten frustiert. | |
Bild: Die Zelte von Eisenhüttenstadt, der Abschiebeknast ist nicht weit weg. | |
Eisenhüttenstadt/Giessen/Ellwangen taz | Hinter dem grünen Zaun wird | |
gebaut: Sieben „feine Wohnhäuser“ mit bester Ausstattung preist die Tafel | |
an der Rödgener Straße am Gießener Stadtrand an. Direkt gegenüber ist es | |
weniger fein. | |
Nur dürftig versperrt ein heruntergekommener Sichtschutz den Blick von der | |
angrenzenden Landstraße auf das Außenlager der Hessischen | |
Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge. Hinter Stacheldraht leben hier | |
5.000 Schutzsuchende in Mehrbettzimmern - und inzwischen auch in Zelten. | |
„Katastrophenschutz Hessen“, prangt auf den glänzend weißen Planen. | |
Auf dem Hof stehen Feldbetten. Die BewohnerInnen haben sie aus ihren | |
Plastikzelten auf den sonnenvertrockneten Rasen getragen, um sie als Bänke | |
zu nutzen. Die Blicke derer, die darauf sitzen, gehen ins Leere. „Es ist | |
gut hier“, sagt ein Mensch aus Eritrea. Im Vergleich zu dem Leben in einer | |
blutigen Diktatur mag das sicherlich stimmen. Nachts sei es allerdings | |
manchmal kalt, weil die Decken zu dünn seien, sagt er. Seit 19 Tagen ist | |
der junge Mann in Gießen. Mehrfach hat er schon nach einer richtigen | |
Unterkunft gefragt. Stets vergeblich. „Erst kommen die Frauen, Kinder und | |
Familien.“ | |
Bis 2007 residierte auf dem Gelände die US-Army. 2012 begann das Land | |
Hessen damit, Flüchtlinge auf dem heruntergekommenen Areal unterzubringen. | |
Inzwischen platzt die Einrichtung aus allen Nähten. Bereits seit | |
vergangenen November müssen viele Flüchtlinge in Zelten wohnen. Erst letzte | |
Woche kamen neue Zelte dazu. Auch sie sind schon wieder voll. | |
## Pritsche an Pritsche | |
Mittlerweile sind es 1.500 Menschen, für die es keine Zimmer mehr gibt, so | |
die aktuelle Zahlen des in der Universitätsstadt ansässigen | |
Regierungspräsidiums. „Die Situation ist absolut katastrophal“, sagt Marah | |
Theuerl von der Gießener Flüchtlingsinitiative „an.gekommen“. In den | |
Massenzelten, schliefen bis zu 100 Leute, Frauen, Kinder, Männer alles | |
gemischt. „Pritsche an Pritsche, die Privatsphäre ist gleich Null.“ | |
Willkommen in Deutschland. | |
In Eisenhüttenstadt an der polnischen Grenze sind die Zelte olivgrün. Und | |
sie glänzen auch nicht. Etwa 2.200 Menschen leben derzeit auf dem | |
ehemaligen Kasernengelände, wo das Land Brandenburg seine zentrale | |
Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht. Nachdem die alten Wohnblöcke und neu | |
aufgestellte Container zur Unterbringung nicht mehr ausgereicht haben, | |
müssen nun 450 Flüchtlinge in Armeezelten auf Feldbetten schlafen. Zelte | |
seien „nicht immer schlecht“, sagt Thomas de Maizière (CDU) bei seiner | |
Stippvisite am Donnerstagvormittag in Eisenhüttenstadt. Bisweilen seien sie | |
sogar besser als manch andere Unterbringung. | |
Begleitet von Brandenburgs Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD) schaut | |
sich der Bundesinnenminister rund eineinhalb Stunden um. Er geht auch in | |
eines der Zelte. Aber nur ganz kurz. Mit den drei Männern, die apathisch | |
auf ihren Pritschen liegen, spricht er in den etwa zwei Minuten nicht. | |
Deutlich mehr Zeit nimmt sich de Maizière für die Besichtigung des | |
Abschiebegewahrsams, das auch auf dem Gelände untergebracht ist. | |
Beim Betreten und Verlassen des mit einem hohen Zaun und Nato-Draht | |
gesicherten Gebäudes darf der Minister nicht gefilmt oder fotografiert | |
werden. „Machen Sie aus“, herrscht ein Mitarbeiter eine Kamerafrau an. „W… | |
wollen diese Bilder nicht.“ | |
## Empörung über unwürdige Zustände | |
Die Bilder von Flüchtlingszeltstädten kannte man lange Zeit nur aus | |
anderen, weniger wohlhabenden Regionen der Welt. Nun werden sie auch in der | |
Bundesrepublik zum Alltag. Bis vor kurzem lehnten das Politiker quer durch | |
alle Parteien noch als unzumutbar und einem reichen Land wie der | |
Bundesrepublik unwürdig ab. Als vor einem Jahr Duisburg auf einem | |
Fußballplatz ein Zeltlager für Flüchtlinge errichten ließ, war die Empörung | |
so groß, dass die Stadt die Flüchtlinge doch lieber woanders unterbrachte | |
und die Zelte wieder abbauen ließ. | |
Nun gibt es den nächsten Anlauf. Ende August soll dort die | |
Zeltnotunterkunft für mindestens 300 Flüchtlinge, die zurzeit auf einer | |
brachliegenden Gewerbefläche direkt an der Autobahn entsteht, bezogen | |
werden können. Die Flüchtlinge ließen sich eben „derzeit nicht so | |
unterbringen, wie ich es mir wünschen würde“, sagt Oberbürgermeister Sören | |
Link (SPD). „Deshalb führt für eine Übergangszeit kein Weg daran vorbei, | |
Zelte aufzubauen, wie es andere Städte auch tun müssen.“ | |
Die Unterbringung von Geflüchteten in Zelten entzieht sich der klassischen | |
Politfarbenlehre: Ob im CSU regierten Bayern, im rot-grünen Hamburg oder im | |
rot-roten Brandenburg – quer durch die Republik sind alle dabei. „Wir | |
müssen zugestehen, dass es zu einem Teil ein hausgemachtes Problem ist“, | |
sagt die Düsseldorfer Flüchtlingsbeauftragte Miriam Koch. „Wir haben | |
Kapazitäten zurück gebaut, als die Asylbewerberzahlen deutlich | |
zurückgingen“, beschreibt die Grüne das Problem. „Als die Prognosen dann | |
wieder höher wurden, da haben wir zu spät reagiert.“ Seit dieser Woche gibt | |
es auch in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt die ersten vier | |
Zelte: zwei dienen als Schlafplätze für rund 300 Flüchtlinge, in den beiden | |
anderen sind die Küchen-, Versorgungs- und Sanitärbereiche untergebracht. | |
## Warten auf den Asylantrag | |
Ja, er wisse, wer der Mann ist, der da gerade wieder in seinen grünen | |
Mercedes steigt, sagt Abdul Mutallib. „Der Chef des Landes hier.“ Auch | |
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat am Donnerstag | |
einer Flüchtlingseinrichtung seinen Besuch abgestattet. Was er in der | |
Erstaufnahmeeinrichtung des Landes in Ellwangen gesehen hat, dürfte dem | |
Grünen nicht besonders gut gefallen haben. | |
Die Situation sei schwierig, sagt Abdul Mutallib. Der aus Aleppo stammende | |
Syrer wartet seit 15 Tagen darauf, seinen Asylantrag stellen zu dürfen. | |
Gemeinsam mit vielen, vielen anderen. „Die Schlafräume sind voll“, sagt der | |
junge Mann im roten T-Shirt. Erst vor wenigen Monaten eröffnet, ist | |
Ellwangen nahezu um das Vierfache überbelegt. Deswegen hat die grün-rote | |
Landesregierung vor 10 Tagen erstmals Flüchtlinge im 80 Kilometer | |
entfernten Neuenstadt in einer Zeltstadt untergebracht - obwohl Kretschmann | |
das immer vermeiden wollte. | |
Berthold Weiß leitet seit April die Erstaufnahmeeinrichtung in Ellwangen . | |
Vorher war der joviale Schwabe Suchtbeauftragter im Landkreis. Ihm ist auch | |
das Zeltcamp in Neuenstadt zugeordnet. Dort seien 187 zuverlässige | |
alleinstehende Männer untergebracht, erklärt Weiß. | |
Ellwangen selbst ist für maximal 1.000 Flüchtlinge ausgelegt. Inzwischen | |
campieren aber über 1.900 Menschen auf dem Gelände der ehemaligen | |
Reinhardt-Kaserne. Die genaue Zahl ändere sich jeden Tag. Es sei | |
Improvisation gefragt, sagt Weiß. So sind in Acht-Bett-Zimmern längst 16 | |
Menschen untergebracht und in den Räumen zur Kinderbetreuung stehen jetzt | |
auch Stockbetten. „Wir machen jetzt halt einen Waldkindergarten“, erklärt | |
er. | |
## Aggressionen in der Enge | |
Aggressionen bleiben in dieser angespannten Lage nicht aus. Während im Ort | |
bisher keine nennenswerten Widerstände gegen die Flüchtlinge laut werden, | |
kommt es in der Kaserne selbst immer wieder zu Auseinandersetzungen. Im | |
Juni, am letzten Tag des Ramadan, gerieten Syrer mit Algeriern bei der | |
Essensausgabe aneinander, es flogen Steine und ein Polizist wurde verletzt. | |
Zu solchen Gewaltausbrüchen komme es immer, wenn die Einrichtung | |
überfordert werde, sagt Weiß. Das habe wenig mit ethnischen | |
Auseinandersetzungen zu tun. | |
In Gießen gab es erst vergangene Woche einen vergleichbaren Zwischenfall. | |
Eine 14 Köpfe starke Gruppe hatte sich mit Holzlatten bewaffnet und war auf | |
die Bewohner eines anderen Zelts losgegangen. Sie sitzen nun in | |
Untersuchungshaft wegen schwerer Körperverletzung und schwerem | |
Landfriedensbruch. „Mit einer zunehmenden Zahl von Menschen, steigt auch | |
die Zahl der Einsätze“, so ein Sprecher der Gießener Polizei. | |
In Eisenhüttenstadt ist die Lage bisher weitgehend ruhig geblieben. Das | |
dürfte auch mit der starken Polizeipräsenz auf dem Gelände zu tun haben. | |
Lethargisch sitzen einige südosteuropäische Flüchtlinge auf verwitterten | |
Bänken. Gleichgültig lassen sie de Maizière und den Medientross, der ihn | |
begleitet, an sich vorbeiziehen. Die hohe Zahl von Flüchtlingen aus dem | |
Westbalkan sei „inakzeptabel“, sagt de Maizière den JournalistInnen. „Der | |
Schlüssel liegt darin, dass wir differenzieren zwischen denen, die | |
schutzbedürftig sind und denen, die keinen Schutzbedarf haben.“ Diese | |
müssten „schnell ein faires Verfahren bekommen und dann unser Land | |
verlassen“. | |
Nur wenige Meter von ihm entfernt schiebt eine Frau ihren gehbehinderten | |
Jungen im Rollstuhl über den Platz. Anfang Juli kam sie mit ihrem Mann und | |
den drei Kindern aus Albanien nach Deutschland. Nach Stationen in Dortmund | |
und Duisburg ist die Familie nun Eisenhüttenstadt gelandet. Bald wird sie | |
wohl wieder in die elenden Verhältnisse in ihrer Heimat zurückkehren | |
müssen. | |
13 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
Alina Leimbach | |
Benno Stieber | |
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