| # taz.de -- Kolumne Eben: Schöner Zelten | |
| > Flüchtlinge in Zelte stopfen gilt hierzulande als „menschenwürdig“. Kein | |
| > Wunder. Hierzulande gilt Zelten auch als Menschenrecht. | |
| Bild: 3 qm Deutschland. | |
| Heißes Sommerwochenende in Deutschland und unter Zeltdächern wird gekühltes | |
| Bier getrunken, Pferden und Fußballspielern beim Rennen und Kindern und | |
| Nachbarn beim Planschen zugeguckt. Am Kaulsdorfer See trat das Böse nur mal | |
| ganz kurz in Form eines dicken deutschen und nackten Mannes auf, der zwei | |
| tobende Kinder anfauchte: „Aufe Fresse oder was?“ | |
| Flüchtlinge, die nicht an Badeseen, auf Sportanlagen oder Bierfesten | |
| Schatten suchend unter Zelten stehen, sondern vor und zwischen Zelten bei | |
| saharistischen Temperaturen darauf warten müssen, dass eine Behörde ihre | |
| Wartenummer ausruft und ihre Anträge bearbeitet, kriegen noch ganz anderes | |
| zu hören. | |
| Dass zu viele Flüchtlinge den Deutschen (NPD) oder dem [1][Kapitalismus in | |
| Deutschland] (DIE WELT) unwürdig sind und die Zeltstädte nicht sehr schön, | |
| aber auch nicht [2][sehr „menschenunwürdig“ sind (Sächsisches | |
| Sozialministerium).] | |
| Kann man ernsthaft auch nur einen Moment lang denken, dass es | |
| menschenwürdig ist, in einem Zeltlager unter ärztlich attestierten, | |
| mangelnden hygienischen und medizinischen Bedingungen zu leben? Ist es | |
| menschenwürdig, wenn man sich vor Eintritt in ein Zeltlager erstmal von | |
| einem Arzt in den Mund gucken lassen muss? | |
| Zelten gilt in Deutschland als Menschenrecht. Dem Campingweltmeister | |
| Deutschland ist nichts selbstverständlicher als ein Leben in einem | |
| überwachten Zeltlager. Tausende Deutsche fahren jedes Jahr tausende | |
| Kilometer Auto, um auf Parkplätzen in Natur- und Bratwurstnähe ihre Zelte | |
| nebeneinander zu stellen, Zäune drumrum zu bauen, Überwachungskameras | |
| dranzuhängen, fünf Meter hohe Deutschlandfahnen aufzustellen und jeden, der | |
| die [3][strikten Campingplatzregeln] nicht einhält mit „Aufe Fresse oder | |
| was?“ anzufauchen. | |
| Menschenwürdig ist ein Kampfbegriff, mit dem auch jene gefüttert werden, | |
| die bei der „Abfertigung“ von Flüchtlingen am liebsten die Stopp-Taste | |
| drücken würden. Ein Leben zwischen Dixie-Klos, Müllbergen und | |
| Essenschlangen, in dem man sich mit hunderten einen Wasserhahn teilen muss, | |
| wird man aber nicht mehr lange als menschenwürdig verkaufen können, wenn es | |
| sich nicht um den freiwilligen und freizeitvergnügten Aufenthalt in Wacken | |
| oder auf der Grav-Insel handelt. | |
| Es wäre doch ganz schön, könnte der Kapitalismus einfach auch mal andersrum | |
| fies sein. Zu denen, die bestimmen können, ab wann es menschenunwürdig | |
| genug geworden ist, um Menschen in einem menschenleeren Land wie | |
| Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern ein paar Wohnungen herzurichten. | |
| Man stelle sich einfach mal vor, am Eingang eines Campingplatzes in | |
| Dänemark oder Kroatien würde diesen Deutschen jemand sagen: | |
| „Entschuldigung, aber Sie kommen aus einem sicheren Herkunftsstaat. Wir | |
| können Sie nicht reinlassen. Unsere Zeltplätze sind voll. Wir können sie | |
| leider nicht mehr menschenwürdig unterbringen.“ | |
| 11 Aug 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.welt.de/debatte/kommentare/article144954231/Was-hilft-Fluechtlin… | |
| [2] http://www.mdr.de/nachrichten/kritik-zustand-zeltstadt100_zc-e9a9d57e_zs-6c… | |
| [3] http://www.beermann-web.de/html/campingplatzregeln.html | |
| ## AUTOREN | |
| Doris Akrap | |
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