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# taz.de -- Geflüchtete in München: „Jeder Platz ist besser als Syrien!“
> Vor zwei Wochen wurden im Münchner Euroindustriepark vorübergehend
> Notzelte aufgeschlagen – ein Besuch.
Bild: Technisches Hilfswerk und Feuerwehr müssen auch in München mit Zelten a…
München taz | Die Syrerin Deema, 24 Jahre, und ihre Bruder Taim, 18 Jahre,
hocken auf dem Kiesboden, die Rücken gegen die Außenwand eines
Metallcontainers gelehnt. Es ist neun Uhr morgens, aber die Sonne brennt
schon unangenehm heiß. Die Geschwister sind froh um ihren Platz im
Schatten, den das Ankunftszentrum auf die Kiesfläche wirft.
Einen Monat lang waren die beiden unterwegs von Syrien über die Türkei und
die Balkanroute bis nach München. „Die Polizei hat uns bei Passau
aufgegriffen und gestern Nachmittag hierher geschickt“, sagt Deema. Sie
hält ihr Smartphone in der Hand, das wichtigste Werkzeug auf ihrer Flucht.
Gerade hat sie eine Nachricht per WhatsApp an ihre Mutter in Damaskus
geschickt. Neben den Geschwistern sitzen eng an eng weitere Flüchtlinge vor
dem Komplex aus rund 90 Containern und 4 Leichtbauhallen im
Euroindustriepark im Münchner Norden. Menschen aus Syrien, dem Sudan und
dem Senegal, aus Eritrea, aus Pakistan und Bangladesch.
Das neue Ankunftszentrum mit einer Fläche von 2600 Quadratmeter ist das
erste dieser Art in Bayern und nur Transitstation: Empfangen, Registrieren,
Weiterverteilen der Ankommenden – nach Bayern oder in andere Bundesländer –
das ist die Aufgabe. Alle, die hier mit Deema und Taim auf dieser Seite
ausharren, sind bereits fotografiert und registriert. Sie haben
Ausweispapiere erhalten und sollen in andere bayerische Städte und Kommunen
weiterreisen.
## Dicke Luft und Warten
Wer die Wartehalle dieses sogenannten Bayernausgleiches betritt, riecht
gleich, weshalb die beiden Geschwister gern draußen warten. Der rund 150
Quadratmeter große Raum ist überfüllt. Männer, Frauen, Kinder sitzen auf
Bänken und Tischen oder einfach am Boden. Trotz der weit geöffneten Fenster
und Türen herrscht dicke Luft, eine Mischung aus Schweiß, ungewaschenen
Kleidern und Fischkonserven, die eine Gruppe junger Männer auslöffelt.
Babys hängen hitzeschläfrig in den Armen ihrer Mütter. Duschen gibt es
keine.
Nicht mehr als 24 Stunden sollen die Ankommenden hier verbringen – was
nicht immer nicht klappt. Was bleibt, ist Warten. Darauf, dass ein Bus
kommt, der endlich einer Unterkunft und einer Zukunft entgegenfährt. Aber
in den nächsten Stunden kommt kein Bus.
Fast doppelt so viele Flüchtlinge wie ursprünglich erwartet treffen derzeit
in München ein. Das spüren auch die anderen Kommunen und Städte, die nach
einem Verteilerschlüssel einen bestimmten Prozentsatz an Flüchtlingen
aufnehmen müssen und nun ebenfalls mit dem Problem der Unterbringung
kämpfen.
Aber erst einmal stauen sich hier in der Münchner Maria-Probst-Straße die
Wartenden. Manche sind den dritten Tag da, wie sie auf ihren Papieren
vorzeigen. Heute sind rund 400 Geflüchtete da. Vor zwei Wochen hatte das
Ankunftszentrum vorübergehend schließen müssen, weil die Anzahl von 755 neu
ankommenden Flüchtlingen an einem Tag nicht mehr bewältigt werden konnte.
Vor allem die medizinische Erstuntersuchung hatte sich als Flaschenhals
entpuppt.
Als bei hereinbrechender Nacht das nah gelegene Bettenhaus trotz seiner 600
Schlafgelegenheiten überquoll, rief Münchens Oberbürgermeister Dieter
Reiter ein „koordinierungsbedürftiges Ereignis“ aus, um den
Katastrophenschutz von Technischem Hilfswerk und Berufsfeuerwehr in Gang zu
setzen und Behelfsbetten für 300 Personen aufzustellen. Weil sich Reiter
selbst einmal bei den Begriffen vertat, geisterte danach das Wort
„Katastrophenfall“ durch die Presse.
## Durchaus freundlich
Erst vor drei Wochen hat das Zentrum seine Türen geöffnet. Ursprünglich war
es nur für durchschnittlich 350 Neuankommende täglich ausgelegt, mit
Spitzen von bis zu 600 Personen. Diese Spitzen sind inzwischen Alltag. Doch
weil deutlich Personal aufgestockt worden ist, läuft der Prozess von
Aufnahme, medizinischem Screening und Registrierung inzwischen glatt. Zwei
Ärzte und fünf Sanitäter sind immer im Einsatz.
Die Ankunftshalle ist zwar gut gefüllt, aber nicht überfüllt. Mit seinem
Holzfußboden und den bunten Länderwimpeln an der Decke wirkt der Raum trotz
seines Industriecharakters durchaus freundlich. Eine Sozialarbeiterin von
der Inneren Mission hilft gerade zwei jungen Eritreern bei ihren
Formularen. Draußen vor dem Haupteingang fällen Arbeiter Bäume. Eine
Busbucht entsteht. Es ist zu gefährlich, die Flüchtlinge, oft müde und
verwirrt, auf der viel befahrenen Straße aussteigen zu lassen.
Ein neuer Engpass entsteht durch den stockenden „Abfluss“ der Flüchtlinge.
Neben der Bayern-Wartehalle werkeln Bauarbeiter mit großen Planen und
Metallstangen. Wieder Zelte? Aber diesmal sind es keine Notbehelfe, sondern
zwei große witterungsbeständige Zelte, ein jedes mindestens 150
Quadratmeter groß. Sie sollen die Wartehallen entlasten und solche
Situationen wie vor zwei Wochen vermeiden, bestätigt die
Regierungssprecherin Simone Hilgers. Die Zelte werden auf einem Holzboden
stehen und sogar beheizbar sein. Trotzdem, bis zum Winter muss doch sicher
eine andere Lösung her? „Unser Ziel ist, in jedem Regierungsbezirk ein
eigenes Ankunftszentrum zu schaffen“, sagt Hilgers.
Inzwischen ist es fast Mittag. Unter den Flüchtlingen in der Bayernhalle
kommt Nervosität auf. Ein roter Reisebus ist vorgefahren. Namen werden
aufgerufen. Deemas und Taims sind nicht dabei. Natürlich sind die zwei
etwas enttäuscht. Sie würden gerne raus aus diesem von metallenen
Absperrungen umfriedeten Gelände. Die zum Glück warme Nacht hätten sie hier
draußen vor der Wartehalle geschlafen. Das Bettenhaus sei voll gewesen. Von
den THW-Zelten ist nichts mehr zu sehen. Aber der junge Mann klopft auf den
Kies neben sich. „Alles ist derzeit besser als Syrien, auch dieser Platz
hier.“
15 Aug 2015
## AUTOREN
Margarete Moulin
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