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# taz.de -- Geflüchtete Syrer verlassen Türkei: Für die Zukunft ihrer Kinder
> Feindseligkeiten und Perspektivlosigkeit: Warum immer mehr syrische
> Flüchtlinge aus der Türkei nach Europa weiterziehen wollen.
Bild: Im türkischen Izmir gibt es kaum eine Perspektive für syrische Flüchtl…
Istanbul taz | Vor einigen Tagen veröffentlichte das türkische staatliche
Statistikamt eine erstaunliche Mitteilung. Danach ist die Zahl syrischer
Flüchtlinge in zehn Städten über 100.000 Einwohner mittlerweile so hoch wie
die Zahl der Hälfte der Bewohner.
In Kilis, unmittelbar an der syrischen Grenze, leben bereits mehr Syrer als
türkische Staatsbürger. Auch in zwei Großstädten haben die Flüchtlinge das
Einwohnerprofil radikal verändert: In Gaziantep und Urfa, beides
Millionenstädte unweit der Grenze, leben jeweils mehr als 300.000
Flüchtlinge.
Wie unschwer vorzustellen, steigen die Mieten in diesen Städten dramatisch.
Genauso dramatisch sinken die Löhne, weil in den Fabriken, auf den Feldern
und Baustellen Syrer zu fast jedem Lohn arbeiten.
Die Regierung versucht gegenzusteuern. Sie hat angekündigt, mehr syrischen
Flüchtlingen einen legalen Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen, damit
diese nicht mehr zu Dumpinglöhnen arbeiten müssen. Dennoch wächst der Unmut
in der einheimischen Bevölkerung.
## Ressentiments nehmen zu
Zwar ist offene Feindseligkeit noch ganz selten, aber die Flüchtlinge
spüren die Ablehnung doch deutlich. Autos mit syrischen Kennzeichen würden
zerkratzt und Reifen zerstochen, erzählen Betroffene in Gaziantep. Syrische
Kinder würden in der Schule gemobbt.
Zu den mehr als 2 Millionen syrischen Flüchtlingen sind mittlerweile noch
250.000 geflohene Iraker hinzugekommen. Die Unterstützung der Flüchtlinge
hat die Türkei bis jetzt nach offiziellen Zahlen mehr als 6 Milliarden
Dollar gekostet. An internationaler Unterstützung, so klagte der türkische
EU-Minister Volkan Bozkır kürzlich, seien aber nicht einmal 400 Millionen
Dollar zusammengekommen.
So wird die Situation für Flüchtlinge hier immer schwieriger. Zudem
schwindet die Hoffnung auf eine baldige Rückkehr nach Syrien. Daher wollen
immer mehr, viele vor allem wegen der Zukunft ihrer Kinder, weiter nach
Europa.
Überdies hat das Ende des Waffenstillstandes mit der PKK den Südosten der
Türkei wieder in eine regelrechte Kriegszone verwandelt. In vielen Orten
wird nachts geschossen. Es gibt Ausgangssperren und jeden Tag tote
Zivilisten, gefallene Soldaten und erschossene PKK-Kämpfer. Mit dem
IS-Attentat in Suruç im Juli hat der Krieg in Syrien die Grenze zur Türkei
überschritten. Klar, dass viele Flüchtlinge diese Zone des Krieges
verlassen wollen.
## Drehscheibe für Schmuggel
Es gibt aber noch einen weiteren Grund, warum plötzlich wieder so viele
Flüchtlinge von der Türkei aus die nahe gelegenen griechischen Inseln zu
erreichen versuchen: Auf Druck der europäischen Grenzschutzagentur Frontex
wurde eine andere Fluchtroute erfolgreich geschlossen.
Noch im Januar machten Nachrichten von der Menschenschmugglermetropole
Mersin die Runde. Die Hafenstadt an der türkischen Mittelmeerküste ist für
viele syrische Flüchtlinge eine der ersten Stationen westlich der
Konfliktgebiete. Um die Jahreswende schockten große Frachter mit bis zu
2.000 Flüchtlingen an Bord, die vor Italiens Küsten auftauchten, die
europäische Öffentlichkeit. Skrupellose Schlepper gingen wenige Meilen vor
der italienischen Küste von Bord und ließen die Schiffe per Autopilot auf
die Küste treiben.
Viele dieser Schiffe wurden in Mersin von den Schmugglern gekauft und
beladen. Anfangs ließen die türkischen Behörden die Schmuggler noch
gewähren – schließlich hatte die Regierung nichts dagegen, wenn sich einige
tausend Flüchtlinge in Richtung Europa bewegten. Nach wenigen Wochen aber
gingen sie dagegen vor. Frontex und die EU hatten erfolgreich interveniert.
Nachdem Mersin als Fluchtroute ausgeschaltet ist, werden von den
Schlepperorganisationen nun wieder Bodrum, İzmir oder Ayvalık angesteuert,
um die Syrer von dort nach Kos, Lesbos oder Chios zu schicken.
Noch ist es so, dass die türkische Polizei und Gendarmerie nicht mit
letzter Konsequenz gegen die Flüchtlinge, die „illegal“ nach Griechenland
wollen, vorgehen. Dafür müsste Europa der Türkei mehr Unterstützung bei der
Unterbringung und Versorgung der Syrer anbieten als bisher.
25 Aug 2015
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
## TAGS
Mittelmeer
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